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7. Juni 2009

Europawahlen: Welches sind die interessanten Aspekte?

Das, was eine Wahl normalerweise interessant macht, fehlt den Europawahlen. In der Regel entscheidet der Wähler mit seiner Stimme darüber, wer ihn künftig regiert und/oder wie stark die einzelnen Partner einer regierenden Koalition sind. Bei Europawahlen tut er das nicht. Die Kommission - so etwas wie die Regierung Europas - wird nicht gewählt, sondern sie wird von den Regierungen bestimmt.

Unter dem Gesichtspunkt, wer in Europa die Macht haben wird, sind diese Wahlen ungefähr so relevant wie einst die Veranstaltungen, die den Namen "Wahlen" trugen, für die Macht in der DDR. Dennoch sind sie nicht bedeutungslos. In gewisser Weise haben sie sogar eine Bedeutung, die anderen Wahlen fehlt.

Normalerweise nämlich entscheidet der Wähler pragmatisch. Auch wenn wir es nicht zugeben - die meisten von uns wählen primär nach dem Gesichtspunkt, von welcher Partei wir uns die größen Vorteile und die geringsten Nachteile für uns selbst erhoffen.

Der um seine Existenz kämpfende Mittelständler, der die SPD wählt, ist eine seltene Ausnahme. Wenn viele eingebürgerte Türken - fast ein Viertel - die Grünen wählen, dann vermutlich nicht, weil sie besonders umweltbewußt sind oder für die Ehe zwischen Homosexuellen eintreten, sondern weil sie ihre eigenen Interessen bei den Grünen am besten aufgehoben sehen.

Dieses Beispiel zeigt, wie sich bei Wahlen Interessen und politische Anschauungen überlagern können. In der verlinkten Umfrage entschieden sich nicht nur 23 Prozent der eingebürgerten Türken für die Grünen, sondern auch noch 55 Prozent für die SPD. Fast 80 Prozent also Linke, ausgerechnet bei den Einwanderern? Natürlich nicht. In der Türkei würden viele von denjenigen, die hier aus Eigeninteresse links wählen, sich vermutlich für eine konservative Partei entscheiden.

Das ist ein extremes Beispiel. Aber bei jeder nationalen Wahl, bei allen Wählern spielen solche pragmatischen Aspekte mehr oder weniger eine Rolle. Bei den Europawahlen aber entfallen sie, just wegen ihrer Bedeutungslosigkeit für die politische Macht. Man kann an ihnen also besser ablesen, was die Wähler wirklich denken.



Hier nun scheint mir in Bezug auf das heutige Wahlergebnis dreierlei interessant zu sein:

Erstens das Abschneiden der euroskeptischen Parteien. Sie waren bisher numerisch bedeutungslos; im bisherigen Parlament stellten sie gerade einmal 22 von 785 Abgeordneten. Inzwischen dürfte vielen Bürgern bewußt geworden sein, daß man für Europa und trotzdem gegen die aktuelle Entwicklung hin zu einem unkontrollierbaren Bürokratenstaat sein kann. Ich bin gespannt, wieviele Sitze die Euroskeptiker diesmal erreichen. Ich hätte sie gewählt, wären sie in Deutschland angetreten.

Zweitens bin ich gespannt auf das Abschneiden der Sozialisten und der Kommunisten.

Viele hatten erwartet, daß die gegenwärtige Krise ihre Stunde sein würde. Hat denn der von ihnen verdammte Neoliberalismus nicht eklatant versagt? Werden die Bürger ihr Heil also jetzt nicht wieder im Sozialismus suchen? So, wie in der Krise am Ende der Zwanziger Jahre die Sozialisten der einen oder der anderen Couleur massenhaft Zulauf hatten?

Sollten die Sozialisten und die Kommunisten diesen Erfolg nicht haben, dann wäre das aus meiner Sicht ein Zeichen dafür, daß die Bürger Europas seither politisch reifer geworden sind. Daß sie verstanden haben, daß das Mittel gegen eine Krise des Kapitalismus nicht dessen Abschaffung ist, sondern ein besserer Kapitalismus. Ich hoffe, daß gerade in der jetzigen Krise die Konservativen und die Liberalen gut abschneiden. Das wäre ein Grund zum Optimismus.

Dem dritten Punkt habe ich schon vor vier Wochen einen Artikel gewidmet: Werden in Deutschland die Grünen vor der FDP liegen?

Seit Anfang dieses Jahres hat die FDP einen demoskopischen Höhenflug. Ich hoffe, daß er bis zum 27. September anhalten wird, habe aber meine Zweifel. In den (wenigen) Umfragen zur Europawahl liegen aber mit einer Ausnahme (ein Gleichstand) die Grünen vor der FDP.

Das ware für die FDP ein denkbar schlechter Start ins Wahljahr 2009. Ich habe mich deshalb entschlossen, die FDP zu wählen, und ich habe, um es mir leichter zu machen, das Bild der Silvana Koch- Mehrin in meinem kognitiven System durch dasjenige des respektablen Alexander Graf Lambsdorff überschrieben; übrigens ein Neffe von Otto Graf Lambsdorff.

Falls Sie heute zur Wahl gehen wollen und noch unentschlossen sind, bitte ich Sie, das Argument in dem Artikel von vor vier Wochen zu erwägen:

In Deutschland von Bedeutung sind die heutigen Wahlen nur insofern, als sie die Startbedingungen für das Wahljahr bestimmen. Wenn man möchte, daß die FDP gut ins Ziel kommt, dann sollte man auch dazu beitragen, daß sie gut startet.



Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Fahnen vor dem Gebäude der Europäischen Kommission. Autor: Xavier Häpe; frei unter Creative Commons Attribution 2.0 License.

27. März 2009

Zettels Meckerecke: Le Pen darf im Europaparlament nicht Alterspräsident werden. Wie man das Vertrauen in Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zerstört

Der konstituierenden Sitzung des Deutschen Reichstags nach den Wahlen von 1932 präsidierte die Kommunistin Clara Zetkin. Der konstituierenden Sitzung des der 13. Wahlperiode des deutschen Bundestags präsidierte nach den Wahlen von 1994 Stefan Heym, langjähriger Kommunist, wenngleich in der DDR oft nicht auf Linie, von der Fraktion der PDS.

Sie eröffneten die jeweiligen konstituierenden Sitzungen in ihrer Funktion als Alterspräsidenten. Wenn ein Parlament sich konstituiert, gibt es so etwas wie ein Problem der Urzeugung: Wie will man einen Präsidenten wählen, wenn man noch keinen hat, der über die Wahl präsidiert? Eine alte parlamentarische Tradition löst das Probem dadurch, daß das älteste Mitglied des Hauses diese Funktion übernimmt; solange, bis eben der eigentliche Präsident gewählt ist.

Der Alterspräsident eröffnet mithin die jeweilige Legislaturperiode. Es hat sich eingebürgert, daß er bei dieser Gelegenheit ein paar Worte sagt, manchmal eine Rede hält. In der Weimarer Republik taten das manche Alterspräsidenten, andere nicht. Clara Zetkin hat es getan. In der Bundesrepublik haben alle Alterspräsidenten eine Anprache gehalten, also auch Stefan Heym.

Anders als seine Vorgänger bekam er für diese Ansprache nicht den Beifall des ganzen Hauses. Aber niemand wäre auf den Gedanken gekommen, ihm das Recht auf diese Ansprache streitig zu machen oder gar das Amt des Alterspräsidenten abzuschaffen, damit es nicht von einem Mitglied der Fraktion der Kommunisten ausgeübt wird.

Just das - jedenfalls etwas Entsprechendes - wird das Europaparlament tun. Das hat es gestern in Straßburg beschlossen; man kann es heute im Nouvel Observateur lesen.



Allerdings geht es nicht um einen Links- , sondern um einen Rechtsextremisten, den Franzosen Jean- Marie Le Pen. Er hat als Spitzenkandidat seiner Partei, des Front National, beste Aussichten, ins Europaparlament gewählt zu werden. Und er wird, wenn das Parlament zusammentritt, 81 Jahre alt sein; also sehr wahrscheinlich der Alterspräsident.

Nein, der wird er nun nicht werden. Denn die großen Fraktionen des Europa- Parlaments haben sich gestern darauf verständigt, das Amt des Alterspräsidenten einfach abzuschaffen, damit Le Pen es nicht ausüben kann.

Wer wird also die konstituierende Sitzung eröffnen? Das wird noch diskutiert. Vielleicht der Präsident aus der vorausgegangenen Legislaturperiode, sofern er wieder im Parlament ist. Oder, wenn nicht, einer der alten Vizepräsidenten. Oder vielleicht nimmt man auch denjenigen Parlamentarier, der am längsten dem Parlament angehört. Irgendwen wird man schon finden.

Irgendwen wird man finden, irgendeine Notlösung. Und wieder einmal das Vorurteil nähren, daß Politiker tricksen. Daß sie sich an Regeln nur solange halten, wie sie ihnen nützlich erscheinen.

Wer als Parlamentarier glaubt, daß er dem demokratischen Rechtsstaat dient, indem er das Recht nach Gusto ändert, der hat nichts von Demokratie und noch weniger von Rechtsstaat verstanden.

Übrigens haben am Ende auch die Liberalen zugestimmt. Man könnte vielleicht zu ihrer Ehrenrettung sagen, daß sie - die Fraktion "Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa" - sich wenigstens am längsten gegen diese Initiative gewehrt haben, die, versteht sich, von den Sozialisten ausging.

Aber am Ende sind sie den Sozialisten gefolgt. Und haben damit ihre liberale Gesinnung verraten.



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24. November 2008

Zettels Meckerecke: Die französische Sozialistische Partei zerfleischt sich. Über den Umgang unter Genossen

Nirgends im politischen Spektrum verkündet man so laut, so selbstgerecht den Wert der "Solidarität", wie das auf der Linken geschieht.

Nirgends praktiziert man so ostentativ Umgangsformen, die diesen Wert ausdrücken sollen. Die Pflicht zum Beispiel, einander unter "Genossen" zu duzen, wie sie nach wie vor nicht nur bei den Kommunisten gilt, sondern zum Beispiel auch bei den französischen Sozialisten und den deutschen Sozialdemokraten. Das gemeinsame Absingen von Liedern, als sei man bei den Pfadfindern.

Das Verhalten der Genossen freilich dementiert nicht selten den Anspruch, der mit derlei Rituellem verknüpft ist.

Die Geschichte aller kommunistischer Parteien ist eine Geschichte von Genossenkämpfen.

Kämpfen, die anfangs meist mit dem Tod des Unterlegenen endeten, später mit der Vernichtung von dessen bürgerlicher Existenz. Sofern man dazu die Macht hatte; heute geht es, da es an dieser mangelt, meist zivilisierter zu.

Im Vergleich damit waren die Sozialdemokraten immer schon zivilisierter. Gerade das unterschied sie ja von den Kommunisten. Sie waren Demokraten, und das spürte man.

Spürt man es auch heute noch? Zweifel sind begründet.



Als vier hessische Genossen sich entschlossen, ihrem Gewissen zu folgen und in einer entscheidenden Abstimmung anders zu stimmen als die Mehrheit, da wurde die Entscheidung diese Vier nicht nur kritisch kommentiert. Sondern sie wurden behandelt wie Aussätzige; bis hin zu der Erbärmlichkeit, für die letzte Sitzung der laufenden Legislatur- Periode die Sitzordnung des Hessischen Landags so zu ändern, daß keiner der linientreuen Genossen neben einem der vier Andersdenkenden sitzen mußte.

Nun gut, das war schäbig. Es war aber ein Klacks gegen das, was sich gegenwärtig in der französischen Schwesterpartei der SPD zuträgt, der Parti Socialiste.

Als ich in der Nacht zum Samstag über den sich abzeichnenden knappen Ausgang der Wahl zur Vorsitzenden der französischen Parti Socialiste (PS) schrieb, habe ich mit Wahlanfechtungen gerechnet. Wenn eine Wahl derart knapp ausgeht, dann besteht immer die Möglichkeit, daß der ermittelte Unterschied geringer ist als die zu erwartende Fehlerquote. Daß man also nachzählen, daß man die Daten überprüfen muß.

Auch mit einer harten Gangart zwischen den Anhängern von Ségolène Royal und Martine Aubry hatte ich gerechnet. Denn es ging ja nicht nur um die Entscheidung zwischen zwei Personen. Es ging darum, ob die französischen Sozialisten weiter Arm in Arm mit den Kommunisten auf den Sozialismus hinarbeiten wollen, oder ob sie als eine linke Reformpartei das Bündnis mit den Liberalen von François Bayrou anstreben.

Aber das, was sich jetzt in Frankreich abspielt - das habe ich nicht erwartet.



Wenn eine Entscheidung derart knapp ausgeht, daß das Ergebnis - Dagny hat in "Zettels kleinem Zimmer" darauf aufmerksam gemacht und die erforderlichen Berechnungen vorgenommen - durch Zufall erklärt werden kann, dann setzen sich die Betroffenen vernünftigerweise zusammen und versuchen gemeinsam, die Fehlervarianz zu reduzieren.

Durch Nachzählen, durch wiederholtes, unabhängiges Nachzählen. Solange, bis es keine Disprepanz mehr gibt. Jeder, der einmal einer Zählkommission angehört hat, weiß, daß man so vorgeht und nur so vorgehen kann, wenn man zu einem ehrlichen Ergebnis kommen will.

Fehler gibt es immer. Immer aber kann man auch Fehler durch Kontrollen, durch Nachzählen, durch ein faires, gemeinsames Überprüfen eliminieren. So weit jedenfalls, bis auch die Unterlegenen das Ergebnis akzeptieren können. Das ist Demokratie.

Bei den französischen Sozialisten haben, als sei Frankreich eine Bananenrepublik, schon beide Seiten ihren Sieg verkündet, als offensichtlich war, daß eben noch kein Ergebnis feststand.

Auch da schon - in der Nacht auf Samstag, in der ausgezählt wurde - gab es Andeutungen, daß betrogen worden sei. Der einen wie der anderen Seite ging es schon in dieser Nacht augenscheinlich nicht darum, das wahre Ergebnis zu ermitteln, sondern der eigenen Kandidatin einen psychologischen, einen propagandistischen Vorteil zu verschaffen.

Aber das war noch nichts gegen die Selbstzerfleischung der PS, die sich jetzt vor den Augen der Franzosen abspielt.

Wie der Nouvel Observateur gestern um 18 Uhr meldete, wird der Erste Sekretär des Bezirks Nord der französischen Sozialisten, Gilles Pargneaux, ein Mitarbeiter von Martine Aubry, gegen einen Mitarbeiter von Ségolène Royal, Manuel Valls, Strafanzeige wegen Verleumdung erstatten. Dieser seinerseits hatte zuvor mitgeteilt, er werde wegen Vorkommnissen in diesem Bezirk bei der Stimmenauszählung Strafanzeige wegen Urkundenfälschung erstatten.

So gehen sie miteinander um, diejenigen, die vorgeben, eine solidarische Gesellschaft, eine über die Maßen paradiesische Gesellschaft zu wollen.

Warum fehlt ihnen die Fairness, das Augenmaß, der menschliche Anstand? Ich glaube, just deshalb, weil sie eine über die Maßen paradiesische Gesellschaft wollen. Dafür muß man schon mal durch den Dreck waten, denken sie.



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5. September 2008

Zettels Meckerecke: Die Zwangsjacke der Eva-Britt Svensson. Brüsseler Doublespeak

"Geschlechtsspezifische Klischees in der Werbung stecken Frauen, Männer, Mädchen und Jungen in eine Zwangsjacke" sagte die Berichterstatterin des Frauen- Ausschusses des Europäischen Parlaments, Eva- Britt Svensson, in einem Interview auf der WebSite des Europäischen Parlaments.

Der Anlaß zu diesem Interview war die Abstimmung des Europäischen Parlaments über einen von Svenssons Ausschuß (sie ist dessen stellvertretende Vorsitzende) vorgelegten, von ihr initiierten Text, über den gestern der Brüsseler Korrespondent der FAZ, Hendrik Kafsack, dies berichtete:
Mit überwältigender Mehrheit stimmten die Europa- Abgeordneten nun in Brüssel dafür, dass jedes sexistische Klischee in der Fernsehwerbung künftig tabu sein soll: Keine Hausfrau hinter dem Herd oder vor der Waschmaschine mehr also, aber auch kein starker Hausmann mehr, der den Rasen trimmt.

Schließlich fordert das Europaparlament pauschal, dass "traditionelle Geschlechterrollen in Frage gestellt werden müssen, wenn die Gleichstellung der Geschlechter erreicht werden soll".
Wir sehen: Das Brüsseler Parlament will die Freiheit der Werbetreibenden einschränken, Frauen und Männer so darzustellen, wie es den Agenturen und ihren Auftraggebern richtig erscheint.

Und die Abgeordnete, auf deren Initiative dieser freiheitsfeindliche Beschluß zurückgeht, spricht von einer Zwangsjacke, die damit beseitigt werden solle.

Klassisches Doublespeak also. Die bisherige Freiheit der Werbung wird als Zwang dargestellt. Die Einschränkung der Freiheit wird als Befreiung vom Zwang verkauft.



Wer ist diese Eva-Britt Svensson? Hier kann man karg das Wichtigste lesen; die Wikipedia ist in diesem Fall auch kaum ergiebiger.

Sie gehört der linkssozialistischen schwedischen Vänsterpartiet an, deren Generalsekretärin sie bis 2000 war. Und sie war Vorsitzende und ist jetzt stellvertretende Vorsitzende einer schwedischen Bürgerbewegung.

Und jetzt werden Sie sich wundern: Diese Bürgerbewegung heißt "Volksbewegung Nein zur EU".



So sind sie, diese Sozialisten.

Sie bringen es fertig, eine Einschränkung unserer Freiheit als Beseitigung einer Zwangsjacke zu verkaufen.

Und sie sind gegen die EU. Was sie aber nicht daran hindert, die EU zu nutzen, um uns ihrem sozialistischen Paradies einen Schritt näherzubringen.

Uns näher heran an eine Gesellschaft zu bringen, in der alle Menschen gleich sind. So gleich, daß - Frau Svensson geht optisch mit ihrem Beispiel voran - auch die Unterschiede zwischen Mann und Frau aufgehoben sind.

Um Gleichmacherei geht es ihnen, nicht um Gleichberechtigung.



Mit Dank an Meister Petz, auf dessen Beitrag in "Zettels kleinem Zimmer" diese "Meckerecke" zurückgeht. Für Kommentare zu diesem Artikel gibt es einen Thread in "Zettels kleinem Zimmer". Dort findet man auch eventuelle Aktualisierungen und Ergänzungen.

22. April 2008

Zitat des Tages: Der "Stolz der Paraguayer". Über die parteiliche Berichterstattung der ARD. Und wie ist die Wahl wirklich ausgegangen?

Bisher konnten die Paraguayer nur stolz auf ihre Fußball- Nationalmannschaft sein. Das hat sich heute Nacht geändert.

Die ARD-"Tagesthemen" gestern in einem Korrespondenten- Bericht über den Sieg des Kandidaten der Linken Fernando Lugo bei den Präsidentschaftswahlen in Paraguay.

Kommentar: Wie fast durchgängig bei solchen Ereignissen kann von einer sachlichen Berichterstattung der ARD keine Rede sein. Man kennt das Muster: Der Sieg eines linken Kandidaten oder einer linken Partei wird, wie jetzt, als ein positives Ereignis gemeldet. Ein rechter Wahlsieg, wie vorletzten Montag der Berlusconis, wird hingegen in einem negativen Kontext dargestellt.

Dies nicht in Kommentaren, wo es ja in Ordnung ist, daß der Journalist mitteilt, ob er die eine oder die andere Partei, diesen oder jenen Kandidaten besser findet. Sondern in der Berichterstattung.

Wie parteilich die Berichterstattung in der ARD (und oft auch im ZDF) ist, kann man erst richtig ermessen, wenn man sie mit den Nachrichten in seriösen Sendern wie CNN, BBC World, Al Jazeera English vergleicht. Undenkbar, daß dort im Bericht eines Reporters ein Satz wie der zitierte vorkommt.



Was nun den Sachverhalt angeht, auf den nach der ARD- Berichterstattung die Bewohner Paraguays stolz sein können, so sollte man ihn vielleicht erst einmal zur Kenntnis nehmen. Wie sind die Wahlen denn überhaupt ausgegangen?

Zu diesen Wahlen traten sieben Kandidaten an, darunter diese vier der großen Parteien oder Bündnisse:
  • Fernando Armindo Lugo Méndez, der Kandidat eines Bündnisses aus den folgenden kommunistischen, sozialistischen, linkskatholischen und revolutionären Parteien und Bewegungen:
    * Alianza Patriótica para el Cambio
    * Alianza Democrática Tricolor
    * Alianza Patriótica Socialista
    * Partido Revolucionario Febrerista
    * Partido Liberal Radical Auténtico
    * Partido Demócrata Cristiano
    * Partido Comunista Paraguayo
    * Partido País Solidario
    * Partido Encuentro Nacional
    * Partido Demócrata Progresista
    * Partido Convergencia Popular Socialista
    * Partido de Unidad Popular
    * Partido Frente Amplio de Paraguay
    * Partido Socialista Paraguayo
    * Partido del Movimiento al Socialismo
    * Partido Social Demócrata
    * Bloque Social y Popular
    * Movimiento Popular Tekojoja
    * Movimiento Resistencia Ciudadana
    * Movimiento Acuerdo Ecológico
    * Movimiento Fuerza Republicana
  • Lino César Oviedo Silva, ein rechtskonservativer Politiker und Berufssoldat, war seit 1993 Chef der Streitkräfte Paraguays und gehörte (siehe unten) der Partei der Colorados an. Als der damalige Präsident Juan Carlos Wasmosy ihm 1996 seine Entlassung mitteilte, soll er sich zunächst geweigert und einen Staatsstreich angedroht haben.

    Er kandidierte 1998 für die Präsidentschaft, wurde aber während des Wahlkampfs, in dem er in Führung lag, unter der Beschuldigung dieses angeblich versuchten Staatsstreichs verhaftet und zu zehn Jahren Haft verurteilt. Der danach gewählte Präsident Raúl Cubas hob das Urteil auf. Nach dem Rücktritt von Cubas flüchtete Oviedo nach Argentinien und dann Brasilien. 2004 kehrte er nach Paraguay zurück und betrieb die Aufhebung des Urteils

    2007 wurde das Urteil vom Obersten Gericht anulliert, nachdem Zeugen die Unschuld von Oviedo bezeugt hatten. Er kandidierte jetzt für die konservative Unión Nacional de Ciudadanos Éticos, deren Vorsitzender er seit 1996 ist.

  • Blanca Margarita Ovelar de Duarte war bisher Kultusministerin und kandidierte für die rechtsbürgerliche Partido Colorado, die unter dem bisherigen Präsidenten Nicanor Duarte Frutos einen sozialdemokratischen Kurs eingeschlagen hatte, mit guten Kontakten zu den links regieten Staaten Lateinamerikas. Frau Ovelar gehört demselben Flügel ihrer Partei an und hatte in den Vorwahlen nur knapp (45,04 Prozent zu 44,50 Prozent) gegen den anderen Kandidaten, Luis Castiglioni, die Kandidatur geschafft

  • Pedro Nicolás Maráa Fadul Niella ist ein christlich- liberaler Ökonom, zeitweise Vorsitzender eines Unternehmerverbands, der bei den Wahlen 2003 für seine Partei Patria Querida angetreten war und über 20 Prozent erreicht hatte.
  • Und wie haben diese vier Kandidat - Lugo für ein kommunistisch- sozialistisch- linkschristliches Bündnis, der rechtskonservative Oviedo, die bürgerlich- sozialdemokratische Blanca Ovelar und der christlich- liberale Fadul - nun abgeschnitten?

    Lugo erhielt 40,82 Prozent, Oviedo 21,98 Prozent, Ovelar 30,72 Prozent und Fadul 2,37 Prozent.

    Das kommunistisch- sozialistische Lager bekam mit Lugo somit 40,82 Prozent, das bürgerliche Lager zusammen 55,07 Prozent. Der ehemalige Colorado Oviedo und die jetzige Kandidatin der Colorados erreichten zusammen die absolute Mehrheit von 52,7 Prozent.

    Nicht wahr, ein linker Sieg sieht anders aus?

    Gäbe es in Paraguay eine Stichwahl, dann würde mit großer Wahrscheinlichkeit Blanca Ovelar sie gewinnen. Aber gewählt ist dort, wer die relative Mehrheit erreicht, und das ist dank der Spaltung des rechtsbürgerlich- konservativen Lagers Lugo.

    Er ist damit in einer ähnlichen Situation wie einst Salvador Allende, der bei den Präsidentschaftswahlen 1970 noch etwas weniger Stimmen bekommen hatte (36,2 Prozent).



    Lugo wird jetzt vor der Entscheidung stehen, ob er gegen die Mehrheit der Wähler eine sozialistische Umgestaltung des Landes versucht, wie sie damals Allende betrieben hatte und wie sie jetzt in Venezuela Chávez betreibt.

    Die kommunistischen und revolutionären Kräfte in seinem Bündnis werden ihn dazu drängen. Ob dieser Mann, der bis zu seiner Suspendierung 2007 als Bischof der Diözese San Pedro amtierte und der noch nie ein politisches Amt innehatte, ihren Pressionen und politischen Winkelzügen gewachsen sein wird, bleibt abzuwarten.

    Gibt er ihnen nach, dann dürfte das, was auf die Paraguayer zukommt, wohl weniger zu Stolz Anlaß geben, als zu Angst und Schrecken.



    Für Kommentare zu diesem Artikel gibt es einen Thread in "Zettels kleinem Zimmer". Dort findet man auch eventuelle Aktualisierungen und Ergänzungen.

    7. Mai 2007

    Präsidentschaftswahlen in Frankreich: Ein Linker analysiert die Niederlage der Linken

    Während gestern Abend Ségolène Royal einen Auftritt hinlegte, als sei sie die triumphierende Siegerin, dürfte Jacques Julliard am Rechner gesessen und seinen Kommentar geschrieben haben.

    Julliard, stellvertretender Chefredakteur des "Nouvel Observateur", ist der klügste linke Journalist, den ich kenne. Ich stimme selten mit seinen Bewertungen und Zielen überein, aber fast immer mit seinen glasklaren Analysen.

    Während also Royal mit ihrem offenbar nicht abstellbaren heiteren Lachen "l'énergie et la joie de l'immense rassemblement populaire vibrant de ferveur qui m'ont accompagnée" pries (die Energie und Heiterkeit der riesigen Sammlungsbewegung des Volks, die mich, vibrierend vor Begeisterung, begleitet hat) - während also Royal so tat, als lebe die französische Linke in der besten aller möglichen Welten, hat Julliard schonungslos die Gründe für das Scheitern der Linken analysiert:
    - Parce qu’il y a un écart béant entre les positions de ses chefs et les aspirations de son électorat.

    - Parce que la gauche est trop à gauche pour s’élargir vers le centre, seul lieu où elle pourrait gagner des renforts. (...)

    - Parce que le PS est mené par de grands bourgeois humanistes et humanitaires qui tendent la main aux exclus par-dessus leur électorat populaire d’ouvriers, d’employés, de fonctionnaires et de petits bourgeois. Le Lumpen plutôt que les prolos !

    - Parce que le PS est devenu, pour ces petits bourgeois, synonyme d’alourdissement de la fiscalité et, pour les travailleurs, de stagnation des salaires à cause des sacrées 35 heures.

    - Parce que le programme du PS, élaboré par les plus gauchistes du Parti avec l’aide d’économistes et de travailleurs sociaux moralistes, sacrifie systématiquement la production des richesses à leur répartition. (...)

    - Weil zwischen den Positionen ihrer Führer und den Erwartungen ihrer Wähler ein gähnender Abgrund klafft.

    - Weil die Linke zu weit links steht, um sich zur Mitte hin zu erweitern, wo allein sie sich verstärken könnte. (...)

    - Weil die PS von humanistischen und humanitären Großbürgern angeführt wird, die über die Wähler aus der Arbeiterschaft, über die Angestellten, die Beamten und kleinen Leute hinweg den Randgruppen die Hand reichen. Lieber das Lumpenproletariat als die Arbeiter!

    - Weil die PS für diese kleinen Leute synonym mit der Erhöhung ihrer Steuerlast und für die Arbeiter synonym mit der Stagnation der Löhne wegen der heiligen 35- Stunden- Woche ist.

    - Weil das Programm der PS, das von den extremen Parteilinken mit Unterstützung von moralisierenden Ökonomen und Sozialarbeitern verfaßt wurde, systematisch die Erzeugung von Reichtum zugunsten von dessen Verteilung opfert. (...)
    So ist es. So ist die französische Linke.

    Nur, seltsam - Julliard hat vor dem ersten Wahlgang keineswegs die Konsequenz gezogen, für François Bayrou einzutreten. Und noch vor wenigen Tagen hat er einen flammenden Aufruf zur Wahl von Ségolène Royal geschrieben.



    Das ist eine Erfahrung, die ich oft mit brillanten Linken gemacht habe: Sie wissen trefflich zu analysieren, aber am Ende ziehen sie nicht die Konsequenz aus ihrer Analyse.

    Weil halt das Herz links schlägt. Egal, was der Kopf sagt.