27. September 2012

Zitat des Tages: "Gartenzwergvoltaire". Gero von Randow über die Frage eines Aufführungsverbots für den Mohammed-Film

Gewiss, der aufgeklärte Deutsche, gut beschützt von seinen Ordnungskräften, mag er auch den Film "primitiv" finden und überhaupt Blasphemie eher "unnötig", er kann als Gartenzwergvoltaire auftreten und sagen: Ich bin zwar nicht für solche Sachen, aber ich würde diese Freiheit bis zum letzten Blutstropfen verteidigen. Nun ja. Würde er es wirklich? In einigen arabischen Ländern jedenfalls fürchten Deutsche tatsächlich um ihr Leben. Wollen wir, dass sie eventuell Märtyrer der Freiheit werden?
Gero von Randow gestern in "Zeit-Online" zu der Frage, ob die von "Pro Deutschland" angekündigte Aufführung des Mohammed-Films verboten werden sollte. Überschrift: "Soll denn die Freiheit weichen?"

Kommentar: Gero von Randow, Sohn des langjährigen Chefs des Wissenschafts­ressorts der "Zeit" Thomas von Randow ("Zweistein"), ist einer der klügsten deutschen Journalisten. Lange hat auch er im Ressort Wissenschaft (zuletzt der F.A.S.) gearbeitet und kurzweilige populärwissenschaftliche Bücher geschrieben; beispielweise über Wahrschein­lich­keits­rechnung. Dann wechelte er das journalistische Metier und ist jetzt Pariser Korrespondent der "Zeit". Ich habe seine Bericht­erstattung oft zitiert; beispielsweise über den Beginn des "Arabischen Frühlings" in Tunesien und über den Wahlkämpfer François Hollande.

Jetzt also befaßt sich Randow mit der Frage, ob die Aufführung des Mohammed-Films in Deutschland verboten werden sollte. Er tut das sachlich und mit einer vorbildlich gegliederten Argumentation; eben wie ein Wissenschaftler. Und er stellt einen Aspekt in den Vordergrund, der in der Debatte zu diesem Thema bisher wenig gewürdigt wurde.

Randow fragt erstens, ob ein Verbot der Aufführung überhaupt rechtlich möglich wäre und untersucht akríbisch, welche Paragraphen und Rechtsprinzipien hierbei herangezogen werden könnten. Läßt sich der § 166 StGB anwenden? Das ist fraglich, meint Randow, denn er ist, da er die Meinungsfreiheit einschränkt, restriktiv auszulegen. (Zu diesem Paragraphen siehe "Beleidigung anderer Religionen". Anmerkung zu einem Satz von Dr. jur. Guido Westerwelle; ZR vom 7. 9. 2012).

Wohl aber ließe sich ein Verbot mit Gefahrenabwehr begründen; denn eine Aufführung des Films könnte das Leben und die Gesundheit von Deutschen gefährden, die in islamischen Ländern leben. Allerdings müßte dann dargelegt werden, daß eine Aufführung eines Films, der bereits im Internet zu besichtigen ist, diese Gefahr zusätzlich erhöht.

Und wie steht es mit der Kunstfreiheit? Unter sie fällt dieser Film in der Tat, meint Randow; denn Kunst im juristischen Sinn unterliegt keiner "Niveaukontrolle". Aber auch die Kunstfreiheit ist nicht absolut, wenn ihr als das höherwertige Gut der Schutz von Menschen vor Gefahren für Leib und Leben gegenübersteht.



Ein Verbot wäre somit, so lautet das erste Fazit Randows, rechtlich möglich. Sollte man aber auch von dieser Möglichkeit Gebrauch machen? Randow diskutiert zunächst einen "schwachen Einwand", den ich jetzt übergehe, und dann den "starken Einwand":
Würde man die Aufführung wegen der damit verbundenen Gefahren verbieten, dann läge es in der Hand von Gewalttätern, die Grenzen der Freiheit zu definieren. Der Einwand wird übrigens auch gegen den schon zitierten Paragraf 166 StGB vorgebracht. Machtpolitisch ist er nicht zu bestreiten. Über ein Aufführungsverbot denken wir schließlich nur deshalb nach, weil es Gewaltdrohungen gibt; also haben die Feinde der Freiheit das Heft des Handelns in der Hand. Ein schlimmer Befund.
Klare Sache also; man sollte nicht verbieten, auch wenn es rechtlich möglich wäre? Nicht unbedingt, meint Randow, und entläßt seine Leser mit einer gewissen Ratlosigkeit:
Lässt sich diesem Einwand überhaupt etwas entgegnen? Nicht viel, aber doch dies: Wir müssen unterscheiden zwischen dem, was sein soll, und dem, was ist. Die extremistisch motivierte Gewalt ist eine Tatsache. Wir können sie nicht wegdenken. Die Bedrohung ist real. Die Politik kann ihr nicht theoretisch antworten, sondern nur praktisch, und das bedeutet: indem sie sich durch die realen Widersprüche hindurch windet, Nachteile in Kauf nimmt, kurz, indem sie jeden konkreten Fall abwägt.
Ja, nur wie und mit welchem Ergebnis? Randow läßt das offen, auch wenn man den Eindruck hat, daß er doch eher einem Verbot zuneigt. Jedenfalls ist ihm eines klar: "Edel ist eine solche Haltung nicht. Nur realistisch".



So unbefriedigend dieses Resultat ist - Randows Beitrag geht doch über das Niveau der meisten bisherigen Stellungnahmen zu diesem Thema hinaus.

Erstens, weil er nicht auf die "Gefühle von Moslems" und dergleichen abhebt wie sein "Zeit"-Kollege Ludwig Greven (siehe den Artikel von Herr Vom Nachgeben gegenüber islamistischen Gewalttätern und der Ethik der Bergpedigt; ZR vom 24. 9. 2012). Randow argumentiert ausschließlich zweckrational: Was könnten die Folgen einer Aufführung des Films sein und sollte man ihn verbieten, um diesen Folgen zu entgehen?

Zweitens, weil Randow den Entscheidungskonflikt analysiert, uns aber nicht eine Meinung aufdrängt. Die hat er vielleicht selbst nicht. Er gibt nur Gesichtspunkte zu bedenken. Und er gibt damit dem Leser zu denken.
Zettel



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