2. Oktober 2012

Marginalie: Eine Ampelkoalition unter Steinbrück? Wie eine Stellungnahme von Philipp Rösler in ihr Gegenteil verkehrt wurde. Beteiligte hier: taz.de und dpa

Sie kennen sicher das Kinder- oder auch Partyspiel "Die stille Post". Die Anwesenden stellen sich nebeneinander auf oder sitzen nebeneinander. Der erste bekommt eine Nachricht auf einem Blatt Papier, die er seinem Nachbarn zuflüstert; dieser gibt sie wiederum leise an seinen Nachbarn weiter und so fort. Der Letzte teilt laut mit, was bei ihm angekommen ist. Dazu wird die ursprüngliche Nachricht verlesen. Meist unter großem Hallo und Gelächter.

Wenn sich die Weitergabe von Nachrichten durch die Medien nach diesem Prinzip abspielt, dann ist das weniger lustig.



Heute um 17.53 verbreitete die Pressestelle der FDP den folgenden Text unter dem Betreff "An die Medien: Richtigstellung":
Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

die dpa hat unzutreffend gemeldet "Rösler: Ampel unter Steinbrücks Führung vorstellbar". Philipp Röslers Zitate für die taz, die auch der dpa vorliegen, geben eine derartige Nachricht nicht her.

Ich übermittle Ihnen zu Ihrer Kenntnis hier diese Zitate:

"Herr Steinbrück ist eine respektable Persönlichkeit, aber wir lassen uns nicht von der Frage beeindrucken, wer Kanzlerkandidat der SPD ist: Für die FDP kommt es allein auf die Inhalte an."

"Bei aller Beinfreiheit, die Herr Steinbrück von der SPD fordert: Am Ende ist doch entscheidend, wofür eine Partei insgesamt steht - und da sehe ich die Sozialdemokraten programmatisch noch meilenweit von uns entfernt."

"Es ist schon eine Frage, ob Herr Steinbrück am Ende nur eine Marionette der Parteilinken ist, nach dem Motto: Jetzt geben wir uns mal einen bürgerlichen Anstrich."

Mit freundlichen Grüßen

Wulf Oehme
Sprecher der FDP
Dies sind in der Tat die einzigen drei Äußerungen, welche taz.de zitiert, unter der Quellenangabe "... sagte Rösler zu taz.de"; und allerdings, wie Sie gleich sehen werden, derart verkürzt, daß Rösler buchstäblich das Wort im Mund herumgedreht wird.



Nicht wahr, davon, daß eine "Ampel unter Steinbrück vorstellbar" sei, ist in den drei Sätzen Röslers mit keinem Wort die Rede.

Wie hat die stille Post funktioniert? Der Autor von taz.de, Kai Schöneberg, hat sich und seinen Lesern großzügiges Interpretieren gegönnt:
FDP-Chef Philipp Rösler schließt eine Koalition mit der SPD unter deren Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück nicht grundsätzlich aus. "Herr Steinbrück ist eine respektable Persönlichkeit", sagte Rösler zu taz.de. Bei der Frage einer Koalition komme es für die FDP "allein auf die Inhalte an" (...)

Am Ende ist doch entscheidend, wofür eine Partei insgesamt steht", sagte Rösler zu taz.de. "Und da sehe ich die Sozialdemokraten noch meilenweit von uns entfernt." Wohlgemerkt: "Noch".
Das "Wohlgemerkt: 'Noch'" ist die Zutat des taz-Autors Schöneberg; ebenso, wie er à la Emser Depesche die Äußerungen Röslers durch Verkürzung derart zurichtet, daß aus dessen Absage an eine Ampel die Meldung "Rösler lobt Steinbrück - Koalition nicht ausgeschlossen" (so der Titel) werden kann.

Schlimmer kann ein Journalist kaum manipulieren.

Nun gut, das ist der Stil, den man von der taz kennt. Wer dieses Blatt als Quelle ernstnimmt, ist selbst schuld.

Aber dpa; die seriöse Deutsche Presse-Agentur? Man hatte dort anscheinend zunächst nicht die Originaläußerungen Röslers vorliegen (inzwischen, wie Oehme schreibt, offenbar schon), sondern nur das, was der taz-Manipulator daraus gemacht hatte.

Und das wurde durch dpa nun weiter verkürzt; zu der Meldung, die beispielsweise um 17.15 Uhr die "Märkische Allgemeine" übernommen hat, wie viele andere Medien. Sie beginnt so:
Rösler: Ampel unter Steinbrücks Führung vorstellbar

Berlin (dpa) - Der FDP-Vorsitzende Philipp Rösler kann sich nach der Bundestagswahl 2013 eine Ampel-Koalition unter der Führung des designierten SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück grundsätzlich vorstellen.
Eine glatte Ente. Von taz.de manipulativ in die Welt gesetzt. Durch dpa verkürzend noch verstärkt.
Zettel



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