21. September 2012

Zettels Meckerecke: Nein, der "Spiegel" und die "Süddeutsche Zeitung" sind keine Qualitätsmedien. Nicht im internationalen Vergleich. Über Eier, Mehl, Omelett

Durch die Konkurrenz des Internet wird das Anzeigengeschäft für die Printmedien schwieriger. Zwei davon haben daraus jetzt eine bemerkenswerte Konsequenz gezogen.

Der Branchendienst Cision meldete gestern:
Bei einem gemeinsamen Auftritt vor Werbekunden kündigten "Spiegel"-Chefredakteur Georg Mascolo und der Chefredakteur der "SZ" ("Süddeutsche Zeitung") Kurt Kister eine strategische Partnerschaft unter dem Motto 'Qualitätsjournalismus' an. Ziel des informellen Bündnisses zur Vermarktung von Nachrichtenmagazin und Tageszeitung sei es, bei Anzeigenkunden und Lesern die besondere Wirkung von Qualitätstiteln in den Mittelpunkt zu stellen, so "Spiegel"-Vermarktungschef Norbert Facklam und "SZ"-Vermarkter Jürgen Maukner.
Immerhin wird in dem Zitat 'Qualitätsjournalismus' in Tüttelchen gesetzt; wenn auch wohl nicht in dem Sinn, in dem man Tüttelchen allerdings auch verstehen kann. Nämlich im Sinn einer Distanzierung; so, wie einst in der Bundesrepublik "DDR" in Anführungszeichen gesetzt wurde.

Zum Qualitätsjournalismus gehört die Trennung von Nachricht und Meinung; so ist es weltweit üblich. Der "Spiegel" und die "Süddeutsche Zeitung" zeichnen sich gleichermaßen dadurch aus, daß sie hingegen Nachricht und Meinung miteinander verquirlen; so, wie man für ein Omelett das Ei und das Mehl eine innige Verbindung eingehen läßt. Eine, die keiner, der das Omelett serviert bekommt, wieder rückgängig machen kann.



Wenn Sie mögen, machen Sie sich einmal die kleine Mühe, die parteiliche, oft agitatorische Berichterstattung im "Spiegel" mit dem sachlichen, um Objektivität bemühten Stil internationaler Nachrichtenmagazine zu vergleichen. Mit dem Stil von Magazinen, die nicht mit dem Bericht auch gleich die Meinung liefern, etwa Time Magazine, Newsweek oder The Economist; gegenwärtig weltweit das beste Nachrichten­magazin.

Natürlich analysieren Nachrichtenmagazine und bringen nicht einfach Agenturmeldungen; das ist ja ihre Daseins­berechtigung. Aber Sie werden bei keinem dieser Magazine auf Anhieb sagen können, ob es nun eher links, eher konservativ oder eher liberal ist. Analysen sind eben etwas anderes als die einseitigen politische Botschaften, wie sie in vielen Stories des "Spiegel" stecken.

Gewiß möchte der Leser gern auch Meinungen geboten bekommen. Dafür sind die entsprechenden Formate da: Kommentare, Kolumnen, Editorials. Von ihnen erwartet der Leser nicht den unparteiischen Bericht, sondern die prononcierte Stellungnahme.

Sie allerdings gab es einst im "Spiegel": Kommentare auf internationalem Niveau. Freilich hatte sich Rudolf Augstein seit seinem ersten Kommentar als "Jens Daniel" und bis zu seinem Tod weitgehend das Monopol darauf vorbehalten. Nur selten durfte einmal ein Redakteur einen Kommentar schreiben.

Berühmt wurde derjenige des damaligen Ko-Chefredakteurs Erich Böhme "Die Gelegenheit ist günstig" vom 30. Oktober 1989, der mit dem Satz begann: "Ich will nicht wiedervereinigt werden". Augstein hat ihm im nachfolgenden Heft die Leviten gelesen. Dergleichen gibt es nicht mehr im heutigen "Spiegel", wenn auch gelegentliche Kommentare von dem einen oder anderen Redakteur; meist ohne Saft und Kraft.

Im Omelett wird das Mehl mit dem Ei verbacken, und also das Ei mit dem Mehl. Wer Nachricht und Kommentar vermengt, der liefert weder eine brauchbare Nachricht noch auch einen lesenswerten Kommentar.



Nicht anders sieht es beim Partner im Qualitätspakt aus, der "Süddeutschen Zeitung". Aktuell beispielsweise bietet "Süddeutsche.de" als Aufmacher den Artikel "Wie der Staat das soziale Netz umbauen muss". Mit der Nachricht wird zugleich die Meinung geliefert; in diesem Fall sogar die erwünschte politische Zielsetzung. Der Leser hat gar nicht die Gelegenheit, sich erst einmal zu informieren, bevor er die Meinung der Redaktion der "Süddeutschen Zeitung" erfährt. Er wird sofort mit dieser Meinung überfallen.

So etwas wäre in einer seriösen amerikanischen Zeitung undenkbar. Gehen Sie zum Vergleich vielleicht einmal auf die WebSites der beiden besten amerikanischen Tageszeitungen.

Die Washington Post macht aktuell auf mit dem Artikel Conservative groups reaching new levels of sophistication in mobilizing voters; "Konservative Gruppen erreichen beim Mobilisieren von Wählern neue Stufen der Perfektionierung". Es handelt sich um eine Reportage darüber, wie der republikanische Wahlkampf an der Basis abläuft; nämlich mit kräftiger Hilfe konservativer Organisationen, die beispiels­weise Hausbesuche organisieren, um die Wähler zu mobilisieren. (Auf der Startseite heißt der Artikel On the right, voter outreach ups the ante; "Auf der Rechten wird beim Zugehen auf die Wähler noch draufgelegt").

Die New York Times hat gegenwärtig als Aufmacher In Obama's evolution on China policy, a tougher line; "Bei Obamas China-Politik entwickelt sich eine härtere Linie". Auch dies ein sachlicher und informativer Bericht.

Beide Tageszeitungen haben Kommentarseiten mit einer Fülle von diversen, oft sehr prononcierten Stellungnahmen. Sehen Sie sich das einmal bei der Washington Post an. Gegenwärtig kann man unter den Dutzenden von Kommentaren zwei neue lesen, die sich beide mit Mitt Romney befassen. Schon die Titel verraten, wie gegensätzlich sie sind: Romney’s class warfare ("Romneys Klassenkampf") von dem linken Kolumnisten Eugene Robinson; Romney’s best pitch (frei übersetzt: "Romneys bester Aufschlag"; der Ausdruck kommt aus dem Baseball) von dem konservativen Kolumnisten George Will.

Dem Leser der Washington Post wird täglich dieses Spektrum der Meinungen von weit links bis weit rechts geboten. Er kann das lesen, mit Zustimmung oder mit Ablehnung; er kann sich aufgrund dieser Lektüre seine eigene Meinung bilden. Das ist Qualitätsjournalismus.
Zettel



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