3. September 2012

Zitat des Tages: "Golgatha ist keine Zahnpasta". Ein ausgezeichneter Artikel zu unserer christlichen Tradition

Golgatha ist keine Zahnpasta, und Sodom und Gomorrha sind kein Ehepaar. Noah ist nicht bloß der Vorname von Boris Beckers Sohn und Hiob nicht allein der Titel eines Romans von Joseph Roth. Ostern ist nicht das Fest von Jesu Hochzeit und Pfingsten nicht das seiner Auferstehung.

Viele Bewohner des sogenannten christlichen Abendlandes wären sich da allerdings nicht so sicher.
Beginn eines Artikels von Christine Brinck, der zunächst in der gedruckten "Zeit" erschien und seit gestern auch bei "Zeit-Online" zu lesen ist.

Kommentar: Ich möchte Ihnen sehr empfehlen, diesen Artikel zu lesen. Er ist ein glänzendes Plädoyer gegen das, was ich in einem anderen Zusammenhang Traditions­vergessen­heit genannt habe.

Dort ging es um die Vernachlässigung der geschichtlichen Tradition vor allem in Deutschland. Christine Brinck befaßt sich mit der Vernachlässigung der religiösen Tradition; insbesondere mit der wachsenden Unkenntnis der Bibel.

Ihre zentrale These ist, daß ohne Kenntnis der Bibel große Teile unserer Kultur unverständlich sind:
Wer die Bibelkenntnis also unnütz nennt, verkennt, dass es dabei gar nicht unbedingt um den Glauben geht. Man muss die Schöpfungsgeschichte nicht glauben, aber die kreative Wucht der biblischen Erzählung bleibt unübertroffen. Die große abendländische Literatur, ob von William Blake oder John Milton, ob von Thomas Mann oder Shakespeare, der allein etwa 1300 Referenzen auf die Bibel in seinen Dramen versteckte, ist ohne wenigstens rudimentäre Kenntnis der hebräischen wie der christlichen Bibel kaum zu verstehen.
Und ja auch unsere Alltagskultur nicht; ob es um die Bedeutung von Feiertagen, um das Verstehen von Redensarten wie "seine Perlen vor die Säue werfen" und "vom Saulus zum Paulus werden" geht; oder, sagen wir, darum, als Tourist die bildlichen Darstellungen in einem Dom zu verstehen, den man besichtigt.

Christine Brinck macht auch darauf aufmerksam, welche unvergleichliche Literatur die Bibel ist; wie dort grundlegende Lebenssituationen in kraftvollen Bildern und Erzählungen dargestellt werden. Dann weist sie auf den ethischen Gehalt hin; beispielsweise, was die Friedfertigkeit angeht.



Nun schreitet aber der, wie Brinck es nennt, "religiöse Analphabetismus" voran. Was kann man dagegen tun? Sie schlägt Kurse an den Universitäten auch außerhalb des Theologiestudiums vor; als etwa "ein doppelstündiger Bibelkurs für alle Literatur- und Kulturwissenschaftler im ersten Semester, besser noch für alle Geistes­wissen­schaftler". Nicht schlecht, denn sie würden ihr Wissen als Multiplikatoren weitergeben.

Wie allerdings? Im Schulunterricht? In den Medien? Am Ende geht es zentral um das Verständnis von unserer Kultur. Darum, wie sehr sie überhaupt noch christlich geprägt sein kann und sollte. Siehe dazu:
  • Islam und christlich-jüdische Tradition. Einwanderung und Republikanismus. Fünf FDP-Politiker stoßen eine überfällige Debatte an; ZR vom 14. 12. 2010

  • Gehört der Islam zu Deutschland? Wunschdenken und Wirklichkeit; ZR vom 2. 6. 2012

  • Zitat des Tages: "... die notwendige Akzeptanz des Islam in Deutschland viel weiter denken". Ist das Hamburger Modell nur ein Einstieg?; ZR vom 16. 8. 2012



  • Ich sollte noch erwähnen, daß ich Agnostiker bin. Siehe Warum ich Agnostiker bin, aber kein Atheist; ZR vom 16. 7. 2007.­
    Zettel



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