Loyalität zum "eigenen" Lokal- oder Nationalteam ist in der Sportberichterstattung selbstverständlich. "Wir" sollen natürlich gewinnen, und "wir" jubeln und leiden deshalb gemeinsam. Selbst im Sportjournalismus ist es allerdings heute üblich, die Qualitäten des Gegners halbwegs objektiv darzustellen und zu analysieren. Aus Gründen der Fairness, aber auch, weil "wir" uns ein realistisches Bild vom Stand der Dinge machen wollen. Es hilft ja nichts, über die Spanier nur zu lästern, wenn sie uns aufm Platz dann doch wieder vorführen.
In der Berichterstattung über den US-Wahlkampf ist das seltsamerweise anders. "Wir" - jedenfalls laut Umfragen 80 bis 90 Prozent der deutschen Bürger - sind loyale Obama-Fans (auch wenn er "uns" zuletzt doch ziemlich enttäuscht hat). Und die Medienberichterstattung über den Gegner vom Team Romney/Ryan besteht in wesentlichen Teilen nur aus Hohn und Karikatur.
Patzer, Pannen und Peinlichkeiten der Republikaner bestimmen die deutschen Schlagzeilen. Über die tatsächlichen Strategien, Stärken und Schwächen des Romney-Teams erfährt das Publikum eher selten etwas. Claudio Casula vom Blog "Spirit of Entebbe" hat diesen Stil der Berichterstattung vor einiger Zeit sehr schön aufgespießt.
Warum ist das so?
Es dürfte eine Reihe von Gründen geben, die einfach nur menschlich sind: Die Korrespondenten neigen selbst Obama zu; es fällt manchem schwer, sich einzugestehen, dass eigene frühere Obama-Berichte vielleicht doch zu euphorisch und unkritisch waren. Lustvolles Bashing der US-Rechten kommt beim deutschen Publikum erfahrungsgemäß immer gut an: Von Michael Moore lernen, heißt siegen lernen!
Zudem ist es eine teils bequeme, teils naive Übung, einfach nachzuplappern, was die eher Obama-nahen Leitmedien in den USA berichten. Bekannte Häuser wie die New York Times, Newsweek, Time, die großen TV-Networks oder CNN neigen eher den Demokraten zu. Die Republikaner werden besonders unterstützt von den Medien der Murdoch-Gruppe (Fox News, Wall Street Journal), die bekanntlich einen finsteren Ruf hat.
Die meisten deutschen Korrespondentenbüros befinden sich im Übrigen in New York, Washington oder San Francisco. In Manhattan und in San Francisco wurde Obama 2008 mit über 85 Prozent der Stimmen gewählt. In Washington DC sogar mit 93 Prozent (wobei auch eine Rolle spielt, dass dort besonders viele Schwarze wohnen; landesweit wählten rund 95 Prozent der Schwarzen 2008 Obama). Die Republikaner sind hier so präsent und so beliebt wie die CSU in Berlin-Kreuzberg.
Der in ZR schon viel zitierte und geschmähte SPON-Autor Marc Pitzke ist in diesem Milieu ganz besonders gut verdrahtet: Er hat ein (sehr teures) Studium an der renommierten Journalismusschule der Columbia Universität absolviert, die u.a. auch die Pulitzer-Preise vergibt.
Pitzke ist also zweifellos ein exzellenter USA-Kenner. Aber er hat aus seiner Ausbildung eben auch die Sichtweisen der progressiven New Yorker Upper West Side mitgenommen. Und sein berufliches Netzwerk dürfte aus überwiegend ähnlich Gesinnten bestehen. Gemeinsam verachtet man das Mainstream-Amerika der Provinz - und das Mainstream-Amerika erwidert die Verachtung aus ganzem Herzen.
Der scheidende Leser-"Ombudsman" der New York Times hat diese journalistische Kultur kürzlich wie folgt analysiert: Es gebe bei der Zeitung natürlich keine "große Verschwörung" und auch in der Wahlkampfberichterstattung sei das Blatt um Fairness und Ausgewogenheit bemüht. Aber:
Deutschen Korrespondenten dürfte dieses Milieu, das urban, weltoffen, akademisch und künstlerisch geprägt ist, sehr viel näher sein als die konservative Welt der Provinz, des Business oder der Religion.
Zu diesen allzumenschlichen Faktoren kommt allerdings noch ein sehr viel grundsätzlicheres Problem für die deutsche Berichterstattung über US-Konservative: Die Programmatik der Republikaner bewegt sich weit außerhalb des deutschen "Parteienbogens". Sie ist nach den hiesigen Maßstäben zwar nicht verfassungsfeindlich (wenigstens nicht direkt, bei dieser Tea Party weiß man als Deutscher ja nie). "Extrem" und "radikal" sind die Republikaner im Vergleich mit dem sozialdemokratisierten deutschen "Grundkonsens" aber schon.
Für Obamas Demokraten ist das europäische Sozialmodell ein leuchtendes Vorbild - für die Republikaner ist gerade dieses Modell erklärtermaßen der Albtraum. Romneys Motto "Believe in America" ist eben nicht nur der übliche Patriotismus, den Konservative in aller Welt pflegen. Sondern es beschwört eine Wiederauferstehung eines amerikanischen Gesellschaftsideals, das in Europa seit jeher gefürchtet und verhasst ist. Nach dem Finanzcrash und der Wahl Obamas schien die Beerdigung dieses Ideals eigentlich schon ausgemacht - jetzt kehrt das Gespenst zurück.
Die konservative Kolumnistin Janet Daley hat im britischen Telegraph kürzlich sogar argumentiert, dass dieser US-Wahlkampf stellvertretend für den ganzen Westen über die Frage geführt wird, ob das sozialdemokratische Modell als solches noch finanzierbar sei:
In kaum etwas sind sich die Europäer so einig wie in der Ablehnung "amerikanischer Verhältnisse". Es ist deshalb für fast alle Deutschen ein zutiefst beunruhigender Gedanke, dass ein Politiker leidenschaftlich für persönliche Freiheit, Eigenverantwortung und Rückbau des Staatseinflusses eintreten kann - und dabei doch noch ein kluger, zivilisierter und ernstzunehmender Mensch ist, der womöglich sogar Mehrheiten findet. Wo kämen wir denn da hin, wenn auch bei uns so etwas möglich wäre???
Dann doch lieber die einfache und beruhigende Erklärung: Bei Romney, Ryan & Co. handelt es sich um böse und latent rassistische Zyniker, die ihre Mehrheiten allenfalls mit dem Geld von Plutokraten zusammenkaufen. Barack Obama ist ein tragischer Held, der das Gute von "uns" übernehmen will, aber von den bösen Republikanern am Erfolg gehindert wird. SPON locuta, causa finita.
Eine kleine Prognose zum Schluss: Sollte die deutsche Medienberichterstattung über die Republikaner in den kommenden Wochen doch noch nüchterner oder gar freundlicher werden, dann wäre das ein klares Indiz dafür, dass Romneys Chancen steigen. Denn bekanntlich ist nichts so erfolgreich und beliebt wie der Erfolg - und nichts so frustrierend wie mit einem Verlierer unterzugehen. Auch und gerade wenn dieser Verlierer Barack Obama hieße.
In der Berichterstattung über den US-Wahlkampf ist das seltsamerweise anders. "Wir" - jedenfalls laut Umfragen 80 bis 90 Prozent der deutschen Bürger - sind loyale Obama-Fans (auch wenn er "uns" zuletzt doch ziemlich enttäuscht hat). Und die Medienberichterstattung über den Gegner vom Team Romney/Ryan besteht in wesentlichen Teilen nur aus Hohn und Karikatur.
Patzer, Pannen und Peinlichkeiten der Republikaner bestimmen die deutschen Schlagzeilen. Über die tatsächlichen Strategien, Stärken und Schwächen des Romney-Teams erfährt das Publikum eher selten etwas. Claudio Casula vom Blog "Spirit of Entebbe" hat diesen Stil der Berichterstattung vor einiger Zeit sehr schön aufgespießt.
Warum ist das so?
Es dürfte eine Reihe von Gründen geben, die einfach nur menschlich sind: Die Korrespondenten neigen selbst Obama zu; es fällt manchem schwer, sich einzugestehen, dass eigene frühere Obama-Berichte vielleicht doch zu euphorisch und unkritisch waren. Lustvolles Bashing der US-Rechten kommt beim deutschen Publikum erfahrungsgemäß immer gut an: Von Michael Moore lernen, heißt siegen lernen!
Zudem ist es eine teils bequeme, teils naive Übung, einfach nachzuplappern, was die eher Obama-nahen Leitmedien in den USA berichten. Bekannte Häuser wie die New York Times, Newsweek, Time, die großen TV-Networks oder CNN neigen eher den Demokraten zu. Die Republikaner werden besonders unterstützt von den Medien der Murdoch-Gruppe (Fox News, Wall Street Journal), die bekanntlich einen finsteren Ruf hat.
Die meisten deutschen Korrespondentenbüros befinden sich im Übrigen in New York, Washington oder San Francisco. In Manhattan und in San Francisco wurde Obama 2008 mit über 85 Prozent der Stimmen gewählt. In Washington DC sogar mit 93 Prozent (wobei auch eine Rolle spielt, dass dort besonders viele Schwarze wohnen; landesweit wählten rund 95 Prozent der Schwarzen 2008 Obama). Die Republikaner sind hier so präsent und so beliebt wie die CSU in Berlin-Kreuzberg.
Der in ZR schon viel zitierte und geschmähte SPON-Autor Marc Pitzke ist in diesem Milieu ganz besonders gut verdrahtet: Er hat ein (sehr teures) Studium an der renommierten Journalismusschule der Columbia Universität absolviert, die u.a. auch die Pulitzer-Preise vergibt.
Pitzke ist also zweifellos ein exzellenter USA-Kenner. Aber er hat aus seiner Ausbildung eben auch die Sichtweisen der progressiven New Yorker Upper West Side mitgenommen. Und sein berufliches Netzwerk dürfte aus überwiegend ähnlich Gesinnten bestehen. Gemeinsam verachtet man das Mainstream-Amerika der Provinz - und das Mainstream-Amerika erwidert die Verachtung aus ganzem Herzen.
Der scheidende Leser-"Ombudsman" der New York Times hat diese journalistische Kultur kürzlich wie folgt analysiert: Es gebe bei der Zeitung natürlich keine "große Verschwörung" und auch in der Wahlkampfberichterstattung sei das Blatt um Fairness und Ausgewogenheit bemüht. Aber:
(I) also see that the hive on Eighth Avenue is powerfully shaped by a culture of like minds — a phenomenon, I believe, that is more easily recognized from without than from within. (...) Across the paper's many departments ... so many share a kind of political and cultural progressivism — for lack of a better term — that this worldview virtually bleeds through the fabric of The Times. As a result, developments like the Occupy movement and gay marriage seem almost to erupt in The Times, overloved and undermanaged, more like causes than news subjects.Nach dem Wahlkampf 2008 gab es einige Aufregung um das Online-Forum Journolist, in dem sich gleichgesinnte Obama-freundliche Journalisten über ihre Themensetzung austauschten: Auch das war keine "Verschwörung", aber ein Indiz für eine gemeinsame Grundhaltung vieler Berichterstatter, die sich selbst als "progressiv" verstehen.
(Ich) sehe auch, daß der Bienenstock an der Eighth Avenue stark von einer Kultur der Gleichgesinntheit geprägt ist - ein Phänomen, das man, glaube ich, von außen besser erkennt als von innen. (...) Quer durch die vielen Ressorts der Zeitung ... teilen so viele eine Art von politischer und kultureller Progressivität - es fehlt ein besseres Wort -, daß diese Weltsicht der Times nachgerade aus den Poren quillt. Das hat zur Folge, daß Entwicklungen wie die Occupy-Bewegung und die Schwulenehe fast in der Times ihren Anfang zu nehmen scheinen; zu sehr geliebt und zu wenig kontrolliert, mehr als Anliegen denn Gegenstände der Berichterstattung.
Deutschen Korrespondenten dürfte dieses Milieu, das urban, weltoffen, akademisch und künstlerisch geprägt ist, sehr viel näher sein als die konservative Welt der Provinz, des Business oder der Religion.
Zu diesen allzumenschlichen Faktoren kommt allerdings noch ein sehr viel grundsätzlicheres Problem für die deutsche Berichterstattung über US-Konservative: Die Programmatik der Republikaner bewegt sich weit außerhalb des deutschen "Parteienbogens". Sie ist nach den hiesigen Maßstäben zwar nicht verfassungsfeindlich (wenigstens nicht direkt, bei dieser Tea Party weiß man als Deutscher ja nie). "Extrem" und "radikal" sind die Republikaner im Vergleich mit dem sozialdemokratisierten deutschen "Grundkonsens" aber schon.
Für Obamas Demokraten ist das europäische Sozialmodell ein leuchtendes Vorbild - für die Republikaner ist gerade dieses Modell erklärtermaßen der Albtraum. Romneys Motto "Believe in America" ist eben nicht nur der übliche Patriotismus, den Konservative in aller Welt pflegen. Sondern es beschwört eine Wiederauferstehung eines amerikanischen Gesellschaftsideals, das in Europa seit jeher gefürchtet und verhasst ist. Nach dem Finanzcrash und der Wahl Obamas schien die Beerdigung dieses Ideals eigentlich schon ausgemacht - jetzt kehrt das Gespenst zurück.
Die konservative Kolumnistin Janet Daley hat im britischen Telegraph kürzlich sogar argumentiert, dass dieser US-Wahlkampf stellvertretend für den ganzen Westen über die Frage geführt wird, ob das sozialdemokratische Modell als solches noch finanzierbar sei:
What is being challenged is nothing less than the most basic premise of the politics of the centre ground: that you can have free market economics and a democratic socialist welfare system at the same time. The magic formula in which the wealth produced by the market economy is redistributed by the state ... has gone bust. The crash of 2008 exposed a devastating truth that went much deeper than the discovery of a generation of delinquent bankers, or a transitory property bubble. It has become apparent to anyone with a grip on economic reality that free markets simply cannot produce enough wealth to support the sort of universal entitlement programmes which the populations of democratic countries have been led to expect.Vor einem solchen Hintergrund wundert es überhaupt nicht mehr, wenn etwa der deutsche "Cicero" eine eigentlich recht nüchterne Analyse unter die reißerische Überschrift stellt: "Wie gefährlich ist Mitt Romney?"
Was in Frage gestellt wird, ist nicht weniger als die grundlegende Voraussetzung der Politik der Mitte: Daß wir einen freien Markt zugleich mit einem Wohlfahrtssystem eines demokratischen Sozialismus haben können. Die magische Formel, nach welcher der von der Marktwirtschaft erzeugte Reichtum vom Staat umverteilt wird, ... ist zerborsten. Der Crash von 2008 enthüllte eine vernichtende Wahrheit, die viel weiter ging als die Entdeckung einer Generation delinquenter Banker, oder eine vorübergehende Vermögensblase. Jedem, der die ökonomische Realität erfaßt, ist klar geworden, daß freie Märkte schlicht nicht genug Reichtum erzeugen können, um die Art von Programmen universeller Ansprüche zu tragen, welche die Bevölkerungen demokratischer Länder zu erwarten gelernt haben.
In kaum etwas sind sich die Europäer so einig wie in der Ablehnung "amerikanischer Verhältnisse". Es ist deshalb für fast alle Deutschen ein zutiefst beunruhigender Gedanke, dass ein Politiker leidenschaftlich für persönliche Freiheit, Eigenverantwortung und Rückbau des Staatseinflusses eintreten kann - und dabei doch noch ein kluger, zivilisierter und ernstzunehmender Mensch ist, der womöglich sogar Mehrheiten findet. Wo kämen wir denn da hin, wenn auch bei uns so etwas möglich wäre???
Dann doch lieber die einfache und beruhigende Erklärung: Bei Romney, Ryan & Co. handelt es sich um böse und latent rassistische Zyniker, die ihre Mehrheiten allenfalls mit dem Geld von Plutokraten zusammenkaufen. Barack Obama ist ein tragischer Held, der das Gute von "uns" übernehmen will, aber von den bösen Republikanern am Erfolg gehindert wird. SPON locuta, causa finita.
Eine kleine Prognose zum Schluss: Sollte die deutsche Medienberichterstattung über die Republikaner in den kommenden Wochen doch noch nüchterner oder gar freundlicher werden, dann wäre das ein klares Indiz dafür, dass Romneys Chancen steigen. Denn bekanntlich ist nichts so erfolgreich und beliebt wie der Erfolg - und nichts so frustrierend wie mit einem Verlierer unterzugehen. Auch und gerade wenn dieser Verlierer Barack Obama hieße.
Juno
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