24. September 2012

Vom Nachgeben gegenüber islamistischen Gewalttätern und der Ethik der Bergpedigt

... in vollem Bewusstsein eigener innerer Stärke und in Abwägung mit anderen schutzwürdigen Interessen der Rücksicht auf religiöse Gefühle Vorrang zu geben,

das fordert, wie Zettel zitiert, Ludwig Greven in der Zeit.

Das scheint in der gegenwärtigen Debatte um den Mohammed-Film und gewalttätige Ausschreitungen in islamischen Ländern eine typische Stimme zu sein: Der Klügere gibt nach. Wir nehmen auf Schwächere Rücksicht. Wir müssen nicht provozieren, wenn wir wissen, dass unser Gegenüber zur Gewalttätigkeit neigt. ­

Die Gefahr dieser Haltung liegt auf der Hand: Ich mache mich erpressbar und ausnutzbar. Ich verzichte um des lieben Friedens willen auf meine Rechte. Denn so läuft ja die Argumentation: Es geht nicht darum, Recht und Freiheit einzuschränken, sondern darum, auf mein Recht und meine Freiheit aus Rücksicht auf den Anderen und aus Respekt vor ihm zu verzichten, so Greven. Wer also am Ende die Meinungs-, Kunst- und Redefreiheit verteidigt, steht als moralischer Verlierer da, der nicht in der Lage ist, Rücksicht, Toleranz und Respekt für den unverstandenen Fremden aufzubringen.


Woher kommt diese so verbreitete Haltung des Nachgebens, des Zurückweichens, des Kapitulierens? – Ich habe die Befürchtung, dass es sich hierbei um ein Säkularisat christlicher Lehre handelt. Speziell der Bergpredigt.

Bekanntlich lehrte Jesus seine Jünger, die andere Backe hinzuhalten, demjenigen, der deinen Rock will, auch noch den Mantel zu geben und dem, der dich bittet eine Meile mit dir zu gehen, zwei Meilen zu begleiten; und überhaupt sollen die Anhänger Jesu ihre Feinde lieben. (Matthäus 5, 38-48)

Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein war es allgemeine Überzeugung, dass man mit der Bergpredigt keine Politik machen könne – ein beliebtes Zitat, dessen Herkunft ich nicht überzeugend aufklären kann, möglicherweise stammt es von Bismarck. Seit der Mitte des 20. Jahrhunderts, spätestens mit der Debatte über die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik greift ein christlicher geprägter Pazifismus um sich, der genau das Gegenteil behauptet: man könne und müsse mit der Bergpredigt Politik machen.

Bewusst miterlebt habe ich eine Variante dieser Debatte zu Beginn der achtziger Jahre in der Nachrüstungsfrage. Angesichts des drohenden Atomtods schien es vielen vernünftiger zu sein, nachzugeben und nicht nachzurüsten, um so ein gemeinsame Überleben überhaupt zu ermöglichen. Erst ein Jahrzehnt später habe ich, der ich damals nicht anders dachte, verstanden, dass Helmut Schmidt und Hans Apel, die sich zu meiner Verwunderung doch beide als evangelische Christen verstanden, recht hatten.

Wie auch immer, die Generation der Friedensbewegten hat sich den Pazifismus der Bergpredigt als politisch-moralische Handlungsmaxime zueigen gemacht, und diese Generation ist es, die heute die öffentliche Meinung beherrscht.

Und natürlich, diese Ethik hat etwas Bestechendes: Ich nehme dem Gegner den Wind aus den Segeln. Ich leide lieber, als dass ich andere leiden mache. Ich liebe meinen Feind und meinen Nächsten mehr als mich selbst. Und ich kann mich dabei noch moralisch überlegen fühlen.


Ich betone immer wieder, was über fast zwei Jahrtausende hinweg gängige christliche Interpretation der Bergpredigt war; beispielhaft finde ich sie bei Luther: Sie ist ein starkes Stück Individualethik. So kann und soll ich mich als einzelner Christ gegenüber meinem Mitmenschen verhalten.

Aber schon das funktioniert nur, so lange kein Dritter ins Spiel kommt. Wenn ich geschlagen werde, dann kann ich wohl die andere Backe hinhalten. Wenn mein Bruder, meine Frau, meine Kinder geschlagen werden, dann werde ich sie verteidigen.

Aufgabe des Staates ist gerade das: Gewalt anzudrohen und anzuwenden, um seine Bürger zu schützen. Im politischen Handeln hat deshalb die Bergpredigt tatsächlich nichts verloren.

Sehr eindrücklich äußert sich dazu Max Weber in Politik als Beruf:

... wenn es in Konsequenz der akosmistischen Liebesethik heißt: »dem Übel nicht widerstehen mit Gewalt«, - so gilt für den Politiker umgekehrt der Satz: du sollst dem Übel gewaltsam widerstehen, sonst - bist du für seine Überhandnahme verantwortlich.


Auf die Debatte um den Umgang mit muslimischen Befindlichkeiten könnte das für mich heißen: Ich kann und will mich nicht an Provokationen beteiligen, nicht nur, weil ich die gewaltsame Reaktion fürchte, sondern durchaus auch aus Achtung vor dem, was dem anderen heilig ist. Das ist meine persönliche Haltung. Aber ich kann sie von niemand anderem verlangen und von der Politik muss ich sogar verlangen, dass sie unsere Meinungs-, Kunst- und Redefreiheit schützt und verteidigt, auch und gerade wenn sie das Recht auf Äußerungen einschließt, die ich nie tun oder gutheißen würde.

Herr




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