24. September 2012

Marginalie: Charlie Hebdos Karikaturen, Frankreichs geschlossene Botschaften und ein klares Wort aus Washington

Charlie Hebdo ist derzeit in den Medien. Wenn man den Namen der Zeitschrift beispielsweise bei der Internet-Ausgabe der FAZ als Suchbegriff eingibt, dann erhält man als erstes Artikel mit den folgenden Titeln geliefert:
  • Tote bei antiwestlichen Protesten in Pakistan
  • Proteste vor französischer Botschaft in Teheran
  • Protest der Verlierer
  • Furcht vor neuen Unruhen in der islamischen Welt
  • Was hat die Zeitschrift mit diesen Krawallen und Gewalttaten zu tun? Charlie Hebdo hatte den Mut, Karikaturen zum Islam zu publizieren.

    Also "Islamkritische Karikaturen"? Jedenfalls vom Titelbild der Ausgabe, die jetzt die gewalttätigen Krawalle auslöste, wird man das nicht sagen können.

    Sie können sich dieses Titelbild der Ausgabe No 1057 vom 19. September 2012 zum Beispiel hier ansehen. Es ist eine Anspielung auf den Film Intouchables, deutscher Titel "Ziemlich beste Freunde", in dem der reiche, gelähmte Philippe (François Cluzet) in seinem Rollstuhl von einem schwarzen Pfleger, dem gerade aus dem Gefängnis entlassenen Driss (Omar Sy) betreut wird, zu dem er eine Freundschaft entwickelt.

    Die Karikatur trägt die Überschrift Intouchables 2 und zeigt im Rollstuhl einen Mann mit Turban, Bart und einem weißen Hemd als Bekleidung, der von einem Mann mit den Attributen eines orthodoxen Juden geschoben wird. Die Sprechblase, die, wenn ich es richtig verstehe, das beinhalten soll, was beide im Chor sagen, lautet: "Faut pas se moquer", also, frei übersetzt: "Kein Grund, sich lustig zu machen".

    Eine Karikatur also, die eine Freundschaft zwischen einem Juden und einem Moslem zeigt; ungefähr so ungewöhnlich wie die Freundschaft zwischen dem reichen Weißen Philipp und dem schwarzen Ex-Kriminellen Driss in "Ziemlich beste Freunde".

    Diese versöhnliche, wenn auch vielleicht nicht sehr witzige Karikatur ist die Titelillustration der Ausgabe No 1057 von Charlie Hebdo; jener Ausgabe, die quer durch die islamische Welt gewalttätige Krawalle ausgelöst hat; die sogar die französische Regierung veranlaßt hat, vorsorglich zwanzig Botschaften in islamischen Ländern zu schließen.

    Auf der Rückseite des Hefts gibt es einige Karikaturen unter der Überschrift "Les caricatures auquelles vous avez echappé" (Die Karikaturen, die Ihnen erspart blieben). Soweit ich das erkennen kann, befassen sie sich alle mit dem Film The innocence of muslims (in einer heißt er "ein saublöder Film") und nicht mit Mohammed oder dem Islam selbst. In zweien wird beispielsweise eine Filmset-Szene mit einem Mohammed-Darsteller verulkt; aber eben nicht der Prophet Mohammed. Alle Karikaturen mit (treffenden) deutschen Übersetzungen können Sie sich hier ansehen.

    Geschmackvoll sind sie nicht, diese Karikaturen; aber geschmackvoll war Charlie Hebdo noch nie, die satirische Wochenzeitschrift, die 1970 gegründet wurde, als die wöchentliche Ausgabe von Hara-Kiri einem Verbot zum Opfer gefallen war. (Charlie ist eine Hommage an Charlie Brown von den Peanuts; Hebdo ist eine Abkürzung von hebdomadaire, Wochenzeitschrift).

    Geschmackvoll sind sie nicht; witzig kann ich sie auch nicht finden, diese Karikaturen - aber gewiß beleidigen sie weder Mohammed, noch verunglimpfen sie den Islam.



    Selbst wenn man sich an den Karikaturen auf der Rückseite stoßen sollte - durch den Anblick des nachgerade freundlichen Titelbilds der No 1057 von Charlie Hebdo kann sich ein Moslem schwerlich in seinem Glauben beleidigt fühlen; und das Heft kaufen und hineinschauen braucht er ja nicht.

    Aber darum geht es natürlich gar nicht. Charlie Hebdo hat moslemischen Scharfmachern frei Haus die Gelegenheit geliefert, ihre Empörtheit, ausgelöst durch den Film The innocence of muslims, noch ein wenig zu verlängern; zum Nutzen ihrer salafistischen Richtung in der politischen Auseinandersetzung mit gemäßigteren Islamisten (siehe Wie begann die Affäre um den Mohammed-Film "The Innocence of Muslims?"; ZR vom 16. 9. 2012).

    Wie sollte sich der Westen gegenüber diesen gezielt von Extremisten herbeigeführten Krawallen und Gewalttaten verhalten? Solle er einknicken; sollte er sich so verhalten, wie es Ludwig Greven in "Zeit-Online" vorgeschlagen hat? Nämlich
    ... in vollem Bewusstsein eigener innerer Stärke und in Abwägung mit anderen schutzwürdigen Interessen der Rücksicht auf religiöse Gefühle Vorrang ... geben.
    Religiöse Gefühle sind schutzwürdig; beispielsweise, wenn Menschen in eine Kirche eindringen und dort einen blasphemischen Auftritt veranstalten (siehe Sind Pussy Riot "moderne Heldinnen"; ZR vom 18. 8. 2012). Aber ein Heft von Charlie Hebdo mit einer durchaus nicht den islamischen Glauben verunglimpfenden Karikatur auf der Titelseite verletzt niemandes religiöse Gefühle; wenn denn die Gewalttäter, die sich empört gaben, das Heft überhaupt zu Gesicht bekommen haben sollten.

    In der Washington Post hat letzte Woche deren Redakteur Charles Lane die Sache auf den Punkt gebracht: "There's no place for censorship-by-riot" überschreibt er seinen Artikel; für Zensur durch Krawall gibt es keinen Platz.

    Denn darauf läuft es ja hinaus: Wer sich die Verunglimpfung seiner Religion gefallen läßt und - wie kürzlich der Papst - allenfalls mit juristischen Mitteln vorgeht, der steht als der Dumme da (siehe Zettels Meckerecke: Latrinenhumor bei "Titanic"; ZR vom 12. 7. 2012). Wer dagegen Gewalt anwendet, der findet nicht nur Beachtung, sondern offenkundig bei manchen im Westen auch noch Verständnis. Wie es Charles Lane formuliert:
    Among the many threats that Islamic extremism poses to the West, censorship-by-riot may be the most insidious. We have been facing it at least since Iran's Ayatollah Ruhollah Khomeini issued a kill-the-apostate decree against British novelist Salman Rushdie in 1989. (...) We can't slide one more inch down this slippery slope.

    Von den vielen Bedrohungen durch den islamischen Extremismus ist Zensur durch Krawall vielleicht die heimtückischste. Wir sind damit konfrontiert, seit 1989 der iranische Ayatollah Ruhollah Khomeini ein "Tötet-den-Abtrünnigen"-Urteil gegen den britischen Romancier Salman Rushdie aussprach. (...) Wir dürfen auf dieser schiefen Bahn keinen Zoll weiter nach unten rutschen.
    Zettel



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