29. Juni 2009

Marginalie: Wie die Bundesrepublik im Jahr 1984 mit Ausreisewilligen aus der DDR verfuhr

Ich glaubte mich verhört zu haben, aber es wurde tatsächlich gemeldet.

Vergangene Nacht wiederholte Bayern Alpha den "Wochenspiegel" der ARD vom 1. Juli 1984. Darin eine Meldung darüber, daß DDR- Bürger, die ihr sozialistisches Vaterland verlassen wollten, sich wieder einmal in großer Zahl in die "Ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der Deutschen Demokratischen Republik" in Ostberlin geflüchtet hatten; also die de- facto- Botschaft der Bundesrepublik.

Man sah in dem Bericht die gläserne Tür der Ständigen Vertretung, hinter der sich die Menschen stauten. Man sah einen kleinen - laut Kommentar achtjährigen - Jungen, der kurz vor diese Tür kam. Man sah vor dieser Tür einen Eimer im Freien stehen.

Dazu sagte der Kommentar, daß die Flüchtlinge "die Notdurft ... auf einem Eimer vor der Tür verrichten" mußten. Es war kein "Kübel", wie er früher einmal im Gefängnis zu finden war, mit Sitzgelegenheit. Sondern es war ein ganz normaler großer Eimer; Blech oder Plastik. Es gab keinen Sichtschutz, nichts. Der Eimer stand im Freien vor der Tür, Richtung Straße.

Unfaßbar? Dann nehmen Sie, lieber Leser, zur Kenntnis, was in dem Satz gesagt wurde, der den Erläuterungen zum Eimer vorausging: Daß die Ständige Vertretung den Flüchtlingen "keinerlei Nahrung zukommen" lasse. Damit sollte erreicht werden, daß sie aufgeben und "freiwillig" in die DDR zurückkehren.

Einige kündigten - auch das wurde in dem Bericht erwähnt - für den Fall, daß sie in die DDR zurück müßten, ihren Selbstmord an.



Natürlich waren die Kommunisten für die Zustände in der DDR verantwortlich. Aber ohne westliche Politiker und Diplomaten wie diejenigen, die solche Maßnahmen zu verantworten hatten, hätten die Kommunisten es ungleich schwerer gehabt, ihre Herrschaft aufrechtzuerhalten.

Man hätte damals seitens der Bundesrepublik nicht anders handeln können? Natürlich hätte man. Man hätte die Menschen, die in die Ständige Vertretung geflüchtet waren, wenigstens menschenwürdig behandeln können; wenn man ihnen denn schon nicht zur Freiheit verhelfen konnte.

Bundeskanzler war damals Helmut Kohl. Minister für Innerdeutsche Beziehungen war Heinrich Windelen, ebenfalls CDU. Leiter der Ständigen Vertretung war im Jahr 1984 der Karrierediplomat Hans- Otto Bräutigam, später deutscher Botschafter bei der UNO.



Für Kommentare bitte hier klicken.