17. September 2012

Zitat des Tages: "Beleidigung anderer Religionen". Anmerkung zu einem Satz von Dr. jur. Guido Westerwelle

Ich bin der Überzeugung, dass die Beleidigung anderer Religionen nicht nur dem Strafgesetzbuch nach untersagt ist, sondern dass das auch immer eine Frage der Wahrung der öffentlichen Ordnung und des öffentlichen Friedens ist.
Außenminister Guido Westerwelle gestern Abend im Bericht aus Berlin.

Kommentar: Dieser Satz hat mich gewundert. Die "Beleidigung anderer Religionen" ist dem Strafgesetzbuch nach verboten? Die Beleidigung der eigenen also nicht?

Ein Blick ins Strafgesetzbuch; § 166 Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltan­schau­ungs­vereini­gungen:
(1) Wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
Strafbar ist also nicht die "Beleidigung anderer Religionen", sondern die Beschimpfung des Bekenntnisses anderer. Des Bekenntnisses anderer Menschen; also von jedem beliebigen Menschen. Beispielsweise auch des religiösen Bekenntnisses von Christen.

Das ist zwar sprachlich nur ein kleiner Unterschied; inhaltlich aber ein erheblicher. Nicht "andere Religionen" sind durch den § 166 vor Beschimpfungen geschützt, sondern alle Religionen; und nicht nur sie, sondern auch alle weltanschaulichen Bekenntnisse, beispielsweise auch das weltanschauliche Bekenntnis von Atheisten.

Und sie sind auch nicht gegen "Beleidigungen" geschützt, diese Religionen und Weltanschauungen, sondern gegen Beschimpfungen. Eine Beleidigung ist die Verletzung der persönlichen Ehre einer Person. Diese ist das zu schützende Rechtsgut; und es handelt sich um ein Antragsdelikt. Das durch den § 166 geschützte Rechtsgut ist hingegen der öffentliche Frieden. Ein Verstoß gegen diesen Paragraphen ist folglich ein Offizialdelikt; denn der Schutz des öffentlichen Friedens obliegt dem Staat.

Es erscheint schon ein wenig bedenklich, daß dem Juristen Westerwelle dieser Unterschied offenbar nicht geläufig ist; so, wie er nicht zwischen "anderen Religionen" und den "Bekenntnissen anderer" zu unterscheiden vermag.



Es ist interessant, die Entwicklung dieses § 166 StGB zu verfolgen. Von der Einführung des StGB am 1. Januar 1872 bis zum 1. Oktober 1953 lautete er:
Wer dadurch, daß er öffentlich in beschimpfenden Äußerungen Gott lästert, ein Ärgerniß gibt, oder wer öffentlich eine der christlichen Kirchen oder eine andere mit Korporationsrechten innerhalb des Bundesgebietes bestehende Religionsgesellschaft oder ihre Einrichtungen oder Gebräuche beschimpft, ingleichen wer in einer Kirche oder in einem anderen zu religiösen Versammlungen bestimmten Orte beschimpfenden Unfug verübt, wird mit Gefängniß bis zu drei Jahren bestraft.
Das war also der "Gotteslästerungsparagraph".

Die Änderungen zum 1. Oktober 1953 waren minimal; ich hebe sie hervor:
Wer dadurch, daß er öffentlich in beschimpfenden Äußerungen Gott lästert, ein Ärgernis gibt, oder wer öffentlich eine der christlichen Kirchen oder eine andere im Staate bestehende Religionsgesellschaft des öffentlichen Rechtes oder ihre Einrichtungen oder Gebräuche beschimpft, ingleichen wer in einer Kirche oder in einem anderen zu religiösen Versammlungen bestimmten Orte beschimpfenden Unfug verübt, wird mit Gefängnis bis zu drei Jahren bestraft.
Eine entscheidende Änderung gab es zum 1. September 1969 im Rahmen der Großen Strafrechtsreform. Die Gotteslästerung wurde gestrichen und durch die Beschimpfung des Inhalts des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer ersetzt:
(1) Wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften, Tonträgern, Abbildungen oder Darstellungen den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, wird mit Gefängnis bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften, Tonträgern, Abbildungen oder Darstellungen eine im Inland bestehende Kirche oder andere Religionsgesellschaft oder Weltan­schau­ungs­vereini­gung, ihre Einrichtungen oder Gebräuche in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören.
Danach gab es nur noch geringfügige Änderungen; die letzte zum 1. Januar 1975.­
Zettel



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