4. Oktober 2012

US-Präsidentschaftswahlen 2012 (35): Klarer Sieg für Romney. Ein Live-Kommentar zur Debatte

Ich schreibe diesen Kommentar, während die Debatte läuft. Für den Hintergrund und die Bedeutung des Duells vor allem für Mitt Romney siehe die vorausgehende Folge.

3.01 Uhr Jim Lehrer, der vor den beiden Kandidaten sitzt (sie stehen an Stehpulten) eröffnet die Debatte mit der Zusammenfassung der Formalien: Sechs thematische Abschnitte von je ungefähr 15 Minuten. Lehrer hat die Fragen ausgewählt; unter Berücksichtigung von Vorschlägen, die via Internet eingesandt worden waren. Die erste Antwort wird - das wurde ausgelost - Obama geben; die letzte dafür Romney. Jeder hat zunächst zwei Minuten, dann wird nachgefragt und diskutiert.


Erstes Thema: Schaffung neuer Arbeitsplätze. Obama erinnert an die Krise vor vier Jahren und lobt die Schaffung neuer Arbeitsplätze vor allem in der Autoindustrie; auch der Wohnungsbau ziehe wieder an. Er spricht die Mittelklasse an; um diese gehe es, und um einen "ökonomischen Patriotismus".

Romney beginnt mit einem Beispiel für das Schicksal von Arbeitslosen. Er wird dann sofort konkret und erinnert an seinen Fünf-Punkte-Plan: Autonomie der USA auf dem Energiesektor; Schutz der Industrie vor unfairem Wettbewerb vor allem aus China; Verbesserung von Bildung und Berufsausbildung; ein ausgeglichener Haushalt; bessere Rahmenbedingungen für kleine Unternehmen.

Obama widerspricht diesen Zielen nicht, bezweifelt aber, daß man sie erreichen kann, wenn zugleich die Steuern so gesenkt werden, wie Romney das will (im Schnitt um 20 Prozent). Romneys Antwort: Es werde unter ihm keine Steuersenkungen geben, die zu einer Erhöhung des Staatsdefizits führen würden.

Damit ist der erste Schlagabtausch eröffnet. Romneys Position: Die Steuern können gesenkt werden, wenn zugleich Schlupflöcher geschlossen und Steuervergünstigungen abgeschafft werden. Zweitens werde er nicht die Steuern für Reiche senken; sondern die für die Mittelschicht. Wenn die Wirtschaft anspringt, so Romney weiter, dann kommt trotz niedrigerer Steuersätze mehr Geld in die Staatskasse, weil mehr Menschen gut verdienen.

Das ist ein erster starker Moment Romneys. Obama - man sieht die ganze Zeit beide Kontrahenten auf dem Bildschirm - zeigt ein verkniffenes Gesicht. Er antwortet dann, das ginge eben nicht, was Romney ankündige. Und merkt an, für Romney seien wohl auch Millionäre "kleine Unternehmen".

Romneys Replik: Aber es seien diese Unternehmen, die Jobs schaffen. Obama wolle deren Steuern erhöhen, er sie senken. "Meine Priorität sind Arbeitsplätze".

Die Zeit ist längst überzogen; aber Obama setzt noch einmal zu einem längeren Statement an. Romney wehrt sich erneut dagegen, daß sein Plan falsch dargestellt wird.

Nach meinem Eindruck geht diese erste Runde an Romney. Anders als Obama war er konkret, hat Zahlen genannt und es geschafft, daß sich die Debatte um seinen Plan dreht. Obama war eher in der Defensive.



3.26 Uhr. Zweites Thema: Das Haushaltsdefizit. Romney darf anfangen und zählt wieder im einzelnen die Maßnahmen auf, die er vorhat. Er geht Obama wegen der hohen Schulden während seiner Amtszeit an. Obama kündigt seinerseits einen Plan zur Reduzierung des Defizits an. Er wirft Romney vor, die von diesem geplanten Kürzungen würden Hilfsbedürftige treffen, Behinderte zum Beispiel.

Obama kommt immer wieder auf Bildung und Ausbildung zurück. Dies sei der Schlüssel zu mehr Wachstum, nicht die Senkung von Steuern für Unternehmen wie Exxon, die genug Geld hätten. (Ein Anflug von Klassenkampf deutet sich hier an; aber nur ein Anflug).

Romney geht auf den Föderalismus ein. Aufgaben könnten von der Bundesregierung auf die Staaten übertragen werden, die sie vor Ort besser lösen könnten. (Dieses Thema wird er immer wieder variieren: Stärkung der Einzelnen, der unteren Ebenen; nicht der Zentralregierung in Washington).

Auch diese Runde gewann Romney, wenn auch weniger klar als die erste. Er war präziser und konkreter und erreichte es, daß wiederum die Debatte um seine Pläne kreiste.



3.40 Uhr. Drittes Thema: Sozial- und Gesundheitspolitik. Zum Thema Sozialversicherung gebe es wenige Differenzen, beginnt Obama; wohl aber zur Krankenversicherung. Romney geht auf Medicare ein; die staatliche Gesundheitsversorgung für Senioren, die sich keine eigene Versicherung leisten können. Dort hätte Obama massive Kürzungen vorgenommen, zu Lasten der Alten.

Obama kontert mit einer Attacke auf Paul Ryans Plan, Senioren die eigene private Versicherung durch staatliche Zuschüsse zu ermöglichen. Das würde trotz der Zuschüsse immer noch eine zu hohe finanzielle Belastung für viele dieser Menschen bedeuten.

Romney will jedem die Wahl lassen, ob er sich mit Hilfe von Zuschüssen selbst versichert, oder ob er weiter Medicare nutzt.

Obama argumentiert gegen Privatversicherungen: Sie wollten Profit machen und hätten höhere Verwaltungskosten als die staatliche Medicare. Romney widerspricht: Privatunternehmen würden immer günstiger arbeiten als eine Behörde.

Eine schwache Runde beider Kandidaten, mit leichten Vorteilen für Romney.



3.51 Uhr. Viertes Thema: Staatliche Regulierung. Romney beginnt: Er sei nicht grundsätzlich gegen staatliche Regulierung; jede freie Wirtschaft brauche sie. Er sei aber gegen Überregulierung.

Obama hat jetzt seinen ersten starken Moment. Er fragt - und blickt dabei in die Kamera, die Zuschauer direkt ansprechend - : Glauben Sie, daß die Finanzkrise durch die Wall Street ausgelöst wurde oder durch zu viel staatliche Regulierung? Man merkt seiner Mimik an, daß er hier einen Treffer gelandet hat.

Die Debatte kreist dann vor allem um Obamacare als Beispiel staatlicher Regulierung. Romney attackiert Obamacare, weil dadurch Jobs vernichtet würden und die Schaffung neuer Arbeitsplätze verhindert werde; denn die Unternehmen würden durch Obamacare verpflichtet, Versicherungen für ihre Arbeitnehmer zu kaufen.

Obama wird jetzt erstmals konkret und zählt die Vorteile von Obamacare auf: Der Staat wolle nicht die Kranken­versicherung übernehmen, sondern nur die privaten Versicherer besser regulieren, so daß sie beispielsweise Kinder mitversichern und Menschen mit Vorerkrankungen aufnehmen müssen.

Auf diese gute Passage Obamas reagiert Romney mit einer ebenfalls starken Entgegnung. Er vergleicht Obamacare mit seiner eigenen Gesundheitsreform als Gouverneur von Massachussetts: Damals hätte er beide Parteien zusammen­gebracht. Obama aber habe den Kongreß mit Obamacare gespalten. "Was wir in Massachussetts gemacht haben, ist auch das Richtige für Amerika".

Obamas stärkstes Argument in dieser Runde: Romney sei gegen Obamacare, hätte aber keine funktionierendes Gegenkonzept. Romneys bester Augenblick: Sein Plädoyer für einen freien Markt statt eines Gesundheitssystems unter staatlicher Kontrolle.

Ich würde diese Runde als ausgeglichen werten. Anfangs war Obama besser, dann Romney.



4.13 Uhr. Fünftes Thema: Die Rolle der Bundesregierung in Washington. Obama darf beginnen und geht erneut auf das Thema Bildung ein. Hier sei die Bundesregierung gefragt, weil die Staaten in diesem Bereich nicht genügend tun könnten.

Romney nennt die Bereiche, in denen nach seiner Meinung die Bundesregierung gefragt ist, und geht dabei von der US-Verfassung aus: Schutz des Landes durch ein starkes Militär; Bewahrung der Freiheit und der Chance für jeden auf the pursuit of happiness; die von den Gründervätern versprochene Chance, sein Glück zu machen.

Es geht dann noch einmal um Bildung: Romney tritt dafür ein, die Staaten und Kommunen selbst über ihre Bildungs­einrichtungen entscheiden zu lassen. Er erwähnt wieder seine eigene Zeit als Gouverneur des Staats Massachussetts mit seinen ausgezeichneten Bildungseinrichtungen.

Obama wirft Romney vor, er wolle das Bildungsbudget kürzen; dieser bestreitet das entschieden und geht zum Angriff über: Obama habe 90 Milliarden Dollar für die Schaffung grüner Jobs ausgegeben - dafür hätte man zahlreiche weitere Lehrer finanzieren können.

Auch hier war Romney wieder präziser und dürfte durch seine Erinnerung an die Verfassung - die Obama kein einziges Mal erwähnte - weitere Punkte gesammelt haben.



4.24 Uhr. Sechstes Thema: Zusammenarbeit zwischen den beiden Parteien. Romney verweist nochmals auf seine Zeit als Gouverneur von Massachussetts, als er mit einem demokratisch dominierten Kongreß gut zusammengearbeitet habe.

Obama kommt auf die Tötung von Bin Laden zu sprechen; da sei man sich einig gewesen. Aber man müsse auch nein sagen können. Seitenhieb gegen Romney: Das tue dieser nicht in Bezug auf extreme Trends in seiner Partei.

Ohne Wertung, da man in Zeitnot war und für dieses Thema nur noch sechs Minuten gehabt hatte.



Schlußbemerkungen: Obama glaubt, sagt er, an Amerikas Zukunft, an den Genius des amerikanischen Volks. Jeder müsse einen fairen Anteil bekommen. Er werde jeden Tag für jeden einzelnen Amerikaner und die Mittelschicht kämpfen.

Romney: Er sei besorgt über die Zukunft Amerikas. Wenn Obama wiedergewählt werde, dann würde die Mittelschicht weiter unter Druck geraten; unter ihm als Präsident würden zahlreiche neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Er endet mit dem Versprechen, Amerika militärisch stark zu halten.



Einige Eindrücke:
  • Es gab praktisch keine Diskussion zwischen den beiden Kandidaten. Jeder antwortete dem Moderator Jim Lehrer und sprach nur selten den anderen Kandidaten an; geschweige denn, daß es zu einem Wortwechsel gekommen wäre.

  • Beide waren extrem beherrscht und ruhig. Romney war durchweg präziser und konkreter. Obama wirkte müde. Er versuchte mehr als Romney direkt die Zuschauer anzusprechen, aber ohne seine übliche emotionalisierende Rhetorik. Man hatte den Eindruck, daß Mitt Romney sich in der Debatte zunehmend wohlfühlte und Obama - das zeigte auch seine Mimik, während Romney sprach - immer unruhiger und verkrampfter wurde. Mehrfach zeigte Obama, während Romney sprach, ein seltsames Lachen.

  • Romney gelang es, die Debatte inhaltlich zu bestimmen. Obama war überwiegend in der Defensive. Fast könnte man sagen, daß es eine Debatte über den Kandidaten Romney und seine Pläne war.

  • Interessant war, was nicht vorkam: Obama setzte nicht das negative campaigning gegen Romney als Person fort. Romney ging erstaunlich wenig auf die schlechte Bilanz Obamas ein; er konzentrierte sich ganz auf sein eigenes Programm und brachte Obama dazu, ihm bei dieser Themensetzung zu folgen.
  • Die größte Überraschung war für mich, daß Romney die bessere Präsenz hatte. Er wirkte vitaler, entschlossener und kompetenter als der im Wortsinn blasse Barack Obama. Es war der beste Auftritt Romneys, den ich jemals gesehen habe, und einer der schlechtesten Obamas.

    Übrigens hat Obama 42 Minuten gesprochen, Romney nur 38 Minuten.



    5.25 Uhr. Eben gibt CNN die ersten Ergebnisse einer Blitzumfrage unter einer repräsentativen Stichprobe von registrierten Wählern bekannt, welche die Debatte verfolgt haben.

    Sie wurden gefragt, wer die Debatte gewonnen habe. 67 Prozent nannten Romney, 25 Prozent Obama.

    Eine weitere Frage lautete: Wer hat es durch diese Debatte wahrscheinlicher gemacht, daß Sie für ihn stimmen? Romney nannten 35 Prozent; Obama 18 Prozent. Keine Veränderung gaben 47 Prozent an.

    Sodann wurde gefragt, wer als die stärkere Führungs­persönlichkeit erschien. 58 Prozent entschieden sich für Romney, 37 Prozent für Obama.

    Nur bei der Sympathie liegen beide Kandidaten gleichauf. Als den Sympathischeren (more likable) nannten 46 Prozent Romney und 45 Prozent Obama. Auch das ist aber ein Erfolg für Romney, denn bei dieser Frage lag er bisher in den Umfragen stets hinter Obama.­

    Weitere Fragen (die Ergebnisse werden von Wolf Blitzer in längeren Abständen mitgeteilt; mittlerweile ist es viertel vor sechs), Es wurden Bereiche genannt und jeweils gefragt, welcher der Kandidaten in diesem Bereich besser wäre.
  • Wirtschaft: Romney 55 Prozent, Obama 43 Prozent.
  • Gesundheitswesen: Romney 52 Prozent, Obama 47 Prozent.
  • Steuern: Romney 53 Prozent, Obama 44 Prozent.
  • Staatsdefizit: Romney 57 Prozent, Obama 41 Prozent.
  • Allerdings ist zu berücksichtigen, daß eine repräsentative Stichprobe registrierter Wähler befragt wurde, die diese Debatte verfolgt hatten. Da unter den Anhängern der GOP mehr politisch interessiert sind als unter denen der Demokraten, könnte es sein, daß diese Stichprobe nicht repräsentativ ist für die Wähler, die am 6. November tatsächlich zur Wahl gehen.
    Zettel



    © Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Das Lansdowne-Porträt von George Washington, gemalt von Gilbert Stuart (1796). National Portrait Gallery der Smithsonian Institution. Das Porträt zeigt Washington, wie er auf eine weitere (dritte) Amtszeit verzichtet. Links zu allen Beiträgen dieser Serie finden Sie hier. Siehe auch die Serie Der 44. Präsident der USA von 2008.