14. September 2012

Marginalie: Der Angriff gegen das US-Konsulat in Bengasi - eine Chance für die USA? Über die libysch-amerikanischen Beziehungen

Es war nicht eine "aufgebrachte Menschenmenge", die das US-Konsulat im libyschen Bengasi angriff und den amerikanischen Botschafter sowie drei weitere Amerikaner tötete.

Die Attacke war von langer Hand geplant und wurde von einer der Kaida nahestehenden Gruppe von Terroristen ausgeführt; vermutlich - so CNN - den Omar Abdul Rahman-Brigaden. Es handelt sich bei ihnen um eine der zahlreichen im Umfeld der Kaida weitgehend autonom agierenden Organisationen von Dschihadisten; gewissermaßen Franchise-Nehmer der Kaida (siehe Die Kaida und ihr Umfeld im Jahr 2010. Neue organisatorische Strukturen, neue Taktik; ZR vom 9. 1. 2010).

Möglicherweise reagierte diese Gruppe auf einen Aufruf des Kaida-Führers Ayman al-Zawahiri, den Tod von Abu Yahya al-Libi zu rächen, eines führenden Dschihadisten, der im Juni in Libyen ums Leben gekommen war. Die Unruhen im Zusammenhang mit einem in den USA veröffentlichten Film erleichterten den Angriff, stehen aber mit ihm nicht im direkten Zusammenhang.

Die Omar Abdul Rahman-Brigaden operieren schon seit längerem in Ostlibyen und werden für eine Reihe von Anschlägen verantwortlich gemacht; u.a. einen Angriff auf das Rote Kreuz in Misrata und eine Attacke gegen den Konvoi des britischen Botschafters am 11. Juni.



Auf den ersten Blick scheint der Tod ihres Botschafters eine Niederlage der USA zu sein. Langfristig aber könnten sie daraus Vorteile ziehen.

Libyen wird nach wie vor nicht von der Regierung in Tripolis beherrscht, sondern ist weitgehend unter der Kontrolle von Warlords, lokalen Milizen und terroristischen Gruppen (siehe "Feiern bis spät in die Nacht". Die Wahlen in Libyen und die wirklichen Machtverhältnisse; ZR vom 8. 7. 2012). Wenn die Regierung das ändern will, dann ist sie auf die Hilfe der USA angewiesen.

Dazu hat Stratfor vorgestern eine Analyse vorgelegt, an der ich mich im folgenden orientiere.

An diesem Tag, am vergangenen Mittwoch, schwor Präsident Obama, die für den Tod des Botschafters Verantwortlichen der Gerechtigkeit zuzuführen. Am selben Tag wurde Mustafa Abu Shagour zum neuen libyschen Ministerpräsidenten gewählt.

Shagour hat bisher sowohl die libysche als auch die amerikanische Staatsbürgerschaft. Diese muß er bei Antritt seines Amtes jetzt aufgeben. In die USA kam er 1975, um sein Studium der Elektrotechnik fortzusetzen. 1984 promovierte er an einer der führenden THs der USA, dem California Institute of Technology (Caltech).

Er schlug dann in den USA eine Universitätskarriere ein und war zunächst Assistenzprofessor an der University of Rochester und der University of Alabama. Er spezialisierte sich auf optische Technologie, wurde ordentlicher Professor und leitete zahlreiche Forschungsprogramme; u.a. für die NASA und das US-Verteidigungsministerium.

Schon während seines Studiums in Libyen war Shagour ein Regimegegner. In den USA gehörte er zu einer Gruppe von Oppositionellen, die von außen die Opposition in Libyen unterstützten. Nach dem Sturz Gaddafis kehrte er nach Libyen zurück und war zunächst stellvertretender Ministerpräsident, bis er jetzt das Amt des Minister­präsidenten erhielt.

Shagour ist nicht der einzige der jetzt in Tripolis Verantwortlichen, der einen solchen Hintergrund hat. Generalleutnant Khalifa Haftar beispielsweise, der die Bodentruppen des Übergangsrats während des Aufstands kommandierte, lebte in den neunziger Jahren in den USA. Ihm werden ausgezeichnete Verbindungen zu US-Geheimdiensten nachgesagt.

Diese Führung mit engen Beziehungen zu den USA hat jetzt dieselben Interessen wie die USA: Die Herrschaft der Milizen zu brechen und vor allem in Ostlibyen gegen die Dschihadisten vorzugehen. Die Attacke auf das US-Konsulat in Bengasi unterstreicht das und wird ein Argument für diese Führung sein, verstärkt amerikanische Hilfe beim Aufbau der nationalen Armee zu verlangen. Für die USA ihrerseits ist das eine Chance, ihren Einfluß in Libyen auszubauen.­
Zettel



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