Heute findet die zweite der Debatten vor der Präsidentschaftswahl statt; diesmal aber gewissermaßen als Stellvertreterduell: Zwischen dem fast 70jährigen Joseph Robinette Biden, Jr; genannt Joe Biden und Obamas Vizepräsident, und Paul Ryan, 42, der ihn gern in dieser Position beerben möchte.
Meist sind diese Duelle zwischen den Vize-Kandidaten eher Nebenschausplätze. Vor vier Jahren galt das Interesse eigentlich nur der Kandidatin Sarah Palin, die bis zu ihrer Nominierung ziemlich unbekannt gewesen war. Sie hielt sich damals, gemessen an den Erwartungen, erstaunlich wacker, auch wenn eine Mehrheit Biden als den Sieger sah.
Diesmal ist alles anders. Dieser Debatte wird eine wichtige, wenn auch vielleicht noch nicht die vorentscheidende Bedeutung für die letzte Phase des Wahlkampfs zugeschrieben. Das liegt an der Konstallation, die sich nach dem Duell Romney-Obama vor einer Woche ergeben hat. Sie ist durch fünf Aspekte gekennzeichnet:
1. Die Reaktion auf die Debatte am 3. Oktober. Bis zu der Debatte am Mittwoch vergangener Woche hatte Obama in den Umfragen deutlich in Führung gelegen. In dem Duell lieferte er eine traurige Vorstellung ab; zugleich gelang es Romney, kompetent, sympathisch und kraftvoll aufzutreten. Er wurde fast einhellig als der Sieger gesehen; sogar viele Demokraten räumten seinen Sieg ein (siehe Marginalie: Romney vs. Obama - einige weitere Informationen zur gestrigen Debatte; ZR vom 4. 10. 2012).
2. Die Entwicklung der Umfragewerte. Einige Tage nach der Debatte begannen Obamas Umfragewerte zu fallen und diejenigen Romneys entsprechend zu steigen (siehe Romneys Umfragewerte steigen deutlich an. Warum Obama trotzdem weiter die besseren Chancen hat; ZR vom 7. 10. 2012). Diese Entwicklung hat inzwischen ein nachgerade dramatisches Ausmaß erreicht.
Am aussagekräftigsten sind nicht einzelne Umfragen, sondern die polls of polls, die alle verfügbaren Umfragedaten zusammenfassen (aggregieren). Bei Pollster hatte Obama am 22. September noch mit 4,6 Prozentpunkten Differenz vorn gelegen. Seit dem 5. Oktober liegen beide faktisch gleichauf (letzter Wert am 8. Oktober: Obama 47,1; Romney 46,7). Bei RealClearPolitics liegt Romney sogar mit inzwischen (am 11. Oktober) 1,5 Prozentpunkten Differenz vorn (47,6 zu 46,1 Prozent). Auch dort hatte Obama am 22. September noch einen komfortablen Vorsprung gehabt (48,1 zu 44,8 Prozent).
3. Bounce oder Wende im Wahlkampf? Dieser Umschwung könnte eine vorübergehende Reaktion der Wähler sein; vergleichbar dem convention bounce; dem üblichen vorübergehenden Anstieg der Werte für eine Partei nach deren Wahlparteitag. Er könnte aber auch die Wende in diesem Wahlkampf bedeuten.
Sehen Sie sich einmal die Grafik bei RealClearPolitics an. Sie zeigt nicht nur den Verlauf der Umfragewerte in diesem Jahr, sondern gestrichtelt zum Vergleich auch die Kurven für Obama vs. McCain im Wahlkampf 2008. Bis Mitte September hatten die beiden Kandidaten nah beieinander gelegen; dann zog Obama davon und siegte am Ende souverän.
Im September fängt bei solchen Wahlen in den USA die heiße Phase des Wahlkampfs an. Von da an beginnen sich viele Bürger überhaupt erst für das Thema zu interessieren. Es gibt ab Ende August/Anfang September die Parteitage, dann die Debatten. Die Kandidaten verstärken ihre Werbung und mobilisieren ihre Anhänger.
Es ist nicht selten, daß in dieser Zeit eine Wende stattfindet. So war es beispielsweise auch im Wahlkampf 2004, als bis in den September hinein Bush und Kerry nahezu gleichauf gelegen hatten, bevor der Umschwung zugunsten von Bush einsetzte, der zu einer anhaltenden Wende wurde.
4. Warum war Obama in der Debatte so schlecht? Ob es diesmal ein bounce sein wird oder die Wende, hängt erstens davon ab, wie Obamas Versagen in der Debatte am 3. Oktober zu erklären ist.
Es könnte sein, daß er im Gefühl eines deutlichen Vorsprungs und in Obama-typischer Selbstüberschätzung die Herausforderung nicht sonderlich ernstgenommen und sich schlecht vorbereitet hatte. Es könnte sein, daß ihm die Zeit zur Vorbereitung wegen dringender Regierungsgeschäfte gefehlt hatte; man weiß ja beispielsweise nicht, welche diplomatischen Aktivitäten rund um die Krisenherde des Nahen Ostens in diesen Tagen die volle Arbeitskraft eines Präsidenten verlangen.
Es gibt aber auch eine andere Möglichkeit, die Dana Milbank nach der Debatte in der Washington Post dargelegt hat: Daß der Kaiser Obama an diesem Mittwoch nackt dastand, weil er nie Kleider angehabt hatte.
Milbank weist darauf hin, daß Obama während der vier Jahre seiner Amtszeit eine aristokratische Abgehobenheit gegenüber den Medien an den Tag gelegt und sich kaum irgendeiner Konfrontation gestellt hat. Er habe einen "modernen Rekord aufgestellt, was das Ausweichen vor den Medien angeht". Ebenso habe er die Debatte mit Abgeordneten und Senatoren vermieden. Stattdessen habe er gern "weiche" Interviews in Shows und dergleichen gegeben (nicht selten zusammen mit Michelle), in denen er freundliche Fragen dankbarer Moderatoren huldvoll entgegennahm.
Vielleicht haben wir also am Mittwoch vergangener Woche schlicht den wahren Obama erlebt? Den Barack Obama, der ohne Teleprompter auskommen muß; der sich einem gut präparierten Gegner gegenübersieht? Auch 2008 war Obama in Debatten selten überzeugend gewesen; aber seine Gegenspieler waren damals schwach, und Obamas Erlöser-Attitüde verdeckte jede eigene Schwäche (siehe hier).
5. Mobilisierung der Wähler. Ob Barack Obama in der Lage ist, in den verbleibenden Debatten eine andere Leistung zu zeigen als in der ersten, ist einer der beiden Faktoren, die dadrüber entscheiden werden, ob Romneys jetziger Aufschwung ein bounce bleibt oder zur Wende wird. Der zweite ist die Mobilisierung der Wähler.
2008 war Obama hier im Vorteil gewesen; der Begeisterung, die er mit seinem Yes we can entfachte, hatte der zurückhaltend-nüchterne John McCain wenig entgegenzusetzen. Lange sah es so aus, als könne auch diesmal wieder Obama seine Wähler besser mobilisieren als Romney. Das hat sich inzwischen geändert.
In einer Umfrage Anfang Oktober sagten 64 Prozent der Republikaner, daß sie diesmal bei den Wahlen stärker engagiert seien als üblich; aber nur 48 Prozent der Demokraten. Die Daten von Pew Research zeigen, daß auch Mitt Romney persönlich auf diesem Feld inzwischen kräftig aufgeholt hat. Im Juli sagten noch 64 Prozent der Obama-Wähler, aber nur 34 Prozent der Romney-Wähler, daß sie ihren Kandidaten "stark" unterstützten. Im Oktober liegen beide gleichauf bei 67 bzw. 68 Prozent.
Besonders schlagend sind die Daten von Gallup. Dessen daily tracking hatte zunächst nur eine repräsentative Stichprobe aller in das Wählerverzeichnis Eingetragenen umfaßt (registered voters, RV). Seit dem 1. Oktober wird zusätzlich die Meinung von likely voters (LV) erhoben; das sind Bürger, die nach bestimmten Kriterien (z.B. ihr bisheriges Wahlverhalten, ihr politisches Interesse) wahrscheinlich am 6. November wählen gehen werden. Diese Daten fallen völlig verschieden aus. Bei den RV lag Obama am 9. Oktober mit 49 zu 46 Prozent vorn; bei LV aber führte Romney mit 49 zu 47 Prozent.
Bei dieser Diskrepanz dürften zwei Gründe eine Rolle spielen:
Erstens sind die Wähler der GOP traditionell mehrheitlich stärker politisch interessiert als diejenigen der Demokraten; was unter anderem daran liegt, daß sie eine bessere Schulbildung haben (lediglich bei den postgraduates - Personen, die einen höheren akademischen Grad haben als den College-Abschluß - kehrt sich das wieder um).
Zweitens mußte bisher Romney härter kämpfen als Obama. Viele von dessen Wählern dürften die Wahl schon für entschieden gehalten haben. Es kann sein, daß sie sich jetzt, wo es knapp wird, stärker mobilisieren lassen. Neben dem Auftreten Obamas in den beiden ausstehenden Debatten dürfte dieser Aspekt der Mobilisierung ausschlaggebend dafür werden, wer am 6. November gewinnt.
Und die Debatte heute Nacht? Ihre Bedeutung rührt vor allem daher, daß sie sich wahrscheinlich auf die Umfragewerte der kommenden Tage auswirken wird. Siegt Ryan überzeugend, dann wird das den Aufschwung Romneys verstärken und damit die Wahrscheinlichkeit erhöhen, daß er zum Anfang einer Wende wird, die bis zum Wahltag trägt. Gelingt andererseits Joe Biden der überzeugendere Auftritt, dann könnte es mit den Werten Romneys wieder abwärts gehen, und der jetzige Aufschwung hätte eher den Charakter eines bounce.
Wer besser abschneiden wird, ist kaum vorherzusagen. Wie beispielsweise Dan Balz in der Washington Post schreibt, ist Biden der geübtere Debattierer; nach Jahrzehnten in Washington erfahren im politischen Geschäft. Der jungen Paul Ryan gilt andererseits als intelligent, geradeheraus und authentisch, während Biden eher als ein Taktierer erscheint.
Biden neigt zur Weitschweifigkeit und zu schon fast legendären Ungeschicklicklichkeiten im Ausdruck (den Biden gaffes). Ryan wirkt mit seiner schneidenden Intelligenz manchmal arrogant, ist aber ein charismatischer Redner (siehe Die USA haben einen neuen Politstar; ZR vom 30. 8. 2012). Es besteht für ihn die Gefahr, Biden mit seiner Überlegenheit niederringen zu wollen und dadurch unsympathisch zu wirken. Biden andererseits, der ewig Lächelnde, ist der Typ Politiker, der seinen Arm um jeder Schulter legt, derer er habhaft werden kann.
Er könnte als Sieger der Herzen aus der Debatte herausgehen, auch wenn Ryan mit seiner Intelligenz und seinem Detailwissen brilliert. Schafft es Ryan andererseits, so wie Romney letzte Woche zugleich kompetent und sympathisch aufzutreten, dann dürfte Biden dem wenig entgegenzusetzen haben. Die Ausgangslage ist für beide gleich: Wie Gallup heute mitteilt, liegen in dessen letzter Umfrage Biden und Ryan mit Sympathiewerten von 44 bzw. 43 Prozent gleichauf.
Meist sind diese Duelle zwischen den Vize-Kandidaten eher Nebenschausplätze. Vor vier Jahren galt das Interesse eigentlich nur der Kandidatin Sarah Palin, die bis zu ihrer Nominierung ziemlich unbekannt gewesen war. Sie hielt sich damals, gemessen an den Erwartungen, erstaunlich wacker, auch wenn eine Mehrheit Biden als den Sieger sah.
Diesmal ist alles anders. Dieser Debatte wird eine wichtige, wenn auch vielleicht noch nicht die vorentscheidende Bedeutung für die letzte Phase des Wahlkampfs zugeschrieben. Das liegt an der Konstallation, die sich nach dem Duell Romney-Obama vor einer Woche ergeben hat. Sie ist durch fünf Aspekte gekennzeichnet:
1. Die Reaktion auf die Debatte am 3. Oktober. Bis zu der Debatte am Mittwoch vergangener Woche hatte Obama in den Umfragen deutlich in Führung gelegen. In dem Duell lieferte er eine traurige Vorstellung ab; zugleich gelang es Romney, kompetent, sympathisch und kraftvoll aufzutreten. Er wurde fast einhellig als der Sieger gesehen; sogar viele Demokraten räumten seinen Sieg ein (siehe Marginalie: Romney vs. Obama - einige weitere Informationen zur gestrigen Debatte; ZR vom 4. 10. 2012).
2. Die Entwicklung der Umfragewerte. Einige Tage nach der Debatte begannen Obamas Umfragewerte zu fallen und diejenigen Romneys entsprechend zu steigen (siehe Romneys Umfragewerte steigen deutlich an. Warum Obama trotzdem weiter die besseren Chancen hat; ZR vom 7. 10. 2012). Diese Entwicklung hat inzwischen ein nachgerade dramatisches Ausmaß erreicht.
Am aussagekräftigsten sind nicht einzelne Umfragen, sondern die polls of polls, die alle verfügbaren Umfragedaten zusammenfassen (aggregieren). Bei Pollster hatte Obama am 22. September noch mit 4,6 Prozentpunkten Differenz vorn gelegen. Seit dem 5. Oktober liegen beide faktisch gleichauf (letzter Wert am 8. Oktober: Obama 47,1; Romney 46,7). Bei RealClearPolitics liegt Romney sogar mit inzwischen (am 11. Oktober) 1,5 Prozentpunkten Differenz vorn (47,6 zu 46,1 Prozent). Auch dort hatte Obama am 22. September noch einen komfortablen Vorsprung gehabt (48,1 zu 44,8 Prozent).
3. Bounce oder Wende im Wahlkampf? Dieser Umschwung könnte eine vorübergehende Reaktion der Wähler sein; vergleichbar dem convention bounce; dem üblichen vorübergehenden Anstieg der Werte für eine Partei nach deren Wahlparteitag. Er könnte aber auch die Wende in diesem Wahlkampf bedeuten.
Sehen Sie sich einmal die Grafik bei RealClearPolitics an. Sie zeigt nicht nur den Verlauf der Umfragewerte in diesem Jahr, sondern gestrichtelt zum Vergleich auch die Kurven für Obama vs. McCain im Wahlkampf 2008. Bis Mitte September hatten die beiden Kandidaten nah beieinander gelegen; dann zog Obama davon und siegte am Ende souverän.
Im September fängt bei solchen Wahlen in den USA die heiße Phase des Wahlkampfs an. Von da an beginnen sich viele Bürger überhaupt erst für das Thema zu interessieren. Es gibt ab Ende August/Anfang September die Parteitage, dann die Debatten. Die Kandidaten verstärken ihre Werbung und mobilisieren ihre Anhänger.
Es ist nicht selten, daß in dieser Zeit eine Wende stattfindet. So war es beispielsweise auch im Wahlkampf 2004, als bis in den September hinein Bush und Kerry nahezu gleichauf gelegen hatten, bevor der Umschwung zugunsten von Bush einsetzte, der zu einer anhaltenden Wende wurde.
4. Warum war Obama in der Debatte so schlecht? Ob es diesmal ein bounce sein wird oder die Wende, hängt erstens davon ab, wie Obamas Versagen in der Debatte am 3. Oktober zu erklären ist.
Es könnte sein, daß er im Gefühl eines deutlichen Vorsprungs und in Obama-typischer Selbstüberschätzung die Herausforderung nicht sonderlich ernstgenommen und sich schlecht vorbereitet hatte. Es könnte sein, daß ihm die Zeit zur Vorbereitung wegen dringender Regierungsgeschäfte gefehlt hatte; man weiß ja beispielsweise nicht, welche diplomatischen Aktivitäten rund um die Krisenherde des Nahen Ostens in diesen Tagen die volle Arbeitskraft eines Präsidenten verlangen.
Es gibt aber auch eine andere Möglichkeit, die Dana Milbank nach der Debatte in der Washington Post dargelegt hat: Daß der Kaiser Obama an diesem Mittwoch nackt dastand, weil er nie Kleider angehabt hatte.
Milbank weist darauf hin, daß Obama während der vier Jahre seiner Amtszeit eine aristokratische Abgehobenheit gegenüber den Medien an den Tag gelegt und sich kaum irgendeiner Konfrontation gestellt hat. Er habe einen "modernen Rekord aufgestellt, was das Ausweichen vor den Medien angeht". Ebenso habe er die Debatte mit Abgeordneten und Senatoren vermieden. Stattdessen habe er gern "weiche" Interviews in Shows und dergleichen gegeben (nicht selten zusammen mit Michelle), in denen er freundliche Fragen dankbarer Moderatoren huldvoll entgegennahm.
Vielleicht haben wir also am Mittwoch vergangener Woche schlicht den wahren Obama erlebt? Den Barack Obama, der ohne Teleprompter auskommen muß; der sich einem gut präparierten Gegner gegenübersieht? Auch 2008 war Obama in Debatten selten überzeugend gewesen; aber seine Gegenspieler waren damals schwach, und Obamas Erlöser-Attitüde verdeckte jede eigene Schwäche (siehe hier).
5. Mobilisierung der Wähler. Ob Barack Obama in der Lage ist, in den verbleibenden Debatten eine andere Leistung zu zeigen als in der ersten, ist einer der beiden Faktoren, die dadrüber entscheiden werden, ob Romneys jetziger Aufschwung ein bounce bleibt oder zur Wende wird. Der zweite ist die Mobilisierung der Wähler.
2008 war Obama hier im Vorteil gewesen; der Begeisterung, die er mit seinem Yes we can entfachte, hatte der zurückhaltend-nüchterne John McCain wenig entgegenzusetzen. Lange sah es so aus, als könne auch diesmal wieder Obama seine Wähler besser mobilisieren als Romney. Das hat sich inzwischen geändert.
In einer Umfrage Anfang Oktober sagten 64 Prozent der Republikaner, daß sie diesmal bei den Wahlen stärker engagiert seien als üblich; aber nur 48 Prozent der Demokraten. Die Daten von Pew Research zeigen, daß auch Mitt Romney persönlich auf diesem Feld inzwischen kräftig aufgeholt hat. Im Juli sagten noch 64 Prozent der Obama-Wähler, aber nur 34 Prozent der Romney-Wähler, daß sie ihren Kandidaten "stark" unterstützten. Im Oktober liegen beide gleichauf bei 67 bzw. 68 Prozent.
Besonders schlagend sind die Daten von Gallup. Dessen daily tracking hatte zunächst nur eine repräsentative Stichprobe aller in das Wählerverzeichnis Eingetragenen umfaßt (registered voters, RV). Seit dem 1. Oktober wird zusätzlich die Meinung von likely voters (LV) erhoben; das sind Bürger, die nach bestimmten Kriterien (z.B. ihr bisheriges Wahlverhalten, ihr politisches Interesse) wahrscheinlich am 6. November wählen gehen werden. Diese Daten fallen völlig verschieden aus. Bei den RV lag Obama am 9. Oktober mit 49 zu 46 Prozent vorn; bei LV aber führte Romney mit 49 zu 47 Prozent.
Bei dieser Diskrepanz dürften zwei Gründe eine Rolle spielen:
Erstens sind die Wähler der GOP traditionell mehrheitlich stärker politisch interessiert als diejenigen der Demokraten; was unter anderem daran liegt, daß sie eine bessere Schulbildung haben (lediglich bei den postgraduates - Personen, die einen höheren akademischen Grad haben als den College-Abschluß - kehrt sich das wieder um).
Zweitens mußte bisher Romney härter kämpfen als Obama. Viele von dessen Wählern dürften die Wahl schon für entschieden gehalten haben. Es kann sein, daß sie sich jetzt, wo es knapp wird, stärker mobilisieren lassen. Neben dem Auftreten Obamas in den beiden ausstehenden Debatten dürfte dieser Aspekt der Mobilisierung ausschlaggebend dafür werden, wer am 6. November gewinnt.
Und die Debatte heute Nacht? Ihre Bedeutung rührt vor allem daher, daß sie sich wahrscheinlich auf die Umfragewerte der kommenden Tage auswirken wird. Siegt Ryan überzeugend, dann wird das den Aufschwung Romneys verstärken und damit die Wahrscheinlichkeit erhöhen, daß er zum Anfang einer Wende wird, die bis zum Wahltag trägt. Gelingt andererseits Joe Biden der überzeugendere Auftritt, dann könnte es mit den Werten Romneys wieder abwärts gehen, und der jetzige Aufschwung hätte eher den Charakter eines bounce.
Wer besser abschneiden wird, ist kaum vorherzusagen. Wie beispielsweise Dan Balz in der Washington Post schreibt, ist Biden der geübtere Debattierer; nach Jahrzehnten in Washington erfahren im politischen Geschäft. Der jungen Paul Ryan gilt andererseits als intelligent, geradeheraus und authentisch, während Biden eher als ein Taktierer erscheint.
Biden neigt zur Weitschweifigkeit und zu schon fast legendären Ungeschicklicklichkeiten im Ausdruck (den Biden gaffes). Ryan wirkt mit seiner schneidenden Intelligenz manchmal arrogant, ist aber ein charismatischer Redner (siehe Die USA haben einen neuen Politstar; ZR vom 30. 8. 2012). Es besteht für ihn die Gefahr, Biden mit seiner Überlegenheit niederringen zu wollen und dadurch unsympathisch zu wirken. Biden andererseits, der ewig Lächelnde, ist der Typ Politiker, der seinen Arm um jeder Schulter legt, derer er habhaft werden kann.
Er könnte als Sieger der Herzen aus der Debatte herausgehen, auch wenn Ryan mit seiner Intelligenz und seinem Detailwissen brilliert. Schafft es Ryan andererseits, so wie Romney letzte Woche zugleich kompetent und sympathisch aufzutreten, dann dürfte Biden dem wenig entgegenzusetzen haben. Die Ausgangslage ist für beide gleich: Wie Gallup heute mitteilt, liegen in dessen letzter Umfrage Biden und Ryan mit Sympathiewerten von 44 bzw. 43 Prozent gleichauf.
Zettel
© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Das Lansdowne-Porträt von George Washington, gemalt von Gilbert Stuart (1796). National Portrait Gallery der Smithsonian Institution. Das Porträt zeigt Washington, wie er auf eine weitere (dritte) Amtszeit verzichtet. Links zu allen Beiträgen dieser Serie finden Sie hier. Siehe auch die Serie Der 44. Präsident der USA von 2008.