4. Juni 2009

Rezession und Geografie. Amerika, du hast es besser! Meint jedenfalls Stratfor

Die geopolitischen Analysen von Stratfor sind oft überraschend, manchmal auch verwunderlich. Lesenswert, eine Diskussion anregend, sind sie fast immer.

Das, was ich gestern hier gelesen habe, das hat mich nun freilich doch verblüfft: Peter Zeihan erklärt uns, warum die Rezession die USA weniger hart trifft als andere Regionen der Welt. Nämlich wegen deren Geografie!

Keineswegs, schreibt Zeihan, sei die Rezession in den USA besonders schwer: Ein Rückgang des BNP von nur 2,6 Prozent zwischen April 2008 und April 2009. In der EU waren es im Schnitt 4,4 Prozent; in Deutschland gar 6,9 Prozent und in Rußland 9,5 Prozent.

Was ist das Besondere an den USA? Die Gunst der Geografie, sagt Zeihan. Kein Land der Welt verfügt über ein so großes zusammenhängendes Areal nutzbaren Landes wie die USA dank des Mittelwestens. Zweitens haben die USA ein System von Flüssen, die dieses Zentrum des Mittelwestens sowohl mit dem Golf als auch mit der Ostküste verbinden.

Und warum ist es wirtschaftlich so wichtig, daß diese beiden Faktoren zusammentreffen?
The implications of such a confluence are deep and sustained. Where most countries need to scrape together capital to build roads and rail to establish the very foundation of an economy — transport capability — geography granted the United States a near- perfect system at no cost. That frees up U.S. capital for other pursuits and almost condemns the United States to be capital- rich.

Dieses Zusammentreffen hat tiefe und nachhaltige Folgen. Während die meisten Länder Kapital zusammenkratzen müssen, um Straßen und Schienen zu bauen, so daß überhaupt erst einmal eine Grundlage für die Wirtschaft - nämlich Verkehrsverbindungen - entsteht, hat die Geografie den USA ein fast perfektes System kostenlos gewährt. Das macht in den USA Kapital für andere Zwecke frei und verurteilt die USA geradezu dazu, reich an Kapital zu sein.
Drittens, meint Zeihan, hätten die USA nur geringe lokale Konkurrenz. Kanada sei geografisch nicht so bevorzugt wie die USA. Erst recht gelte das für Mexiko: Keine großen zusammenhängenden Gebiete nutzbaren Landes, kein brauchbares System von Flüssen.

Und weiter geht's: Da die USA traditionell weder an der einen noch an der anderen Grenze von ihren Nachbarn bedroht würden, hätten sie es nie nötig gehabt, ein großes stehendes Heer zu halten. Was wiederum Kapital für andere Zwecke frei macht.

Und noch weiter: In einem so von der Geografie begünstigten Land konnte die Regierung die Wirtschaft weitgehend sich selbst überlassen;
The U.S. government tends to take a hands-off approach to economic management, because geography has not cursed the United States with any endemic problems. This may mean that the United States — and especially its government — comes across as disorganized, but it shifts massive amounts of labor and capital to the private sector, which for the most part allows resources to flow to wherever they will achieve the most efficient and productive results.

Die US-Regierung tendiert dazu, die Hände von der Ökonomie zu lassen, weil die Geografie die USA nicht mit irgendwelchen allgegenwärtigen Problemen geschlagen hat. Das mag bedeuten, daß die Vereinigten Staaten - und vor allem ihre Regierung - als desorganisiert erscheinen, aber es verlagert große Mengen von Arbeit und Kapital in den privaten Sektor. Das bedeutet, daß die Ressourcen weitgehend dorthin fließen, wo sie die effizientesten und produktivsten Ergebnisse liefern.



Q.e.d. Die Geografie ist verantwortlich dafür, daß die Regierung sich weitgehend aus der Wirtschaft heraushalten kann. Dies ermöglicht eine freiere Wirtschaft, ergo größere Effizienz als in anderen Ländern. Und weil das so ist, werden, so Zeihan, die USA auch die Rezession besser überstehen als die anderen:
The United States has exited each decade since post- Civil War Reconstruction more powerful than it was when it entered it. While there are many forces in the modern world that threaten various aspects of U.S. economic standing, there is not one that actually threatens the U.S. base geographic advantages. (...)

So long as U.S. geographic advantages remain intact, it takes no small amount of paranoia and pessimism to envision anything but long- term economic expansion for such a chunk of territory. In fact, there are a number of factors hinting that the United States may even be on the cusp of recovery.

Seit dem Wiederaufbau nach dem Bürgerkrieg standen die USA am Ende jedes Jahrzehnts mächtiger da als an dessen Beginn. Gewiß gibt es viele Kräfte in der der heutigen Welt, die den wirtschaftlichen Rang der USA in mancherleí Hinsicht bedrohen. Aber es gibt keinen einzigen Faktor, der die grundlegenden geografischen Vorteile der USA real bedroht. (..)

Solange die geografischen Vorteile der USA bestehen bleiben, würde nicht wenig an Paranoia und Pessimismus dazu gehören, für einen solchen Batzen Land etwas anderes vorherzusehen als ein langfristiges Wachstum der Wirtschaft. In der Tat deuten eine Anzahl Faktoren darauf hin, daß die USA sich schon am Wendepunkt zur Erholung befinden.



Was ich zusammengefaßt habe, das ist nur der erste Teil dieses langen Artikels, der sich unter ähnlichen geografischen Gesichtspunkten mit Rußland, China und Europa befaßt. Wie man sich denken kann, beurteilt Zeihan sie allesamt kritischer als die USA.

Auch hier stellt er verblüffende Verbindungen zwischen der Geografie und dem Wirtschaftssystem her. Aber das schildere ich jetzt nicht im einzelnen. Der Artikel - hier noch einmal der Link - gehört zu denen, die auch Nichtabonnenten zugänglich sind. Viel Spaß bei der Lektüre!



Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Der amerikanische Westen und Mittelwesten. Von Stratfor zur Reproduktion freigegeben. Ausschnitt.