Das, was eine Wahl normalerweise interessant macht, fehlt den Europawahlen. In der Regel entscheidet der Wähler mit seiner Stimme darüber, wer ihn künftig regiert und/oder wie stark die einzelnen Partner einer regierenden Koalition sind. Bei Europawahlen tut er das nicht. Die Kommission - so etwas wie die Regierung Europas - wird nicht gewählt, sondern sie wird von den Regierungen bestimmt.
Unter dem Gesichtspunkt, wer in Europa die Macht haben wird, sind diese Wahlen ungefähr so relevant wie einst die Veranstaltungen, die den Namen "Wahlen" trugen, für die Macht in der DDR. Dennoch sind sie nicht bedeutungslos. In gewisser Weise haben sie sogar eine Bedeutung, die anderen Wahlen fehlt.
Normalerweise nämlich entscheidet der Wähler pragmatisch. Auch wenn wir es nicht zugeben - die meisten von uns wählen primär nach dem Gesichtspunkt, von welcher Partei wir uns die größen Vorteile und die geringsten Nachteile für uns selbst erhoffen.
Der um seine Existenz kämpfende Mittelständler, der die SPD wählt, ist eine seltene Ausnahme. Wenn viele eingebürgerte Türken - fast ein Viertel - die Grünen wählen, dann vermutlich nicht, weil sie besonders umweltbewußt sind oder für die Ehe zwischen Homosexuellen eintreten, sondern weil sie ihre eigenen Interessen bei den Grünen am besten aufgehoben sehen.
Dieses Beispiel zeigt, wie sich bei Wahlen Interessen und politische Anschauungen überlagern können. In der verlinkten Umfrage entschieden sich nicht nur 23 Prozent der eingebürgerten Türken für die Grünen, sondern auch noch 55 Prozent für die SPD. Fast 80 Prozent also Linke, ausgerechnet bei den Einwanderern? Natürlich nicht. In der Türkei würden viele von denjenigen, die hier aus Eigeninteresse links wählen, sich vermutlich für eine konservative Partei entscheiden.
Das ist ein extremes Beispiel. Aber bei jeder nationalen Wahl, bei allen Wählern spielen solche pragmatischen Aspekte mehr oder weniger eine Rolle. Bei den Europawahlen aber entfallen sie, just wegen ihrer Bedeutungslosigkeit für die politische Macht. Man kann an ihnen also besser ablesen, was die Wähler wirklich denken.
Hier nun scheint mir in Bezug auf das heutige Wahlergebnis dreierlei interessant zu sein:
Erstens das Abschneiden der euroskeptischen Parteien. Sie waren bisher numerisch bedeutungslos; im bisherigen Parlament stellten sie gerade einmal 22 von 785 Abgeordneten. Inzwischen dürfte vielen Bürgern bewußt geworden sein, daß man für Europa und trotzdem gegen die aktuelle Entwicklung hin zu einem unkontrollierbaren Bürokratenstaat sein kann. Ich bin gespannt, wieviele Sitze die Euroskeptiker diesmal erreichen. Ich hätte sie gewählt, wären sie in Deutschland angetreten.
Zweitens bin ich gespannt auf das Abschneiden der Sozialisten und der Kommunisten.
Viele hatten erwartet, daß die gegenwärtige Krise ihre Stunde sein würde. Hat denn der von ihnen verdammte Neoliberalismus nicht eklatant versagt? Werden die Bürger ihr Heil also jetzt nicht wieder im Sozialismus suchen? So, wie in der Krise am Ende der Zwanziger Jahre die Sozialisten der einen oder der anderen Couleur massenhaft Zulauf hatten?
Sollten die Sozialisten und die Kommunisten diesen Erfolg nicht haben, dann wäre das aus meiner Sicht ein Zeichen dafür, daß die Bürger Europas seither politisch reifer geworden sind. Daß sie verstanden haben, daß das Mittel gegen eine Krise des Kapitalismus nicht dessen Abschaffung ist, sondern ein besserer Kapitalismus. Ich hoffe, daß gerade in der jetzigen Krise die Konservativen und die Liberalen gut abschneiden. Das wäre ein Grund zum Optimismus.
Dem dritten Punkt habe ich schon vor vier Wochen einen Artikel gewidmet: Werden in Deutschland die Grünen vor der FDP liegen?
Seit Anfang dieses Jahres hat die FDP einen demoskopischen Höhenflug. Ich hoffe, daß er bis zum 27. September anhalten wird, habe aber meine Zweifel. In den (wenigen) Umfragen zur Europawahl liegen aber mit einer Ausnahme (ein Gleichstand) die Grünen vor der FDP.
Das ware für die FDP ein denkbar schlechter Start ins Wahljahr 2009. Ich habe mich deshalb entschlossen, die FDP zu wählen, und ich habe, um es mir leichter zu machen, das Bild der Silvana Koch- Mehrin in meinem kognitiven System durch dasjenige des respektablen Alexander Graf Lambsdorff überschrieben; übrigens ein Neffe von Otto Graf Lambsdorff.
Falls Sie heute zur Wahl gehen wollen und noch unentschlossen sind, bitte ich Sie, das Argument in dem Artikel von vor vier Wochen zu erwägen:
In Deutschland von Bedeutung sind die heutigen Wahlen nur insofern, als sie die Startbedingungen für das Wahljahr bestimmen. Wenn man möchte, daß die FDP gut ins Ziel kommt, dann sollte man auch dazu beitragen, daß sie gut startet.
Unter dem Gesichtspunkt, wer in Europa die Macht haben wird, sind diese Wahlen ungefähr so relevant wie einst die Veranstaltungen, die den Namen "Wahlen" trugen, für die Macht in der DDR. Dennoch sind sie nicht bedeutungslos. In gewisser Weise haben sie sogar eine Bedeutung, die anderen Wahlen fehlt.
Normalerweise nämlich entscheidet der Wähler pragmatisch. Auch wenn wir es nicht zugeben - die meisten von uns wählen primär nach dem Gesichtspunkt, von welcher Partei wir uns die größen Vorteile und die geringsten Nachteile für uns selbst erhoffen.
Der um seine Existenz kämpfende Mittelständler, der die SPD wählt, ist eine seltene Ausnahme. Wenn viele eingebürgerte Türken - fast ein Viertel - die Grünen wählen, dann vermutlich nicht, weil sie besonders umweltbewußt sind oder für die Ehe zwischen Homosexuellen eintreten, sondern weil sie ihre eigenen Interessen bei den Grünen am besten aufgehoben sehen.
Dieses Beispiel zeigt, wie sich bei Wahlen Interessen und politische Anschauungen überlagern können. In der verlinkten Umfrage entschieden sich nicht nur 23 Prozent der eingebürgerten Türken für die Grünen, sondern auch noch 55 Prozent für die SPD. Fast 80 Prozent also Linke, ausgerechnet bei den Einwanderern? Natürlich nicht. In der Türkei würden viele von denjenigen, die hier aus Eigeninteresse links wählen, sich vermutlich für eine konservative Partei entscheiden.
Das ist ein extremes Beispiel. Aber bei jeder nationalen Wahl, bei allen Wählern spielen solche pragmatischen Aspekte mehr oder weniger eine Rolle. Bei den Europawahlen aber entfallen sie, just wegen ihrer Bedeutungslosigkeit für die politische Macht. Man kann an ihnen also besser ablesen, was die Wähler wirklich denken.
Hier nun scheint mir in Bezug auf das heutige Wahlergebnis dreierlei interessant zu sein:
Erstens das Abschneiden der euroskeptischen Parteien. Sie waren bisher numerisch bedeutungslos; im bisherigen Parlament stellten sie gerade einmal 22 von 785 Abgeordneten. Inzwischen dürfte vielen Bürgern bewußt geworden sein, daß man für Europa und trotzdem gegen die aktuelle Entwicklung hin zu einem unkontrollierbaren Bürokratenstaat sein kann. Ich bin gespannt, wieviele Sitze die Euroskeptiker diesmal erreichen. Ich hätte sie gewählt, wären sie in Deutschland angetreten.
Zweitens bin ich gespannt auf das Abschneiden der Sozialisten und der Kommunisten.
Viele hatten erwartet, daß die gegenwärtige Krise ihre Stunde sein würde. Hat denn der von ihnen verdammte Neoliberalismus nicht eklatant versagt? Werden die Bürger ihr Heil also jetzt nicht wieder im Sozialismus suchen? So, wie in der Krise am Ende der Zwanziger Jahre die Sozialisten der einen oder der anderen Couleur massenhaft Zulauf hatten?
Sollten die Sozialisten und die Kommunisten diesen Erfolg nicht haben, dann wäre das aus meiner Sicht ein Zeichen dafür, daß die Bürger Europas seither politisch reifer geworden sind. Daß sie verstanden haben, daß das Mittel gegen eine Krise des Kapitalismus nicht dessen Abschaffung ist, sondern ein besserer Kapitalismus. Ich hoffe, daß gerade in der jetzigen Krise die Konservativen und die Liberalen gut abschneiden. Das wäre ein Grund zum Optimismus.
Dem dritten Punkt habe ich schon vor vier Wochen einen Artikel gewidmet: Werden in Deutschland die Grünen vor der FDP liegen?
Seit Anfang dieses Jahres hat die FDP einen demoskopischen Höhenflug. Ich hoffe, daß er bis zum 27. September anhalten wird, habe aber meine Zweifel. In den (wenigen) Umfragen zur Europawahl liegen aber mit einer Ausnahme (ein Gleichstand) die Grünen vor der FDP.
Das ware für die FDP ein denkbar schlechter Start ins Wahljahr 2009. Ich habe mich deshalb entschlossen, die FDP zu wählen, und ich habe, um es mir leichter zu machen, das Bild der Silvana Koch- Mehrin in meinem kognitiven System durch dasjenige des respektablen Alexander Graf Lambsdorff überschrieben; übrigens ein Neffe von Otto Graf Lambsdorff.
Falls Sie heute zur Wahl gehen wollen und noch unentschlossen sind, bitte ich Sie, das Argument in dem Artikel von vor vier Wochen zu erwägen:
In Deutschland von Bedeutung sind die heutigen Wahlen nur insofern, als sie die Startbedingungen für das Wahljahr bestimmen. Wenn man möchte, daß die FDP gut ins Ziel kommt, dann sollte man auch dazu beitragen, daß sie gut startet.
Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Fahnen vor dem Gebäude der Europäischen Kommission. Autor: Xavier Häpe; frei unter Creative Commons Attribution 2.0 License.