2. Oktober 2012

Zettels Meckerecke: Steinbrücks Kür, Mitt Romneys Kür. Amerika, du hast es besser

Am Freitag habe ich auf die Parallele zwischen dem Kandidaten Peer Steinbrück und dem Kandidaten Mitt Romney aufmerksam gemacht: Beide sind Politiker der Mitte, gekürt von einer Partei, die zum Rande hin tendiert; die SPD zum linken Rand, Romneys GOP zum rechten. Ihre jeweilige Partei hat den Kandidaten nicht als einen Helden auf den Schild gehoben, sondern eher gleich einer Kröte geschluckt. Man will schließlich die Macht; und die könnte man mit einem Rick Santorum, mit einem Ralf Stegner oder auch nur einem Sigmar Gabriel nicht erringen.

Freilich gibt es einen wesentlichen Unterschied zwischen den Kandidaten Mitt Romney und Peer Steinbrück: "Die Partei", die sich für ihn entschieden hat - das war bei Romney die Gesamtheit der interessierten Wähler. Ganz überwiegend republikanischer Wähler, aber in einigen Staaten der USA darf sich sogar jeder registrierte Wählern an den Vorwahlen beider Parteien beteiligen. (Ich habe über diesen sich über Monate erstreckenden Auswahlprozeß ausführlich in der Serie US-Präsidentschaftswahlen 2012, Folgen 1 bis 24, berichtet). Und wie war das bei Peer Steinbrück? Da gab es die sogenannte Troika. Über sie ist im aktuellen "Spiegel" (Heft 40/2012 vom 1. 10. 2012, S. 20) dies zu lesen:
Sie hatten sich auf ein friedliches, freundschaftliches Verfahren geeinigt. Die interne Hierarchie für die Kandidatur sah so aus: Wenn Gabriel will, wird es Gabriel. Steinmeier ist die Nummer zwei, Steinbrück die Nummer drei.
Freundschaftlich mag ein solches Verfahren sein. Mit einer demokratischen Entscheidung hat es ungefähr so viel zu tun wie die Bestimmung eines Regierungschefs in Cuba oder Nordkorea.

Niemand fragt die Wähler oder auch nur die Parteimitglieder, wen sie denn als ihren Kandidaten haben wollen. Keine der deutschen Parteien käme auf den Gedanken, einen solchen Ausleseprozeß zu organisieren, wie das die Staaten und die Parteien in den USA bei den Vorwahlen und den Caucuses tun.



Selbst wenn einmal - selten, und stets in einer verfahrenen personellen Situation - eine Partei ihre Mitglieder entscheiden läßt, beschränkt sich das auf einen einzigen Akt der Wahl zwischen wenigen Kandidaten; nicht vergleichbar mit den Vorwahlen in den USA.

So war es bei der SPD, als es 1993 schon einmal eine Troika gab; sich zusammensetzend aus Rudolf Scharping, Gerhard Schröder und Heidemarie Wieczorek-Zeul. Sie waren einander etwas weniger freundschaftlich gesonnen als die jetzt verblichene Troika. Es ging auch nicht um die Kanzler­kandidatur, sondern zunächst einmal um den Parteivorsitz, nachdem Björn Engholm hatte zurücktreten müssen.

Es wurde damals eine sogannte "Urwahl" unter den SPD-Mitgliedern veranstaltet. Damals siegte bekanntlich Scharping (formal hatte den Sieg danach noch ein Parteitag bestätigen müssen), an dem die SPD aber nicht sehr lange Freude hatte.

Sie arbeitet dann den Rest der Troika ab; inzwischen war Wieczorek-Zeul gegangen und Oskar Lafontaine hinzugestoßen: Den Vorsitzenden Scharping stürzte Oskar Lafontaine auf dem denkwürdigen Mannheimer Parteitag von 1995; seinerseits beerbt wurde Lafontaine 1999 von Gerhard Schröder. So hatte dann am Ende jeder einmal gedurft. Die Parteimitglieder hatten das ungefähr so stark beeinflußt wie TV-Zuschauer das Programm, wenn sie einen "Wunschfilm der Woche" wählen. Die beiden anderen zur Wahl gestellten Filme werden dann ein paar Wochen später gesendet.

Das zweite Beispiel für eine solche Beteiligung der Mitglieder ist derzeit bei den Grünen zu besichtigen. Sie konnten sich nicht einigen, wer denn Spitzenkandidat 2013 werden darf; und nun gibt es eine Urwahl, an der neben den vier KonkurrentInnen Trittin, Künast, Roth und Göring-Eckardt auch noch allerlei Vertreter der "Basis" teilnehmen; also chancenlose Bewerber.

Zur Regel wollte und will keine dieser Parteien ein solches, immerhin ein bißchen die Mitglieder beteiligendes, Verfahren machen; an eine wirkliche Entscheidung durch die Basis wie in den USA ist in Deutschland nicht zu denken.



Anläßlich der Präsidentschaftswahlen 2008 und der damals ungefähr zeitgleichen Entscheidung für Kurt Beck als den SPD-Vorsitzenden habe ich dieses Thema schon einmal behandelt (Zitat des Tages: Kurt Beck - der deutsche Barack Obama?; ZR vom 27. 2. 2008). Zitiert habe ich damals Gabor Steingart, seinerzeit noch "Spiegel"-Korrespondent in Washington und mittlerweile (seit 2010) Chefredakteur des "Handelsblatts":
Der deutsche Barack Obama heißt in gewisser Weise Kurt Beck. (...) Denn wenn nichts Unvorhergesehenes mehr passiert, ist Beck der Kandidat, mit dem die deutsche Sozialdemokratie in die Feldschlacht zieht. Ohne TV-Duell. Ohne Bürgergespräch. Ohne Gegenkandidat. Ohne wirkliche Wahl.
Jeder Vorstandsvorsitzende einer Aktien­gesellschaft wird in Deutschland demokratischer bestimmt als in der Regel ein Kanzlerkandidat; denn dort entscheidet der Aufsichtsrat.

Und zwar in einem geordneten Verfahren; so wie es vom Parteiengesetz in Paragraph 9 auch für die Wahl des Partei­vor­sitzenden bestimmt wird. Aber einen "Kanzlerkandidaten" oder einen bundesweiten "Spitzenkandidaten" kennt das Parteiengesetz nicht; es gibt formell nur die Spitzen­kandidaten der Landeslisten, die von den Vertreter­versamm­lungen der Parteien gewählt werden.

Die Spitzenkandidatur, die Kanzlerkandidatur kann man in Deutschland also auskungeln; mal "freundschaftlich" wie jetzt in der SPD, mal mit Hauen und Stechen wie in diesen Tagen bei den Grünen, ausnahmsweise unter Einbeziehung der "Basis".

Wäre ein demokratisches Verfahren wie in den USA auch in Deutschland möglich? Wohl kaum. In den USA spielen die Organisationen der Parteien nur eine untergeordnete Rolle; es gibt dort den direkten Kontakt des Kandidaten mit seinen Wählern. Die Kandidaten sind auch finanziell nicht von der Partei abhängig, sondern sie finanzieren ihre Wahlkämpfe ganz überwiegend aus Spenden, die an sie als Person gehen, nicht an die Partei.

Das alles könnte im deutschen politischen System nicht funktionieren.

Daß der einfache Bürger überhaupt an Parteien spendet, ist ein eher seltener Fall. Spenden natürlicher Personen machen überhaupt nur zwischen 6 Prozent (SPD) und 22 Prozent (CSU) der Einnahmen aus; und diese Spenden gehen eben an die Partei und nicht an Einzelkandidaten, so daß ein Vorwahlkampf wie in den USA in Deutschland überhaupt nicht finanzierbar wäre.

Aber das ist nur ein Aspekt. Die USA sind eine lebendige Demokratie, in der die Bürger ungleich mehr Anteil am politischen Geschehen nehmen als bei uns; nicht nur in dem Jahr vor der Wahl eines Präsidenten, sondern ständig im Kontakt mit ihrem Senator, mit dem von ihnen gewählten Abgeordneten des Repräsentantenhauses. Diesen schreibt man, ihnen schicken ihre Wähler SMS und E-Mails. So wissen sie ständig, was die Wähler von ihnen denken, was sie von ihnen erwarten. Und Teil dieser lebendigen Demokratie ist es eben auch, daß die Bürger selbst entscheiden wollen, wer für die Präsidentschaft kandidiert; statt daß dies die Bewerber "freundschaftlich" untereinander ausmachen.

Amerika, du hast es besser.
Zettel



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