21. Juni 2009

Marginalie: Wie wird man Revolutionsführer? Mussawi, Washington, Dubček

Es gibt, grob gesprochen, zwei Arten von Revolutionären.

Die einen bereiten sich gezielt, oft viele Jahre lang, auf die Revolution vor und warten auf ihre Stunde. Sie wissen dann, was sie wollen; sie verwirklichen das, was sie sich im Untergrund, im Wartestand sozusagen, ausgedacht hatten. Lenin, Mao, Ho Tschi-Minh, Pol Pot waren Revolutionäre dieses Typus.

Es gibt aber auch die anderen, denen nicht in die Wiege gelegt war, daß sie einmal zum Führer einer Revolution werden würden.

Der aristokratische Pflanzer George Washington wurde 1775 zum Oberkommandierenden der Continental Army ernannt; vielleicht nicht gegen seinen Willen, aber jedenfalls trotz seines Zögerns. Am Ende wurde er der Führer der Amerikanischen Revolution und der erste Präsident der ersten modernen Republik.

Andere waren treue Diener des Systems gewesen, gegen das sie dann eine Revolution anführten.

Imre Nagy, der Führer der gescheiterten ungarischen Revolution von 1956, war ein Altkommunist, der schon an der Oktoberrevolution teilgenommen und in der Roten Armee gedient hatte. Pál Maleter, der wie er nach dem Scheitern des Aufstands von den Kommunisten ermordet wurde, hatte als kommunistischer Untergrundkämpfer gegen die Nazis gekämpft.

Ähnlich war es beim gescheiterten "Prager Frühling" von 1968. Deren Held Alexander Dubček war in der Sowjetunion aufgewachsen, hatte die Parteischule in Moskau besucht, in der ČSSR eine lupenreine Funktionärs- Karriere hinter sich gebracht und bis zum Januar 1968, als er zum Ersten Sekretär der Kommunistischen Partei aufstieg, nie etwas anderes gewollt als die Herrschaft der Kommunistischen Partei. Sein Mitstreiter Ludvik Svoboda, Staatspräsident während des "Prager Frühlings", hatte es in der Roten Armee bis zum Brigadegeneral gebracht und besaß die sowjetische Staatsbürgerschaft.

Ähnlich ist es jetzt - Ulrike Putz macht heute in "Spiegel-Online" darauf aufmerksam - mit Hossein Mussawi; Islamist der ersten Stunde, Weggefährte des Ayatollah Khomeini, hoher Funktionär in diversen Staatsämtern der Islamischen Republik. Und jetzt Anführer derer, die dieses Regime bekämpfen.



Wie wird man ein Revolutionär dieses Typus? Es gibt da wohl eine eigenartige Dynamik.

Die betreffenden Personen zeichneten sich schon zuvor durch eine gewisse Eigenwilligkeit, eine Selbständigkeit des Denkens aus. Das veranlaßte sie, Reformen anzustreben.

Damit werden sie populär. Sie treten sozusagen in den Dialog mit dem Volk ein. Und dessen Vertrauen, die Hoffnung, die es in diese Personen setzt, scheint sie nicht nur zu beflügeln, sondern auch ihr Denken zu verändern. Sie radikalisieren sich, auch wenn sie schon im fortgeschrittenen Alter sind. Es gibt für sie kein Zurück mehr. Mag sein, daß sie sich auch selbst an der revolutionären Stimmung berauschen, die das Volk in einer solchen Situation erfaßt.

Freilich - sind diese Revolutionäre wider Willen auch erfolgreiche Revolutionäre? George Washington war es. Die meisten anderen nicht. Und auch Hossein Mussawi scheint nicht derjenige zu sein, der den im Iran Herrschenden ein Widerpart sein kann.

Gestern habe ich drei mögliche Entwicklungen im Iran skizziert und geschrieben, daß ich einen Mißerfolg der gestrigen Demonstration für das Wahrscheinlichste halte.

Diese hatte einerseits nicht mehr den Zulauf wie die vorausgegangenen Demonstrationen und ist andererseits mit äußerster Brutalität niedergeschlagen worden. Ich fürchte, sie war ein Mißerfolg, und das Regime hat sein Ziel erreicht.

Hossein Mussawi wird vielleicht, wenn er Glück hat, aus der Politik ausscheiden und wieder als Architekt und Maler arbeiten dürfen. Wenn er Pech hat, trifft ihn die Rache der Mullahs.



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