24. Oktober 2012

Kurioses, kurz kommentiert: Wie in die Debatte Romney/Obama der "Obama Bin Laden" hineinkam. Freud'scher Fehler? Nein, aber ein Spoonerism

Es ist wieder passiert. In der dritten Debatte zwischen den beiden Kandidaten in der Nacht zu gestern kam es zu dem fatalen Versprecher, der schon seinen Namen hat: der Obama/Osama slip.

Wäre es Romney zugestoßen oder gar dem Präsidenten selbst, dann wäre es vermutlich in die Schlagzeilen gekommen; auch die deutschen. Aber der Lapsus unterlief nur dem Moderator Bob Schieffer. Und zwar, als er eine Frage zu Pakistan und seine Unterstützung für die Taliban stellte. Sie können sich das zum Beispiel hier anhören.

Wenn Sie genau hinhören, dann wird Ihnen das auffallen, was beispielsweise dem Kolumnisten des Internetmagazins Slate Josh Voorhees aufgefallen ist: Schieffer sagte nicht "Obama Bin Laden" sondern ... hm, was?

Voorhees transkribiert die betreffende Stelle: "We know that Pakistan has arrested the doctor who helped us catch Obama's Bin Laden" - wir wissen, daß Pakistan den Arzt verhaftete hat, der uns half, Obamas Bin Laden zu erwischen.

Also den Bin Laden von Obama? So deutet es Voorhees; so haben es andere gedeutet. Voorhees dazu:
It's still a safe bet that's not what Schieffer was hoping would come out of his mouth, but it's certainly better than the alternative.

Man kann immer noch wetten, daß dies mit Sicherheit nicht das war, was Schieffer seinem Mund hatte entfleuchen lassen wollen, aber es ist gewiß besser als die Alternative.
Nein, es ist gar nicht besser als die Alternative. Weil es nämlich keine Alternative ist.



Voorhees meint, daß Schieffer versehentlich etwas semantisch - seiner Bedeutung nach - Unbeabsichtigtes gesagt hätte, nämlich daß Osama Bin Laden der "Bin Laden von Obama" gewesen sei.

Das wäre nun allerdings ziemlich abwegig gewesen; ein kurioser Versprecher, der freilich Deutungskunst à la Freud auf den Plan rufen könnte: Hatte Schieffer da etwa den Gedanken verdrängt, daß Osama Bin Laden ja Obama "gehört" hatte, so wie im Western das Opfer dem Killer "gehört"? ("Diesen Komantschen darf mein weißer Bruder nicht töten; er gehört Winnetou").

Ach nein. Solch interpretatorischer Klimmzüge bedarf es nicht; auch hier wieder nicht.

Der Versprecher liegt mit großer Wahrscheinlichkeit gar nicht auf der Bedeutungsebene, sondern auf der Ebene der Artikulation (siehe den dreiteiligen Artikel Anmerkungen zur Sprache (11): "Obama" statt "Osama" - Freud'sche Fehl­leistungen? Psychoanalytische Deutungskunst und Linguistik; hier insebsondere Teil 3).

Der Obama/Osama slip ist zwar auch semantisch motiviert - die beiden Namen werden häufig im Zusammenhang miteinander genannt; in Schieffers Sprechsituation saß ihm auch noch Obama gegenüber, als er "Osama" hatte sagen wollen.

Vor allem aber gibt es ein Problem bei der Artikulation: Osama Bin Laden. Auf das /s/ im ersten Wort folgt ein /b/ im zweiten; ein Laut, der aber auch in das erste Wort paßt. In solchen Fällen kommt es manchmal zu Antizipationen (Vorwegnahmen): Der spätere Laut /b/ wird gewissermaßen vorgezogen und in das erste Wort hineinmontiert. In dem erwähnten Artikel habe ich das erläutert:
Eine Antizipation nun liegt wohl auch bei "Obama" statt "Osama" vor. Der Sprecher wollte "Osama bin Laden" sagen; und als Antizipation geriet das b in das erste Wort, so daß Obama entstand.

Solche Antizipationen sind sehr häufig und haben oft den Charakter einer Vertauschung. Aus "Taschen­messer" wird dann beispielsweise "Tassen­mescher", und - auch dieses Beispiel kann man Freuds Werk entnehmen - aus "Eiweißscheibchen" "Eischeiß­weib­chen". Solche Vertauschungen werden als Spoonerisms bezeichnet, genannt nach einem Theologieprofessor aus dem 19. Jahrhundert, der für diese Art von Versprechern besonders anfällig war.
Hätte Schieffer "Obama Bin Laden" gesagt, dann wäre das eine Antizipation gewesen, aber noch kein vollständiger Spoonerism (also eine Vertauschung). Es wäre dann ja nur das /b/ aus dem "Bin" nach vorn in das eigentlich intendierte "Osama" hineingewandert. Ein vollständiger Spoonerism entsteht aber erst, wenn seinerseits das /s/ aus "Osama" in das nächste Wort wandert; also "Obama Sin Laden".

Und das ist es in der Tat, was Schieffer zu sagen anhub: "Obama S ...". Dann allerdings stockte er. Hören Sie sich die paar Sekunden der Aufzeichnung hier noch einmal an. Nach dem /s/ macht Schieffer eine Pause und sagt "äh". Hier hat er (hat sein System zur Sprachproduktion) den Fehler gemerkt und korrigiert zu "Bin Laden".

Kein "Obama's" also. Kein Genitiv. Sondern ein Spoonerism, der - wie man es häufig findet - noch abgefangen wird, bevor der Fehler ganz fertig ist. Schieffer hatte nicht gesagt "Obama's Bin Laden", sondern, auf die im Amerikanischen übliche Weise transkribiert, dies: "Obama S -- Bin Laden".
Zettel



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