6. Oktober 2012

Zettels Meckerecke: "Immer mehr Arbeitnehmer brauchen einen Zweitjob, um ihre Existenz zu sichern". Wie Medien die Sprachreglung der Kommunisten übernehmen

"Immer mehr Arbeitnehmer in Deutschland brauchen einen Zweitjob, um ihre Existenz zu sichern. Die Zahl hat sich laut Arbeitsagentur in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt. Die Politik macht vor allem die Arbeitgeber für die Entwicklung verantwortlich". So kann man es heute beispielsweise im "Kölner Stadt-Anzeiger" lesen. Auch "Spiegel-Online" titelt, wie ähnlich viele andere Medien, "Immer mehr Deutsche brauchen einen Zweitjob".

Brauchen immer mehr Deutsche einen Zweitjob, um ihre Existenz zu sichern? Es gibt dafür nicht den Schatten eines Hinweises. Was es gibt, ist nur die Statistik der Bundesagentur für Arbeit, die man sich beispielsweise bei FAZ.Net ansehen kann.

Danach stieg die Zahl derer, die neben ihrem Hauptberuf noch einen Minijob auf 400-Euro-Basis haben, seit 2003 von 1,16 auf 2,52 Millionen (erstes Quartal 2012). Daß dieser Zuwachs etwas mit der Notwendigkeit zu tun hat, seine Existenz zu sichern, besagen diese Zahlen nicht. Auch die Bundesagentur für Arbeit sagt das nicht.

Die Fakten sprechen vielmehr dagegen, daß dies die Ursache für die Zunahme der Zweitjobs ist.

Tatsächlich - und das erwähnt sogar "Spiegel-Online" - ist die Zahl derer mit einem Zweitjob nämlich nicht dort hoch, wo es den Menschen vergleichsweise schlecht geht. In Mecklenburg-Vorpommern beispielsweise liegt sie bei nur 4,7 Prozent. Im reichen Baden-Württemberg hingegen haben 11,4 Prozent der Arbeitnehmer einen solchen Nebenverdienst.

Nebenverdienste hat es immer gegeben; Beamte müssen sie sich bekanntlich vom Dienstherren genehmigen lassen. Der Briefträger verkauft nebenher Versicherungen, der Lehrer gibt Kurse an der Volkshochschule, der Professor schreibt ein Lehrbuch oder hält Vorträge vor Managern.

In der Regel haben derartige Nebenverdienste nichts mit Existenzsicherung zu tun, sondern wer durch seinen Beruf nicht voll ausgelastet ist, der verdient sich gern ein Zubrot; zur Steigerung des Lebensstandards, für eine schöne Urlaubsreise, für die Alterssicherung oder aus welchem Motiv auch immer. Ein prominenter derartiger Nebenjobber, mit dem sich just in diesen Tagen die Medien befassen, ist in seiner Haupttätigkeit Abgeordneter des Deutschen Bundestags.



Und warum nehmen nun die 400-Euro-Nebenjobs seit 2003 zu? Den wesentlichen Hinweis auf die tatsächlichen Motive liefert die Gesetzesänderung aus dem Jahr 2003. Damals wurde es erlaubt, neben einer versicherungspflichtigen Hauptbeschäftigung einen 400-Euro-Job zu haben, für den der Beschäftigte weder Steuern noch Sozialabgaben entrichten muß.

In der FAZ erläutert heute Sven Astheimer die Folgen für Arbeitnehmer:
Würden sie dieselbe Mehrarbeit als Überstunden im Haupterwerb leisten, bliebe nach Steuern und Abgaben deutlich weniger über als im Minijob, mit dem derzeit 400 und nach dem Willen von Schwarzgelb bald 450 Euro im Monat brutto für netto hinzuverdient werden können.

Die unterschiedliche Behandlung von Erwerbseinkommen schafft schiefe Anreize. Die heftig nach oben schießende Steuerprogression ist die Wurzel des Übels, durch sie lohnt sich Mehrarbeit oft nicht.
Wer sich etwas hinzuverdienen will, der tut das also vernünftigerweise nicht durch Überstunden in seinem Hauptberuf, sondern, wenn er die Gelegenheit dazu hat, in Form eines 400-Euro-Nebenjobs.



Mit der "Sicherung der Existenz" hat das genau nichts zu tun. Wie kommt es zu dieser Ente? Zunächst hatte über die Zunahme dieser Zweitjobs die "Saarbrücker Zeitung" berichtet und gleich auch die Erklärung mitgeliefert:
"Dass immer mehr Beschäftigte neben ihrer Haupttätigkeit einem Zweitjob nachgehen, ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass Arbeit nicht mehr existenzsichernd ist und das Geld aus einem Job nicht mehr ausreicht", sagte die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Linken, Sabine Zimmermann, unserer Zeitung. Das Vollarbeitsverhältnis, aus dem man sein Leben bestreiten könne, werde immer weiter zurückgedrängt.
Später in dem Artikel werden zwar die Zahlen genannt, die diese These widerlegen; und es wird sogar eine Grüne zitiert, die diese Nebenjobber als "durchaus qualifizierte Leute" bezeichnet.

Aber das Märchen von den Armen, die nur mit einem Nebenjob ihre Existenz sichern können, ist natürlich politisch viel korrekter. Die Kommunistin Zimmermann hatte es in die Welt gesetzt, und viele Medien erzählten es gehorsam weiter.

Wer sich bei diesem Thema auskennt, der glaubt freilich nicht an Märchen. Gestern sagte im Deutschlandfunk Hilmar Schneider, Direktor für Arbeitsmarktpolitik beim Forschungs­institut zur Zukunft der Arbeit in Bonn:
Der Verdacht liegt nahe, dass es hier ein, sagen wir mal, Armutsproblem geben könnte, dass also Menschen, weil sie mit dem Geld nicht über die Runden kommen, unbedingt noch einen zweiten Job brauchen. Aber ich glaube, das ist nicht wirklich die treibende Kraft, sondern es ist tatsächlich so, dass die Bedingungen für Zweitjobs so günstig sind, dass das sowohl für Arbeitgeber als auch für Arbeitnehmer eine attraktive Möglichkeit ist, sich was dazuzuverdienen. (...)

Es ist tatsächlich so, dass der eine oder andere auch Zeit hat, und sagen wir mal, wenn Sie 35 Stunden in der Woche arbeiten, oder bei VW gibt es zum Teil sogar das 32-Stunden-Modell, dann haben die Leute auch Zeit, sich im Nebenjob noch was dazuzuverdienen, und das machen die gerne, weil sie sich vielleicht ein neues Auto kaufen wollen, oder weil sie einen Umbau finanzieren wollen oder solche Dinge. Das hat mit Existenzminimum wenig zu tun, aber sehr viel damit, dass einfach die Hinzu­verdienst­möglichkeiten sehr attraktiv sind.
Das ist die Sicht eines Fachmanns. Die Schlagzeilen aber - viele jedenfalls - werden durch kommunistische Agitprop bestimmt.
Zettel



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