10. Juni 2009

Marginalie: Zum Tod von Leo Brawand eine Erinnerung an die Spiegel-Affäre vom Herbst 1962

Leo Brawand, einer der großen deutschen Journalisten der Nachkriegs- Generation, ist tot. Nachrufe findet man u.a. im "Hamburger Abendblatt" und bei "Spiegel- Online". Mir ist Brawand vor allem im Zusammenhang mit der "Spiegel- Affäre" in Erinnerung.

Nie wartete man so gespannt auf das Erscheinen eines "Spiegel"- Hefts wie auf die Nummer 45/1962 vom Mittwoch, dem 7.11. 1962.

Das Heft zuvor mit Castro und Chruschtschow auf dem Titel - es waren ja die Tage der Cuba- Krise - war zwar auch bereits nach der Polizeiaktion gegen den "Spiegel" erschienen, war aber schon zuvor weitgehend redaktionell fertiggestellt gewesen und enthielt noch kein Wort über die Aktion.

Also warteten wir alle gespannt auf diesen Mittwoch (das war damals noch der Erscheinungstag des "Spiegel"): Würde die dezimierte Redaktion, deren Räume besetzt waren, überhaupt ein Heft herausbringen können? Wenn ja, würde man sich trauen, über die Aktion zu berichten? Und was würde über sie zu erfahren sein? Ich war skeptisch und rechnete mit strenger Zensur.

Das Heft war pünktlich wie immer an den Kiosken, auf dem Titel Rudolf Augstein selbst. Und zwar bei seiner Festnahme; neben ihm sah man einen Polizisten, dessen Gesicht teilweise abgedeckt war.



Daß der "Spiegel" damals pünktlich erscheinen und bis ins Detail über die Aktion berichten konnte, hatte er teils der technischen Unterstützung aus anderen Verlagen zu verdanken; vor allem aber dem Mann, den Augstein nach seiner Festnahme per Notiz aus dem Gefängnis zum kommissarischen Chefredakteur ernannt hatte: Leo Brawand.

Im Impressum dieses Heftes 45/1962 stand das zwar nicht; und hinter den Namen der beiden Chefredakteure Claus Jacobi und Johannes K. Engel, auch sie in Haft, stand hintersinnig "im Urlaub". Im nachfolgenden Heft hat man das dann durch "zur Zeit in Haft" ersetzt.

Aber Brawand war derjenige gewesen, in dessen Fähigkeit, eine solche Krise zu meistern, Augstein offenbar das größte Vertrauen gesetzt hatte. Unter seiner Verantwortung, auch wohl teils seiner Autorschaft, erschien eine der denkwürdigsten Geschichten, die jemals im "Spiegel" standen: Die akribische Rekonstruktion der Polizeiaktion; Überschrift: "Sie kamen in der Nacht".

Sie können diese Geschichte hier nachlesen. Darin findet sich über Leo Brawands Schicksal in der Nacht der Aktion diese Passage:
Ein SPIEGEL- Redakteur hatte derweil die Deutsche Presseagentur (dpa) um Recherchen gebeten. Und über die Wechselsprechanlage hörte Chef vom Dienst Matthiesen plötzlich die Stimme von Leo Brawand, dem Leiter des Wirtschaftsressorts und stellvertretenden Chefredakteur: "Ich habe die zwei letzten Seiten jetzt gelesen und gehe nach Hause. Ich bringe sie Ihnen vorbei." Leo Brawand hatte von der Aktion nichts gemerkt. Die Räume der Wirtschaftsredaktion liegen in einem anderen Stockwerk, das die Polizei noch nicht besucht hatte. (...)

Als die Polizei in Brawands Räume kam, waren sie dunkel und leer. Brawand, der sich in einem Schrank aufhielt, hörte die Worte: "Hier haben sie auch schon dicht gemacht." Dann wurde er eingeschlossen. Er brauchte eine Viertelstunde, ehe er mit Brieföffner und Büroschere das Türschloß ausgebaut hatte. Einem Hamburger Reporter, der ihn später fragte, was er wohl im Schrank gesucht habe, antwortete er: "Ich gehe immer in den Schrank, wenn ich nachdenke."
So war er, der Redakteur Leo Brawand: Praktisch denkend, nicht ohne List, ein Mann mit unterkühltem hanseatischem Humor. Er war von Anfang an beim "Spiegel" gewesen und hat später über dessen Geschichte ein Buch geschrieben; auch eine Biografie Rudolf Augsteins. Er war lange Jahre der Leiter des Ressorts "Wirtschaft", obwohl er kein Ökonom war. Später wurde er Chef des im selben Verlag erscheinenden "Manager Magazin".



Die "Spiegel"- Affäre war ein Wendepunkt in der Geschichte der Bundesrepublik. Damals bin ich zum ersten Mal auf einer Demonstration gewesen. Nicht nur wir Studenten, sondern die gesamte liberale, die linke, selbst die konservative Öffentlichkeit empörte sich gegen diesen Versuch, die Pressefreiheit zu knebeln. Augstein blieb bekanntlich siegreich, und Strauß war der große Verlierer.

Damals, 1962, und nicht 1968 verabschiedete sich die Bundesrepublik vom Obrigkeitsstaat. Damals begann der Weg hin zu einem modernen, liberalen Rechtsstaat nach angelsächsischem Vorbild. Ein Weg, der freilich von den Achtundsechzigern nicht fortgesetzt wurde. Sie wollten in ihrer Mehrheit nicht mehr Liberalität, sondern im Gegenteil den Sozialismus. Ich habe das einmal in einer Serie nachzuzeichnen versucht.



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