Seit vor anderthalb Wochen die letzte Folge dieser Serie erschienen ist, hat sich die demoskopische Situation deutlich gewandelt; und zwar zugunsten Barack Obamas. Sie können das an Gallup's daily tracking sehen, den täglichen Befragungen von rund 3000 registrierten Wählern, über deren Daten ein siebentägiges gleitendes Mittel gebildet wird.
Als ich diese Folge 33 schrieb, lagen Obama und Romney gleichauf bei je 47 Prozent. Der Aufwind Obamas aus dem Parteitag der Demokraten war zu Ende gegangen, der convention bounce verschwunden. Das hatte dem üblichen Bild solcher Verläufe entsprochen; die demoskopischen Daten hatten sich so entwickelt, wie es in den Lehrbüchern der Politologie steht.
Dann aber passierte etwas Unerwartetes: Die Schere ging wieder auseinander; erneut zugunsten Barack Obamas. Aktuell (Erhebungszeitraum 25. September bis 1. Oktober) führt Obama bei Gallup mit 50 zu 44 Prozent. Bei RealClearPolitics (48,9 zu 46,1 Prozent) und bei Pollster (48,7 zu 44,4 Prozent) sieht es ähnlich aus. Diese beiden WebSites aggregieren die Daten verschiedener Institute. Lediglich im daily tracking von Rasmussen war gestern der Vorsprung Obamas nur knapp (47 zu 46 Prozent).
Nimmt man alle Daten zusammen, dann sieht es aus, als könnte sich eine ähnliche Entwicklung anbahnen wie zum gleichen Zeitpunkt vor vier Jahren zwischen Obama und seinem republikanischen Konkurrenten John McCain. Sie können sich das hier bei Gallup ansehen, wenn Sie auf das Jahr 2008 klicken: Bis Ende September lagen die beiden Kandidaten nah beieinander, mit leichten Vorteilen für Obama. Dann zog dieser davon und siegte am Ende souverän (siehe Der 44. Präsident der USA (28): Wie hoch hat Obama gewonnen? Warum hat er gewonnen? Wer hat ihn gewählt?; ZR vom 4. 11. 2008).
Welche Faktoren haben in diesem Jahr den erneuten Aufschwung Obamas bewirkt, nachdem der convention bounce bereits verschwunden gewesen war? Es sind überwiegend Faktoren, die auch früher im Wahlkampf schon wirksam gewesen sind, deren Einfluß sich jetzt aber verstärkt hat, u.a. durch Wechselwirkungen zwischen ihnen:
1. Der mörderische Vorwahlkampf. Als Sarah Palin sich für Newt Gingrich aussprach - zu einem Zeitpunkt, als alles schon auf Romney hinauslief -, bemerkte sie dazu: Iron sharpens iron, and steel sharpens steel - Eisen schärft Eisen und Stahl schärft Stahl. Sie wollte den voraussichtlichen Sieger Romney dadurch gegen Obama stärken, daß man ihn möglichst lang durch das Stahlbad der Vorwahlen trieb (siehe Müder Romney, offensiver Obama. Mitt Romney trägt an den Folgen des Vorwahlkampfs; ZR vom 15. 07. 2012).
Das Gegenteil ist eingetreten. Rick Santorum (aus seiner grundsätzlichen konservativen Haltung heraus) und Newt Gingrich (aus persönlichen Motiven) haben Romney so attackiert, wie das sonst nur der politische Gegner tut. Sie haben Obamas Wahlkampfteam die Argumente gegen Romney auf einem silbernen Tablett serviert; von seinem vorgeblichen Wankelmut bis zu seiner behaupteten Unfähigkeit, als Multimillionär die Probleme der einfachen Menschen zu verstehen. Romney hat die Nominierung am Ende errungen; aber nicht als strahlender Sieger, sondern als ein vom Kampf Gezeichneter. Dieses Bild begleitet ihn durch den Wahlkampf.
2. Die mißglückte National Convention. In den Wochen vor den beiden National Conventions lag Romney leicht zurück, aber eben nur leicht; selten mehr als zwei Prozentpunkte. Der Wahlparteitag war dazu ausersehen, ihn nach vorn zu bringen. Dessen beide Botschaften sollten sein, daß Mitt Romney ein warmherziger, hilfsbereiter Mensch ist und nicht der kalte Millionär, den seine innerparteilichen Gegner ebenso wie das Obama-Team gezeichnet hatten; und daß die Latinos - eine wahrscheinlich wahlentscheidende Gruppe - von der GOP besser vertreten werden als von den Demokraten.
Beides verpuffte am Egoismus der prominenten Redner, von denen kaum jemand Mitt Romney als Person würdigte (sieht man von seiner Frau Ann ab) und von denen auch die beiden Latinos - Susana Martinez und Marco Rubio - mehr ihre eigenen Karriere im Auge hatten als die Unterstützung des Kandidaten Romney. Statt ihm Auftrieb zu geben, enthüllte dieser Parteitag, wie wenig Mitt Romney von seiner eigenen Partei geliebt wird; wie viele von deren kommenden Stars nicht auf ihn setzen, sondern auf die Wahlen 2016, wenn Obama abtreten muß (siehe US-Präsidentschaftswahlen 2012 (32): Die Lage nach den beiden National Conventions. Versuch einer Bilanz; ZR vom 9. 9. 2012).
3. Negative campaigning des Obama-Teams. Die Wahlkämpfer Obamas brauchten nicht mehr zu tun, als diese Nachteile Romneys aufzugreifen und durch ihre Propaganda zu verstärken. Das ist ihnen in den vergangen Wochen überaus gut gelungen; und hier dürfte die Hauptursache für den wachsenden Vorsprung Obamas in den Umfragen liegen. Selten hat es soviel negative campaigning gegeben - einen Wahlkampf, der den Gegner persönlich schlechtmacht - wie diesmal seitens der Demokraten. Und es funktioniert.
Der Versuch Romneys, auf dem Wahlparteitag sein Image entscheidend zu verbessern, war gescheitert. Jetzt konnten und können die Demokraten weiter am Bild des elitären, egoistischen Millionärs arbeiten und Themen wie dessen Steuererklärungen in den Vordergrund spielen. Die Affäre der widerrechtlich aufgezeichneten Rede vor einer geschlossenen Gesellschaft paßte perfekt in diese Strategie und wurde von den Obama-Leuten dankbar ausgeschlachtet (siehe Romneys "Geheimvideo"; ZR vom 19. 9. 2012).
4. Obamas Botschaft vom bevorstehenden Aufschwung. Lange Zeit war Romneys Hauptvorteil die ihm von den Wählern zugeschriebene größere wirtschaftliche Kompetenz; potentiell entscheidend in Anbetracht der schlechten Wirtschaftsdaten in den USA.
Diese haben sich in den letzten Monaten kaum verbessert, ja eher verschlechtert (siehe "Überraschender Job-Aufschwung stärkt Obama". Wie "Spiegel-Online" desinformiert; ZR vom 7. 9. 2012). Aber es ist den Demokraten auf ihrer National Convention gelungen, dies als ein vorübergehende schwierige Lage darzustellen. Obama habe erst einmal die tiefe Krise überwinden müssen, die er beim Amtsantritt vorgefunden habe; und nun müsse man ihm noch einmal vier Jahre geben, um die Nation wirtschaftlich wieder voranzubringen. Vor allem Bill Clinton hat in seiner Parteitagsrede diese Botschaft glänzend vorgetragen.
Wie eine heute publizierte Umfrage von Gallup zeigt, ist der Kompetenzvorsprung Romneys vor Obama beim Thema Wirtschaft in den letzten Wochen stetig geschrumpft; derzeit liegt er hier nur noch mit 49 zu 45 Prozent vor Obama. Inzwischen glaubt sogar eine Mehrheit, daß ein Sieg Obamas für den Mittelstand besser wäre als ein Sieg Romneys. Und neben den Latinos ist in diesem Wahlkampf der Mittelstand eine besonders heiß umkämpfte Gruppe.
5. Das größte Problem Mitt Romneys ist Mitt Romney. In der ersten Folge der Serie zu den diesjährigen Präsidentschaftswahlen habe ich eine Charakterisierung Romneys aus dem Vorwahlkampf 2008 aufgegriffen, in dem er sich nicht gegen John McCain hatte durchsetzen können:
Mehr als wir Europäer wollen die Amerikaner aber jemanden an die Spitze ihrer Regierung wählen, für den sie sich begeistern können, der inspiring ist. Mitt Romney wählt man allenfalls aus Vernunft. Er ist so etwas wie ein Antiheld.
Diese Probleme Romneys haben sich in den vergangenen Wochen gegenseitig verstärkt, was seinen Niedergang in den Umfragen weitgehend erklären dürfte.
Seine Differenzen mit der eigenen Partei, jedenfalls mit starken konservativen Strömungen in ihr, hat er zu kaschieren versucht, indem er teilweise konservative Positionen übernommen oder sich ihnen angenähert hat; von der Abtreibung über die Krankenversicherung bis zu Hilfen für die Autoindustrie. Der linke Kolumnist Eugene Robinson hat gestern in der Washington Post sarkastisch geschrieben, daß heute Abend in der Debatte zwei Kandidaten auftreten würden - und dazu noch Barack Obama.
Eine derartige Kritik würde an einem Kandidaten abprallen, der es wie Bill Clinton oder Barack Obama versteht, seine Kurswechsel mit emotionalisierender Rhetorik zu übertünchen (beide haben oft genug ihre politische Position geändert). Romney aber, der so wenig durch seine Persönlichkeit wirkt, wird immer wieder bohrend gefragt, was denn nun eigentlich seine wirkliche Meinung sei; ja wer denn überhaupt der "echte Romney" sei.
Und er geht einfach nicht in die Offensive, dieser zurückhaltende, vernunftbestimmte, für das harte politische Geschäft vermutlich zu anständige Mann. Er läßt auf sich einprügeln und schlägt nicht zurück. Vom Stil des Wahlkampfs her könnte man denken, daß Romney mit der Würde des amtierenden Präsidenten bekleidet und Barack Obama ein machthungriger Angreifer ist.
In seiner aktuellen Kolumne in der Washington Post hat Charles Krauthammer diese Schwäche Romneys schonungslos analysiert und ihm ein nachgerade beschwörendes Go large, Mitt (so der Titel - "Geh auf's Ganze, Mitt") zugerufen. Krauthammer schreibt zu Romney Stil:
Heute Nacht wird Mitt Romney zeigen müssen, ob er es hinbekommt, Obama endlich in die Enge zu treiben. Dieser ist ein exzellenter Redner, wenn er den Teleprompter benutzen kann. In Debatten, in denen er frei sprechen und vor allem Fakten parat haben muß, ist er nicht besonders gut. Darin ist ihm Romney überlegen. Er muß diese Überlegenheit nur nutzen und sich trauen, einmal beherzt anzugreifen.
Mitt Romney muß heute Nacht vor allem zweierlei erreichen, hat CNN in verschiedenen Artikeln analysiert: Er muß es schaffen, to define the race, dem Wahlkampf thematisch seinen Stempel aufdrücken; und er muß zeigen, daß er die Statur eines Präsidenten hat.
Die Debatte beginnt um 9 p.m. ET, also 3.00 Uhr MESZ, und wird von CNN übertragen. Es gibt auch verschiedene Streaming-Angebote, und natürlich auch Twitter (#denverdebate). Details findet man zum Beispiel hier.
Als ich diese Folge 33 schrieb, lagen Obama und Romney gleichauf bei je 47 Prozent. Der Aufwind Obamas aus dem Parteitag der Demokraten war zu Ende gegangen, der convention bounce verschwunden. Das hatte dem üblichen Bild solcher Verläufe entsprochen; die demoskopischen Daten hatten sich so entwickelt, wie es in den Lehrbüchern der Politologie steht.
Dann aber passierte etwas Unerwartetes: Die Schere ging wieder auseinander; erneut zugunsten Barack Obamas. Aktuell (Erhebungszeitraum 25. September bis 1. Oktober) führt Obama bei Gallup mit 50 zu 44 Prozent. Bei RealClearPolitics (48,9 zu 46,1 Prozent) und bei Pollster (48,7 zu 44,4 Prozent) sieht es ähnlich aus. Diese beiden WebSites aggregieren die Daten verschiedener Institute. Lediglich im daily tracking von Rasmussen war gestern der Vorsprung Obamas nur knapp (47 zu 46 Prozent).
Nimmt man alle Daten zusammen, dann sieht es aus, als könnte sich eine ähnliche Entwicklung anbahnen wie zum gleichen Zeitpunkt vor vier Jahren zwischen Obama und seinem republikanischen Konkurrenten John McCain. Sie können sich das hier bei Gallup ansehen, wenn Sie auf das Jahr 2008 klicken: Bis Ende September lagen die beiden Kandidaten nah beieinander, mit leichten Vorteilen für Obama. Dann zog dieser davon und siegte am Ende souverän (siehe Der 44. Präsident der USA (28): Wie hoch hat Obama gewonnen? Warum hat er gewonnen? Wer hat ihn gewählt?; ZR vom 4. 11. 2008).
Welche Faktoren haben in diesem Jahr den erneuten Aufschwung Obamas bewirkt, nachdem der convention bounce bereits verschwunden gewesen war? Es sind überwiegend Faktoren, die auch früher im Wahlkampf schon wirksam gewesen sind, deren Einfluß sich jetzt aber verstärkt hat, u.a. durch Wechselwirkungen zwischen ihnen:
1. Der mörderische Vorwahlkampf. Als Sarah Palin sich für Newt Gingrich aussprach - zu einem Zeitpunkt, als alles schon auf Romney hinauslief -, bemerkte sie dazu: Iron sharpens iron, and steel sharpens steel - Eisen schärft Eisen und Stahl schärft Stahl. Sie wollte den voraussichtlichen Sieger Romney dadurch gegen Obama stärken, daß man ihn möglichst lang durch das Stahlbad der Vorwahlen trieb (siehe Müder Romney, offensiver Obama. Mitt Romney trägt an den Folgen des Vorwahlkampfs; ZR vom 15. 07. 2012).
Das Gegenteil ist eingetreten. Rick Santorum (aus seiner grundsätzlichen konservativen Haltung heraus) und Newt Gingrich (aus persönlichen Motiven) haben Romney so attackiert, wie das sonst nur der politische Gegner tut. Sie haben Obamas Wahlkampfteam die Argumente gegen Romney auf einem silbernen Tablett serviert; von seinem vorgeblichen Wankelmut bis zu seiner behaupteten Unfähigkeit, als Multimillionär die Probleme der einfachen Menschen zu verstehen. Romney hat die Nominierung am Ende errungen; aber nicht als strahlender Sieger, sondern als ein vom Kampf Gezeichneter. Dieses Bild begleitet ihn durch den Wahlkampf.
2. Die mißglückte National Convention. In den Wochen vor den beiden National Conventions lag Romney leicht zurück, aber eben nur leicht; selten mehr als zwei Prozentpunkte. Der Wahlparteitag war dazu ausersehen, ihn nach vorn zu bringen. Dessen beide Botschaften sollten sein, daß Mitt Romney ein warmherziger, hilfsbereiter Mensch ist und nicht der kalte Millionär, den seine innerparteilichen Gegner ebenso wie das Obama-Team gezeichnet hatten; und daß die Latinos - eine wahrscheinlich wahlentscheidende Gruppe - von der GOP besser vertreten werden als von den Demokraten.
Beides verpuffte am Egoismus der prominenten Redner, von denen kaum jemand Mitt Romney als Person würdigte (sieht man von seiner Frau Ann ab) und von denen auch die beiden Latinos - Susana Martinez und Marco Rubio - mehr ihre eigenen Karriere im Auge hatten als die Unterstützung des Kandidaten Romney. Statt ihm Auftrieb zu geben, enthüllte dieser Parteitag, wie wenig Mitt Romney von seiner eigenen Partei geliebt wird; wie viele von deren kommenden Stars nicht auf ihn setzen, sondern auf die Wahlen 2016, wenn Obama abtreten muß (siehe US-Präsidentschaftswahlen 2012 (32): Die Lage nach den beiden National Conventions. Versuch einer Bilanz; ZR vom 9. 9. 2012).
3. Negative campaigning des Obama-Teams. Die Wahlkämpfer Obamas brauchten nicht mehr zu tun, als diese Nachteile Romneys aufzugreifen und durch ihre Propaganda zu verstärken. Das ist ihnen in den vergangen Wochen überaus gut gelungen; und hier dürfte die Hauptursache für den wachsenden Vorsprung Obamas in den Umfragen liegen. Selten hat es soviel negative campaigning gegeben - einen Wahlkampf, der den Gegner persönlich schlechtmacht - wie diesmal seitens der Demokraten. Und es funktioniert.
Der Versuch Romneys, auf dem Wahlparteitag sein Image entscheidend zu verbessern, war gescheitert. Jetzt konnten und können die Demokraten weiter am Bild des elitären, egoistischen Millionärs arbeiten und Themen wie dessen Steuererklärungen in den Vordergrund spielen. Die Affäre der widerrechtlich aufgezeichneten Rede vor einer geschlossenen Gesellschaft paßte perfekt in diese Strategie und wurde von den Obama-Leuten dankbar ausgeschlachtet (siehe Romneys "Geheimvideo"; ZR vom 19. 9. 2012).
4. Obamas Botschaft vom bevorstehenden Aufschwung. Lange Zeit war Romneys Hauptvorteil die ihm von den Wählern zugeschriebene größere wirtschaftliche Kompetenz; potentiell entscheidend in Anbetracht der schlechten Wirtschaftsdaten in den USA.
Diese haben sich in den letzten Monaten kaum verbessert, ja eher verschlechtert (siehe "Überraschender Job-Aufschwung stärkt Obama". Wie "Spiegel-Online" desinformiert; ZR vom 7. 9. 2012). Aber es ist den Demokraten auf ihrer National Convention gelungen, dies als ein vorübergehende schwierige Lage darzustellen. Obama habe erst einmal die tiefe Krise überwinden müssen, die er beim Amtsantritt vorgefunden habe; und nun müsse man ihm noch einmal vier Jahre geben, um die Nation wirtschaftlich wieder voranzubringen. Vor allem Bill Clinton hat in seiner Parteitagsrede diese Botschaft glänzend vorgetragen.
Wie eine heute publizierte Umfrage von Gallup zeigt, ist der Kompetenzvorsprung Romneys vor Obama beim Thema Wirtschaft in den letzten Wochen stetig geschrumpft; derzeit liegt er hier nur noch mit 49 zu 45 Prozent vor Obama. Inzwischen glaubt sogar eine Mehrheit, daß ein Sieg Obamas für den Mittelstand besser wäre als ein Sieg Romneys. Und neben den Latinos ist in diesem Wahlkampf der Mittelstand eine besonders heiß umkämpfte Gruppe.
5. Das größte Problem Mitt Romneys ist Mitt Romney. In der ersten Folge der Serie zu den diesjährigen Präsidentschaftswahlen habe ich eine Charakterisierung Romneys aus dem Vorwahlkampf 2008 aufgegriffen, in dem er sich nicht gegen John McCain hatte durchsetzen können:
Mitt Romney war ... unpathetisch, ruhig, ohne Effekthascherei, ohne diese ständige Plan- Übererfüllung, die [Hillary] Clintons Markenzeichen ist. Seine Antworten waren locker und zugleich präzise. Er wirkte - auch im Outfit, auch in der Körpersprache - wie ein britischer Country Gentleman, der sich aus Pflichtgefühl, aber ohne übertriebene Anstrengung, für das Gemeinwesen einsetzt. Er signalisierte, so schien mir: Ja, das wäre schön, Präsident zu werden. Aber wenn nicht, auch nicht schlimm. Ich kann mich auch anderswo nützlich machen.So ist er auch in diesem Wahlkampf. Mitt Romney fehlt das Feuer. Er bleibt stets leise und beherrscht. Emotionen bei seinen Zuschauern zu wecken scheint ihm nachgerade peinlich zu sein.
Mehr als wir Europäer wollen die Amerikaner aber jemanden an die Spitze ihrer Regierung wählen, für den sie sich begeistern können, der inspiring ist. Mitt Romney wählt man allenfalls aus Vernunft. Er ist so etwas wie ein Antiheld.
Diese Probleme Romneys haben sich in den vergangenen Wochen gegenseitig verstärkt, was seinen Niedergang in den Umfragen weitgehend erklären dürfte.
Seine Differenzen mit der eigenen Partei, jedenfalls mit starken konservativen Strömungen in ihr, hat er zu kaschieren versucht, indem er teilweise konservative Positionen übernommen oder sich ihnen angenähert hat; von der Abtreibung über die Krankenversicherung bis zu Hilfen für die Autoindustrie. Der linke Kolumnist Eugene Robinson hat gestern in der Washington Post sarkastisch geschrieben, daß heute Abend in der Debatte zwei Kandidaten auftreten würden - und dazu noch Barack Obama.
Eine derartige Kritik würde an einem Kandidaten abprallen, der es wie Bill Clinton oder Barack Obama versteht, seine Kurswechsel mit emotionalisierender Rhetorik zu übertünchen (beide haben oft genug ihre politische Position geändert). Romney aber, der so wenig durch seine Persönlichkeit wirkt, wird immer wieder bohrend gefragt, was denn nun eigentlich seine wirkliche Meinung sei; ja wer denn überhaupt der "echte Romney" sei.
Und er geht einfach nicht in die Offensive, dieser zurückhaltende, vernunftbestimmte, für das harte politische Geschäft vermutlich zu anständige Mann. Er läßt auf sich einprügeln und schlägt nicht zurück. Vom Stil des Wahlkampfs her könnte man denken, daß Romney mit der Würde des amtierenden Präsidenten bekleidet und Barack Obama ein machthungriger Angreifer ist.
In seiner aktuellen Kolumne in der Washington Post hat Charles Krauthammer diese Schwäche Romneys schonungslos analysiert und ihm ein nachgerade beschwörendes Go large, Mitt (so der Titel - "Geh auf's Ganze, Mitt") zugerufen. Krauthammer schreibt zu Romney Stil:
His unwillingness to go big, to go for the larger argument, is simply astonishing. For six months, he’s been matching Obama small ball for small ball. A hit-and-run critique here, a slogan-of-the-week there.
When you’re behind, however, safe is fatal. Even his counterpunching has gone miniature. Obama has successfully painted Romney as an out-of-touch, unfeeling plutocrat whose only interest is to cut taxes for the rich. Romney has complained in interviews that it’s not true. He has proposed cutting tax rates, while pledging that the share of the tax burden paid by the rich remains unchanged (...).
But how many people know this? Where is the speech that hammers home precisely that point, advocates a reformed tax code that accelerates growth without letting the rich off the hook, and gives lie to the Obama demagoguery about dismantling the social safety net in order to enrich the rich?
Sein fehlender Wille, aufs Ganze zu gehen, die größere Auseinandersetzung zu suchen, ist schlicht erstaunlich. Sechs Monate lang schlägt er nun jedes Bällchen Obamas wieder zurück. Ein wenig Kritik hier, dort einmal ein Slogan der Woche.
Wenn man zurückliegt, ist das vorsichtige Spiel aber tödlich. Selbst seine Gegenschläge waren harmlos. Obama hat Romney mit Erfolg als einen gefühllosen Plutokraten gezeichnet, der keinen Kontakt zu den Leuten hat und dessen einzige Interesse darin besteht, die Steuern für die Reichen zu senken. In Interviews hat sich Romney beschwert, daß das nicht wahr sei. Er habe Steuersenkungen angekündigt, aber sich darauf festgelegt, daß die Steuerlast der Reichen unverändert bleibt (...).
Aber wieviele Leute wissen das? Wo ist die Rede, die genau diesen Punkt endgültig einhämmert, die eine Steuerreform verlangt, welche das Wachstum fördert, ohne die Reichen aus der Pflicht zu entlassen; welche die Demagogie Obamas Lügen straft, es ginge um einen Abbau des sozialen Netzes, um die Reichen noch reicher zu machen?
Heute Nacht wird Mitt Romney zeigen müssen, ob er es hinbekommt, Obama endlich in die Enge zu treiben. Dieser ist ein exzellenter Redner, wenn er den Teleprompter benutzen kann. In Debatten, in denen er frei sprechen und vor allem Fakten parat haben muß, ist er nicht besonders gut. Darin ist ihm Romney überlegen. Er muß diese Überlegenheit nur nutzen und sich trauen, einmal beherzt anzugreifen.
Mitt Romney muß heute Nacht vor allem zweierlei erreichen, hat CNN in verschiedenen Artikeln analysiert: Er muß es schaffen, to define the race, dem Wahlkampf thematisch seinen Stempel aufdrücken; und er muß zeigen, daß er die Statur eines Präsidenten hat.
Die Debatte beginnt um 9 p.m. ET, also 3.00 Uhr MESZ, und wird von CNN übertragen. Es gibt auch verschiedene Streaming-Angebote, und natürlich auch Twitter (#denverdebate). Details findet man zum Beispiel hier.
Zettel
© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Das Lansdowne-Porträt von George Washington, gemalt von Gilbert Stuart (1796). National Portrait Gallery der Smithsonian Institution. Das Porträt zeigt Washington, wie er auf eine weitere (dritte) Amtszeit verzichtet. Links zu allen Beiträgen dieser Serie finden Sie hier. Siehe auch die Serie Der 44. Präsident der USA von 2008.