14. Oktober 2012

Zitat des Tages: "In der westlichen Welt liegt das Recht auf freie Meinungsäußerung im Sterben"

In der westlichen Welt liegt die freie Meinungsäußerung im Sterben. Zwar genießen die meisten Menschen noch eine beträchtliche Freiheit, sich zu äußern. Aber dieses Recht, das einst ein fast absolutes war, ist jetzt für diejenigen, die für kontroverse gesellschaftliche, politische oder religiöse Auffassungen eintreten, weniger klar bestimmt und weniger verläßlich geworden. Der Niedergang der freien Meinungsäußerung erfolgte nicht auf einen Schlag, sondern geschieht durch tausendfache Einschnitte in Form gutgemeinter Ausnahmen, die der sozialen Harmonie dienen sollen.
Der amerikanische Professor für Öffentliches Recht und Publizist Jonathan Turley heute in der Wochenend­ausgabe der Washington Post unter der Überschrift "Shut up and play nice: How the Western world is limiting free speech" (Halte den Mund und sei freundlich: Wie die westliche Welt die freie Meinungs­äußerung einschränkt". Meine Übersetzung; das Original finden Sie unten).

Kommentar: Ganz in der Tradition des angelsächsischen Fallrechts besteht der Artikel von Professor Turley hauptächlich aus der Schilderung von Prozessen, Verur­teilungen und gesetzlichen Regelungen in verschiedenen Ländern.

Als roter Faden durchzieht aber eine Kernaussage den Artikel: Es gibt in den Ländern des Westens eine wachsende Tendenz, das Recht auf freie Meinungsäußerung durch die Reaktion anderer beschneiden zu lassen: "Such efforts focus not on the right to speak but on the possible reaction to speech — a fundamental change in the treatment of free speech in the West" - solche Bemühungen konzentrieren sich nicht auf das Recht, frei zu sprechen, sondern auf mögliche Reaktionen auf die freie Äußerung; ein fundamentaler Wechsel in der Behandlung der freien Meinungsäußerung im Westen.

Turley nimmt seine Beispiele aus dem religiösen Bereich (vor allem den Reaktionen von Moslems auf Texte und bildliche Darstellungen), aber auch dem politischen (in New York wurden zum Beispiel Plakate aus U-Bahnen entfernt, die zur Unterstützung Israels und zum Sieg über den Dschihad aufriefen) und dem gesellschaftlichen (zum Beispiel Prozesse, in denen Personen wegen diskriminierender Äußerungen über die Homosexualität verurteilt wurden).

Turleys Fazit:
The very right that laid the foundation for Western civilization is increasingly viewed as a nuisance, if not a threat. Whether speech is deemed imflammatory or hateful or discriminatory or simply false, society is denying speech rights in the name of tolerance, enforcing mutual respect through categorical censorship.

Genau jenes Recht, das die Grundlage der westlichen Kultur schuf, wird zunehmend als etwas Lästiges, wenn nicht eine Bedrohung gesehen. Ob nun Äußerungen als aufhetzend oder haßerfüllt oder diskriminierend oder schlicht falsch eingestuft werden - die Gesellschaft verweigert das Recht auf die freie Rede im Namen der Toleranz. Sie erzwingt damit den gegenseitigen Respekt durch kategorische Zensur.



Die zitierte Passage im Original:

Free speech is dying in the Western world. While most people still enjoy considerable freedom of expression, this right, once a near-absolute, has become less defined and less dependable for those espousing controversial social, political or religious views. The decline of free speech has come not from any single blow but rather from thousands of paper cuts of well-intentioned exceptions designed to maintain social harmony.
Zettel



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