12. September 2012

Was ist von den Wahlen in den Niederlanden zu erwarten? Eine kleine Handreichung. Holland plus Hollande

Bisherige Sitzverteilung

Die heutigen Wahlen in den Niederlanden sind von großer europapolitischer Bedeutung.

Der bisherige Ministerpräsident Mark Rutte von der rechtsliberalen VVD gehörte zu den letzten Verbündeten Angela Merkels im Kampf um einen europäischen Sparkurs. Ihr Hauptverbündeter Sarkozy ist Geschichte; sein Nachfolger François Hollande hat Frankreich ins Lager der südeuropäischen Länder geführt, die von einer Inflation profitieren würden und sie also wollen; sie zumindest in Kauf nehmen. Siegt in Holland Mark Ruttes Widerpart Diederik Samsom von der sozialdemokratischen PvdA, dann wird sich Holland dieser Koalition anschließen; zumal Samsom mit der linkssozialistischen PS regieren würde.

Merkels europäische Koalition besteht dann noch aus Deutschland und Finnland.



Der NRC Handelsblad faßt in seiner heutigen Ausgabe die Aussichten der Parteien zusammen:

Bei den stärksten Parteien wird es wahrscheinlich ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen der VVD und der PvdA geben. Jede der beiden Parteien könnte um die 35 Sitze gewinnen. Sie wäre damit allerdings weit von einer eigenen Mehrheit im 150-Sitze-Parlament entfernt.

Für Rutte wäre das ein gutes Ergebnis. Für Diederik Samsom wäre es bereits ein glänzendes Ergebnis, wenn er knapp hinter Rutte zweiter würde. Denn noch vor wenigen Wochen lag seine PvdA weit hinter der linkssozialistischen PS zurück, die in den Umfragen zeitweise sogar stärkste Partei war.

Die Linkssozialisten sind strikt gegen einen Sparkurs. Sie erhielten Zulauf auch von bürgerlichen Wählern, die sich durch diesen Kurs bedroht sehen. Aber der Wahlkampf lief schlecht für den SP-Vorsitzenden Emile Roemer. In den TV-Debatten überzeugte er nicht, während der Stern von Diederik Samsom aufging. Von den 38 Sitzen, die ihr zeitweilig prophezeit wurden, kann die SP jetzt nur noch träumen. Bisher hatte die SP 15 Sitze. Alles darüber - vielleicht die 25 Sitze, die von den Umfragen vorhergesagt werden - könnte sie als Erfolg werten.

Für eine Regierungsbildung zusammen mit der PvdA würde das nicht reichen; aber PvdA und SP könnten der Kern einer Linkskoalition sein, zu der beispielsweise die Grünen GroenLinks, geführt von Jolande Juice, gehören würden. Sie stecken zwar in internen Querelen und werden ihre jetzigen 10 Sitze kaum halten können; aber mit vielleicht nur 4 Sitzen würden sie zu einer solchen Linkskoalition beitragen können.

Das bürgerliche Lager dürfte hingegen kaum eine Koalition zusammenbringen können.

Mark Rütte hatte bisher zusammen mit der christ­demokratischen CDA regiert. Diese Partei, die einst in den Niederlanden dieselbe Rolle spielte wie in Deutschland die CDU, ist heute nur noch ein Schatten ihrer selbst. Bisher hatte sie noch gerade einmal 21 Mandate. Auch diese Zahl dürfte sie jetzt noch einmal unterschreiten.

Gestützt worden war diese Minderheitsregierung von Geert Wilders' PVV, die einmal als Abspaltung von der VVD entstanden war. Im April zog Wilders aber wegen Ruttes Sparpolitik seine Unterstützung zurück. Kapital konnte Wilders daraus kaum schlagen, denn die noch ausgabenfreudigere linke SP nahm ihm zu diesem Thema die Butter vom Brot.

Wilders' bisheriges Hauptthema Islam steht derzeit in Holland im Hintergrund; die Menschen haben andere Sorgen. Die Umfragen deuten darauf hin, daß die PVV ihre 24 Sitze nicht wird halten können. Allerdings liegen die Umfragen bei dieser Partei oft schief, weil sich viele Befragte nicht zu ihr bekennen wollen. Für eine Überraschung ist sie auch jetzt wieder gut.

Bleiben die Parteien, die nicht leicht einem Lager zuzurechnen sind.

Da ist einmal die eigenwillige, liberale Partei D66, die beispielsweise für direkte Demokratie eintritt und die einen strikt europafreundlichen Kurs verfolgt. Sie hatte bisher 10 Sitze. In der Polarisation zwischen Rutte und Samsom könnten jetzt viele ihrer Wähler sich für eine der beiden großen Parteien entscheiden; so daß den D66 diesmal ein schlechteres Abschneiden prophezeit wird.

Da sind die Piraten, die es vielleicht erstmals ins Parlament schaffen. Und da sind die für Holland typischen religiösen Parteien, die ChristenUnie mit jetzt 5 Sitzen, die protestantische SGP mit jetzt zwei Sitzen. Und es gibt eine Tierschutzpartei (PvdD), der bis zu 4 Sitze vorhergesagt werden.



Wie auch immer die Wahlen ausgehen werden - das Parlament, die Tweede Kamer, wird wieder das bunte Bild bieten, das für Länder mit einem Verhältniswahlrecht so bezeichnend ist (siehe das Titelbild, das die momentane Zusammensetzung zeigt). Wie so oft wird die Regierungs­bildung nicht leicht werden; wird die Regierung, die man irgendwann hinbekommt, nicht stabil sein. Das ist der Preis, den man für das Verhältniswahlrecht zahlt.

Daß es Rutte noch einmal schaffen wird, eine Koalition auf die Beine zu stellen, ist unwahrscheinlich. Am wahrscheinlichsten ist es, daß der nächste Ministerpräsident Diederik Samsom heißt, daß er Chef der am weitesten links stehenden Regierung sein wird, die Holland jemals hatte, und daß die Niederlande ins Lager der Länder wechseln werden, die Merkels Sparkurs ablehnen.

Holland plus Hollande, das ist die wahrscheinlichste Perspektive dieser heutigen Wahlen, unter europäischem Gesichtspunkt.­




Nachtrag um 20 Uhr: Inzwischen liegen letzte Prognosen vor. Ich habe sie in diesem Beitrag in Zettels kleinem Zimmer zusammengestellt. Über Hochrechnungen werde ich in diesem Thread weiter berichten.
Zettel



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