4. Juni 2009

Tetris wird fünfundzwanzig! Eine kleine Hommage an ein großes Spiel

Übermorgen wird Tetris 25 Jahre alt. Die erste Version erschien am 6. Juni 1984. Was - so lange ist das schon her? war meine Reaktion, als ich das vorhin auf CNN hörte. Denn fast seit es Tetris gibt, habe ich Tetris gespielt.

Lange Zeit die Originalversion mit diesen russischen Bildern als Hintergrund; Zwiebeltürme und dergleichen. Anfangs unter CP/M, auf meinem ersten ausgewachsenen Computer, dem Schneider Joyce. Dann unter DOS, immer noch schwarzweiß. Dann kamen die ersten grafischen Benutzer- Oberflächen, und Tetris wirkte, obwohl nun bunt, irgendwie uralt in dieser neuen optischen Umgebung. Gespielt habe ich es aber noch jahrelang.



Was macht den Reiz von Tetris aus? Warum ist es so immens erfolgreich?

Warum andere es so gern spielen, weiß ich nicht. Hier sind meine Motive:
  • Im Grunde ist es die Fortsetzung des Bauens mit Bauklötzchen, das wir als Zwei- oder Dreijährige zu üben begonnen haben. Vielleicht gibt es eine evolutionäre Wurzel für diese Freude daran, Steinchen auf Steinchen zu setzen; etwas zu bauen. Das weiß ich nicht. Jedenfalls ist es etwas Schönes, Befriedigendes.

  • Bei Tetris nun setzt man nicht einfach nur Steinchen auf Steinchen, sondern es muß ja passen. So hat man im Mittelalter Burgmauern gebaut: Wo ist eine Lücke, in die ein Stein paßt? Wie muß man ihn drehen, damit er paßt? Das Runde muß, nein, nicht ins Eckige, sondern eben auch ins Runde. Man dreht, man schiebt und freut sich, wenn es dann paßt. Wieder eine Lücke geschlossen; wieder ein Stein untergebracht!

    Ich mag am Anfang des Bauklötzchen- Alters gewesen sein, als meine Eltern mir ein Spiel schenkten, das sie als pädagogisch wertvoll ansahen. Ich glaube, es stammte aus der Reformpädagogik, vielleicht von Peter Petersen. Es bestand aus einem Brett mit unterschiedlich großen runden Löchern und einem Set von Stäben oder Zylindern. Jeder mußte in das Loch gesteckt werden, in das er genau paßte.

    Gut, man mag meine Freude daran psychoanalytisch deuten. In meiner Erinnerung entsprang sie schlicht daraus, daß jedes Töpfchen sein Deckelchen fand; daß es eben paßte. Es ist schön, wenn etwas paßt.

  • Drittens hat das Spiel ein eingebautes Crescendo. Man beginnt gemütlich mit einer niedrigen Stufe. War man dort eine Zeitlang erfolgreich, dann wird automatisch auf eine höhere Stufe geschaltet. Es wird immer schneller, bis man ganz außer Atem kommt. Wenn meine Frau in einer solchen Situation meinen Arbeitsraum betrat, dann konnte ich noch nicht einmal ihren Gruß erwidern. Alle Rechenkapazität meines Hirns war der Aufgabe zugeteilt, diesem Affentempo standzuhalten.

    Als ich wirklich gut geworden war, habe ich freilich schon mit der höchsten Spielstufe angefangen. Da war dieser Reiz weg. Das Spiel dauerte zwar immer länger, aber es war langweiliger geworden. Es blieb eigentlich nur noch die Spannung, darauf zu warten, daß es irgendwann abrupt gefährlich werden würde.

  • Denn das ist vielleicht der Hauptreiz, der vielleicht philosophische, ja theologische Reiz von Tetris: Es ist ein Todesspiel. Man spielt dagegen an, daß alles zu Ende ist.

    Als ich das Spiel wirklich beherrschen gelernt hatte, konnte das lange dauern. Reihe um Reihe verschwand, sobald sie aufgefüllt war. Das Mäuerchen wurde mal ein bißchen höher, mal ein bißchen niedriger, blieb aber insgesamt auf einem stabilen Niveau. Das Leben ist lang, der Tod ist weit weg.

    Wenn man das Spiel gut beherrscht, dann passiert normalerweise lange Zeit nichts Schlimmes. Aber irgendwann macht man mal einen tödlichen Fehler: Ein Stein kommt nicht da an, wo er soll. Das tangiert auch den nächsten; erstens, weil er nun auch nicht paßt, und zweitens, weil die Störung mich als Spieler eine Sekunde irritiert hat. Man kennt das aus der Unfallforschung: Die schlimmsten Unfälle etwa in AKWs entstanden, weil die Operatoren auf Fehler falsch, also ihrerseits mit Fehlern reagiert hatten.

    Und dann sieht man den Tod nahen. Das Mäuerchen wächst. Mit jedem Wachsen wird die Zeit kürzer, die man für das Unterbringen des nächsten Steins zur Verfügung hat. Also gelingt das immer häufiger nicht. Also wächst das Mäuerchen. Ein Teufelskreis. Bis es zu Ende geht.

  • Ein Teufelskreis, aber mit der teuflischen Eigenschaft, daß man manchmal dem Tod ein Schnippchen schlagen kann. Ob das gelingt, weiß man nie. Also wehrt man sich verzweifelt gegen das sich abzeichnende Ende. Manchmal habe ich es geschafft, auch ein hoch gewordenes Mäuerchen wieder abzubauen, es vielleicht sogar wieder ganz nach unten zu spielen.

    Welch eine Erleichterung! Aber nicht selten ging es mir dann wie Yves Montand in "Lohn der Angst": Nachdem der Schrecken besiegt war, wurde ich einen Augenblick lang leichtsinnig - und schwupp, hatte er mich doch noch geholt, der Teufel, der Gevatter Tod.
  • Sie finden, lieber Leser, daß ich da aber arg viel Bedeutung in ein so harmloses Spielchen hineinlege? Mag sein. Aber das sind nun einmal die Gedanken, die mir in Jahrzehnten durch den Kopf gingen, wenn ich Tetris spielte.

    Denn auch das macht den Reiz dieses Spiels aus: Das Gehirn wird in Schwung gebracht; die Blutzufuhr dorthin steigt. Aber eine visuell- manuelle Belastung läßt sich gut mit abstrakt- verbalem Denken vereinbaren. Oft sind mir die besten Ideen zu einem Thema, an dem ich arbeitete, beim Tetris- Spielen gekommen.



    Und da wir gerade bei Jubiläen sind: Auch dieser Blog feiert ein Jubiläum. Der erste Artikel erschien am 4. Juni 2006.



    Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Aldair Tetrovisk. Vom Autor in die Public Domain gestellt.