30. Juni 2009

Vor 75 Jahren: Die Mordnacht vom 30. Juni 1934. Kein "Röhm-Putsch", sondern der Abschluß von Hitlers Machtergreifung

Vor 75 Jahren, am 30. Juni 1934, fand die Mordnacht statt, die noch immer irreführend als "Röhm- Putsch" bezeichnet wird. Ein Röhm- Putsch war das genauso wenig, wie die November- Pogrome von 1938 eine "Reichskristallnacht" waren.

In den deutschen Medien fand der diesjährige Jahrestag bisher wenig Beachtung. Und dort, wo auf ihn hingewiesen wurde - zum Beispiel im Deutschlandradio Berlin und in "Focus-Online" -, wird diese "Nacht der langen Messer" nur als eine Abrechnung Hitlers mit den ehemaligen Weggefährten aus der SA dargestellt. Auch in dem Artikel von Ernst Piper in "Spiegel- Online" ist von einer "blutige[n] Abrechnung unter Nazis" die Rede; immerhin wird dort erwähnt, daß nicht nur Nazis die Opfer waren.

In der Tat war es weder ein "Röhm- Putsch" noch eine Abrechnung unter Nazis. Es war eine Blutnacht, in der nach einer vorbereiteten Liste alle diejenigen liquidiert werden sollten, die Hitlers absolutem Machtanspruch noch hätten gefährlich werden können.

Hitler und der wesentlich mitbeteiligte Göring waren geschickt genug, das Augenmerk der Öffentlichkeit nur auf die Opfer aus der SA zu lenken; vermutlich weil deren Schläger im Volk verhaßt waren und weil sich aus der Homosexualität von Röhm propagandistisches Kapital schlagen ließ.

Tatsächlich stammten die Opfer der Mordnacht aus allen Gruppen, in denen sich noch Widerstand regte. Es gab kommunistische Opfer wie Erich Gans, Walter Häbich und Adam Hereth, die am 1. Juli im KZ Dachau erschossen wurden. Und es gab Opfer vor allem aus zwei Gruppen:
  • Konservative aus jenen Kreisen, die Hitler 1933 "einzurahmen" versucht hatten, also ihn durch Machtbeteiligung zu neutralisieren.

    Dazu gehörte der ehemalige Reichskanzler Kurt Schleicher und seine Ehefrau Elisabeth sowie der Oberregierungsrat Herbert von Bose, Referent von Franz v. Papen; ebenso dessen Mitarbeiter Edgar Julius Jung. v. Papen selbst hatte ebenfalls auf der Mordliste gestanden, wurde aber auf Wunsch Görings von dieser gestrichen und in in "Schutzhaft" genommen, bald aber wieder freigelassen.

    Selbst der ehemalige Kronprinz Wilhelm von Preußen hatte ermordet werden sollen; auch er verdankte sein Leben der Fürsprache von Goebbels.

  • Personen aus dem katholischen Widerstand. Auf diese Opfer geht heute ein amerikanischer Autor ein, Bruce Walker im American Thinker. Er ist Spezialist für dieses Thema; Autor eines Buchs "The Swastika and the Cross: The Nazi war on Christianity" (Das Hakenkreuz und das Kreuz: Der Krieg der Nazis gegen das Christentum).

    Erschossen wurden in der Mordnacht unter anderem Erich Klausener aus dem katholischen Widerstand, Adalbert Probst, Leiter des Dachverbands der katholischen Turn- und Sportvereine, und der katholische Publizist Fritz Gerlich, einer der wenigen Journalisten, die im Jahr 1934 noch journalistischen Widerstand leisteten.
  • Bei der Beurteilung der Blutnacht wird oft übersehen, daß der Beginn der "Machtergreifung" damals erst knapp eineinhalb Jahr zurücklag. Der erste Schritt war die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler gewesen, am 30. Januar 1933. Dann folgte als der zweite Schritt das Ermächtigungsgesetz vom 23. März.

    Erst von da an konnten die Nazis wirklich mit dem "Gleichschalten" und der Unterdrückung jedes Widerstands beginnen. Aber in den Redaktionen, in den Verwaltungen, in den Vereinen saßen ja immer noch viele Demokraten; auch noch 1934. v. Papen und Schleicher waren immer noch gefährliche Gegner der Nazis; auch der ebenfalls am 30. Juni ermordete Gregor Strasser.

    Auf sie war die Mordnacht vom 30. Juni gezielt; mindestens so sehr wie auf die SA. Danach gab es keinen sich offen artikulierenden Widerstand mehr. Die Machtergreifung war abgeschlossen.



    Bruce Walker weist nicht nur auf die Bedeutung der Opfer aus dem konservativen und katholischen Widerstand hin, sondern er räumt auch mit einer weit verbreiteten Legende auf: Daß mit dem Vorgehen gegen die SA die NSDAP zugleich ihren linken Flügel ausgeschaltet hätte und endgültig zum "Büttel des Kapitals" geworden sei.

    Wie Walker im einzelnen darlegt, begann die NSDAP im Gegenteil nach der Mordnacht, sich nach links zu bewegen:
  • Zwei Wochen nach der Blutnacht sagte ein hoher Beamter aus dem Wirtschaftsministerium, Graf von der Golz, vor Vertretern der Wirtschaft, jede Arbeitgeber- Organisation sei ab sofort verboten; wer sich nicht an das Verbot halte, werde strafrechtlich verfolgt werden.

  • Im Oktober 1934 wurde der Spitzensteuersatz von 40 auf 56 Prozent erhöht. Im Dezember 1934 wurde ein Aktiengesetz erlassen, das Aktionäre zwang, Dividende in Staatsanleihen anzulegen; diese wurden also faktisch enteignet.

  • So ging es weiter. 1936 wurden die Unternehmenssteuern von 20 auf 25 Prozent erhöht, vom Jahr 1937 an auf 30 Prozent. 1938 wurde für Unternehmensgewinne über 100.000 Reichsmark eine Sondersteuer von 35 Prozent eingeführt, von 1939 an von 40 Prozent. Im März 1939 wurde eine zusätzliche Reichensteuer eingeführt.
  • Sie waren eben Sozialisten, die Nationalsozialisten. Röhm und seine SA wurden von Hitler am 30. Juni 1934 ausgeschaltet, weil sie ein Hindernis auf seinem Weg zur absoluten Macht waren; nicht, weil sie ihm zu links gewesen wären.

    Und sie waren eben keineswegs das einzige Hindernis. Die Blutnacht galt allen, die dem Abschluß des Prozesses der Machtergreifung noch hätten gefährlich werden können.

    Die Nazi-Propaganda hat das durch die Sprachregelung vom "Röhm-Putsch" verschleiert. Seltsam, daß auch nach 75 Jahren viele noch diese von den Nazis verordnete Sichtweise übernehmen.



    Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Adolf Hitler im Juni 1934. Bundesarchiv, Bild 102-03643A; frei uner Creative Commons Attribution ShareAlike 3.0. Ausschnitt, bearbeitet.