16. Oktober 2012

US-Präsidentschaftswahlen 2012 (37): Romney und Obama liegen Kopf-an-Kopf. Heute Nacht gibt es den Showdown. Die Stärken und Schwächen der Kontrahenten

Am Vorabend ihres vielleicht wahl­entschei­den­den Duells in der heutigen Nacht liegen Mitt Romney und Barack Obama in den Umfragen so nah beeinander, wie man überhaupt nur nah beieinander liegen kann.

Es gibt zwei polls of polls, die alle verfügbaren Umfragedaten, fast stündlich aktualisiert, zu einem gemein­samen Ergebnis verrechnen. Bei RealClearPolitics hat Romney heute einen Vorsprung von 0,6 Prozentpunkten. Gestern waren es 0,1 Prozentpunkte gewesen, vorgestern 1,0 Prozentpunkte. Bei Pollster ist das letzte Erhebungsdatum der 13. Oktober. Da lag Obama mit 1,0 Prozentpunkten Differenz vorn; am 12. Oktober waren es 0,9 und am 11. Oktober 0,6 Prozentpunkte gewesen.

In den täglichen Befragungen (daily tracking) von Gallup liegt bei allen registrierten Wählern Obama mit einer Differenz von zwei Prozentpunkten vorn; bei denjenigen, die wahrscheinlich zur Wahl gehen werden (likely voters) hat hingegen Romney mit einem Unterschied von zwei Prozentpunkten die Führung. Im daily tracking von Rasmussen beträgt der Vorsprung Romneys ebenfalls zwei Prozentpunkte.

Diese Umfragen, wie auch das mathematische Modell von Nate Silver, zeigen denselben Verlauf: Bis Ende September hatte Obama deutlich in Führung gelegen; mit einer Tendenz zum zunehmenden Ausbau dieser Führung. Die Debatte in Denver am 3. Oktober brachte einen Umschwung; seither hat Romney kontinuierlich zugelegt und Obama spiegelbildlich verloren (siehe Romneys Aufschwung - "Bounce" oder Wende?; ZR vom 11. 10. 2012).

In den letzten Tagen aber ist diese Veränderung zum Stillstand gekommen. Die Kurven für die beiden Kandidaten berühren sich jetzt, aber sie haben sich bisher nicht geschnitten. Daß Romney dauerhaft vor Obama liegen könnte, wie umgekehrt Obama monatelang vorn gelegen hatte, zeichnet sich derzeit nicht ab.

Angesichts dieser Situation, in welcher der Ausgang der Wahl völlig offen ist, kommt der heutigen Debatte eine besondere Bedeutung zu. Das erste Duell zwischen Romney und Obama hatte den Umschwung zugunsten von Romney eingeleitet. Die Debatte am vergangenen Donnerstag zwischen den Vize-Kandidaten Ryan und Biden hatte keine erkennbare Veränderung gebracht (siehe Ryan vs. Biden - ein Hornberger Schießen; ZR vom 12.10.12). Jetzt wird es darum gehen, ob Romneys Höhenflug der letzten beiden Wochen nur eine Episode im Wahlkampf war; oder ob er seinen Sieg einleitete.



Wie immer wird die Debatte zur prime time beginnen; um 19 Uhr Zeit der Ostküste (EDT); entsprechend 3 Uhr MESZ.

Die heutige Veranstaltung in der Hofstra University, einer Privatuniversität in der kleinen Stadt Hempstead, ungefähr eine Stunde von New York, wird anders ablaufen als die Debatte am 3. Oktober; nämlich als ein town hall meeting. Die beiden Kandidaten werden nicht eigentlich gegeneinander antreten, sondern sie werden jeder für sich die Fragen von Bürgern beantworten. Sie dürfen zwar das, was der andere gesagt hat, kommentieren, aber keine direkte Frage an diesen richten.

Es ist also mehr ein Wettstreit als eine Debatte: Wer wird die bessere Figur machen? Wer wird gegenüber diesem Publikum überzeugender auftreten?

Moderieren wird diesmal Candy Crowley von CNN, die als durchsetzungsfähige Journalistin gilt. Sie ist allerdings an die durch die beiden Parteien ausgehandelten Regularien gebunden:

Nachdem ein Bürger seine Frage an einen der Kandidaten gerichtet und dieser geantwortet hat, darf Crowley nicht nachhaken. Ihre Befugnisse sind darauf beschränkt, Frager aufzurufen und darauf zu achten, daß ein Kandidat nicht die Zwei-Minuten-Frist überschreitet, die er für eine Antwort hat. Auch Nachfragen aus dem Publikum sind nicht erlaubt. Dem fragenden Bürger wird das Mikrophon abgeschaltet, sobald er seine Frage losgeworden ist.

Das alles ist in der Vereinbarung zwischen den beiden Wahlkampfteams festgelegt; dem Memorandum of Unterstanding, das Sie hier im Original lesen können. Ob Crowley sich immer strikt an diese Regeln hält, gilt allerdings als weniger sicher.

Worauf wird heute Nacht zu achten sein?

  • Erstens natürlich auf das Erscheinungsbild, das Barack Obama bietet. Wird er wieder wie am 3. Oktober so wirken, als hätte er am liebsten alles bald hinter sich; oder wird er wenigstens einen Abglanz von der Form aufscheinen lassen, in der er vor vier Jahren als der Yes-we-can-Kandidat viele Wähler begeisterte?

  • Sodann wird es, meint Chris Cillizza in der Washington Post, darum gehen, ob Obama sich dazu aufraffen kann, in die Offensive zu gehen. Er ist es nicht gewohnt, aus einer für ihn ungünstigen, jedenfalls unsicheren Position heraus zu kämpfen. Als er vor vier Jahren die drei Debatten gegen John McCain hatte, lag dieser deutlich zurück; und McCain war selbst alles andere als ein geschickter und aggressiver Debattierer.

  • Wird Romney seine glänzende Vorstellung wiederholen können? In die erste Debatte war er in der Position des underdog gegangen. Jetzt liegt die Latte höher. Hinzu kommt, daß Romney nicht gut darin ist, auf Menschen zuzugehen; den persönlichen Kontakt herzustellen. Das aber erwarten die Frager in einem townhall meeting. Allerdings benimmt sich auch Obama in einer solchen Situation des persönlichen Kontakts oft nicht geschickt; er wirkt leicht professoral-arrogant.

  • Für beide Kandidaten wird es darum gehen, wie gut sie sich auf das Format des town hall meeting einstellen können. Die Frager wollen Antworten, die sie als ehrlich wahrnehmen; als konkret bezogen auf die Probleme, die sie ansprechen. Ausflüchte und Rhetorik werden hier weniger toleriert als in einer reinen Debatte zwischen den Kandidaten. Im Vorwahlkampf 2008 schnitt Hillary Clinton bei solchen meetings schlecht ab, weil sie abstrakte Zahlen vortrug, statt auf die Anliegen der Fragenden konkret einzugehen.



  • Daß es wieder einen so eindeutigen Sieger geben wird wie am 3. Oktober, ist möglich, aber eher unwahrscheinlich; denn Obama wird besser vorbereitet und höher motiviert sein als in dieser Debatte. Beide Kandidaten können zufrieden sein, wenn - wie bei dem Duell Biden-Ryan - jeder vom eigenen Lager als der Bessere wahrgenommen wird und es in den Augen der Unentschlossenen ein Patt gibt. Daß Romney noch einmal ein überzeugender Sieg gelingt, halten einige Kommentatoren für möglich. Auf einen deutlichen Sieg Obamas setzt kaum jemand.

    Ist der Ausgang der Debatte relativ ausgeglichen, dann wird es in den verbleibenden drei Wochen darauf ankommen, welches die Stärken und Schwächen der beiden Kandidaten mit ihren Wahlkampf-Apparaten sind. Hier ein Überblick:

  • Sympathiewerte. Auch wenn viele Wähler nicht mit Präsident Obamas Politik einverstanden sind, mögen sie ihn doch persönlich. Bei den Sympathiewerten (favorability) lag er lange Zeit weit vor Romney. Die Lücke schloß sich allmählich, vor allem seit der Debatte vom 3. Oktober. Inzwischen liegen beide in diesem Punkt gleichauf.

  • Mobilisierung der Wähler. Die Republikaner haben traditionell den Vorteil, daß ihre Wähler politisch stärker interessiert sind als diejenigen der Demokraten und deshalb eher zur Wahl gehen. 2008 war das anders gewesen, weil Obama mit seinem charismatischen Auftreten zu begeistern gewußt hatte; McCain war der Kandidat der Vernunft gewesen.

    Diesmal litt Romney lange darunter, daß er von dem starken rechten Flügel der GOP - vor allem den Evangelikalen und den Anhängern des frommen Katholiken Rick Santorum - nicht als einer der Ihren betrachtet wurde. Das hat sich inzwischen geändert; vor allem wohl, weil Romney mit Paul Ryan einen ausgewiesenen Konservativen auf sein ticket geholt hat. Inzwischen funktioniert der Wahlkampf der GOP an der Basis sehr gut; die Washington Post hat darüber Ende September berichtet.

  • Die Geldmittel für den Wahlkampf. Anders als in Deutschland finanzieren sich die Wahlkämpfe in den USA weder aus staatlichen Mitteln noch aus den Beiträgen von Parteimitgliedern. Ihre - immensen - Kosten werden fast ausschließlich aus Spenden bestritten. Beim Spendenaufkommen lagen die beiden Kandidaten lange Zeit gleichauf. Bis Ende Juli hatte Obama 690 Millionen Dollar und Romney 633 Millonen Dollar an Spenden erhalten.

    Heute meldet die Chicago Tribune, daß im September die Demokraten 181 Millionen Dollar und die Republikaner 171 Millionen Dollar an Wahlkampfspenden erhielten. Nach der Debatte am 3. Oktober sind aber nach Auskunft von Romneys Hauptquartier dessen Spenden in die Höhe geschossen. Auch hat er mehr Mittel für den Endspurt aufgespart (Anfang Oktober lag der Bestand bei 191 Millionen Dollar), so daß alles in allem das Lager Romneys hier einen kleinen Vorteil haben dürfte.

    Die swing states. Romney wird dieses aufgesparte Geld vor allem in den umstrittenen Staaten - den swing states - ausgeben, in denen er zurückliegt. Über die demoskopische Entwicklung in diesen Staaten, deren wichtigste Ohio, Florida und Virginia (in dieser Reihenfolge) sind, gab es in den letzten Tagen widersprüchliche Daten.

    Es scheint, daß Romney inzwischen in Florida sehr gut im Rennen liegt, während in Ohio und in der Mehrzahl der anderen swing states Obama nach wie vor einen Vorsprung hat. Obwohl die beiden Kandidaten in den Umfragen gleichauf liegen, würde deshalb nach derzeitigem Stand Obama die Wahl deutlich gewinnen. Nate Silver beispielsweise gibt ihm gegenwärtig 289 Stimmen im Gremium der Wahlleute; zu 249 für Romney.



  • Dieser Wahlkampf verläuft anders als die vorausgehenden. 2004 lagen Bush und Kerry lange Zeit gleichauf, bevor Bush auf den letzten Metern davonzog. 2008 führte Obama fast über die gesamte Strecke (bis auf eine kurze Episode nach dem Wahlparteitag der GOP). Sein Vorsprung wurde ab Mitte September 2008 immer größer, und am Ende siegte er souverän mit einer Differenz von 7 Prozentpunkten.

    Diesmal aber sah Obama lange Zeit als der sichere Sieger aus - aber nur bis vier Wochen vor der Wahl. Jetzt ist sie so spannend, ist der Ausgang so offen wie zuletzt 2000, als sich George W. Bush und Al Gore gegenüberstanden und es das Auszählungs-Marathon in Florida gab.­
    Zettel



    © Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Das Lansdowne-Porträt von George Washington, gemalt von Gilbert Stuart (1796). National Portrait Gallery der Smithsonian Institution. Das Porträt zeigt Washington, wie er auf eine weitere (dritte) Amtszeit verzichtet. Links zu allen Beiträgen dieser Serie finden Sie hier. Siehe auch die Serie Der 44. Präsident der USA von 2008.