18. September 2012

Deutschland im Öko-Würgegriff (34): Die ernüchternden Fakten zur Offshore-Windenergie. Nebst einer Erinnerung an George Dandin

Der Aufsatz, den ich Ihnen empfehlen möchte, beginnt so: "Wie wir alle schon mehrfach hörten, soll die Windkraft das Herzstück der Energiewende werden – und die Offshore-Windkraft soll den größten Anteil davon zur Verfügung stellen. Die Pläne sind 'ehrgeizig'; das ist im Öko-Sprachgebrauch das Synonym für überzogen und realitätsfern. Die zu diesen ehrgeizigen Offshore-Ausbauplänen gehörenden Zahlen sind die folgenden:".

Und es folgen Zahlen, Fakten, Berechnungen. Dieser Artikel ist das Gründlichste, das Überzeugendste und fachlich Kundigste, das ich bisher zum Thema "Offshore-Windenergie" gelesen habe. Sein Autor ist Dr. Günter Keil; Diplomingenieur, früher als Wissenschaftler an der TU München, bei der Fraunhofer-Gesellschaft und im Bundes­forschungs­ministerium tätig; Autor des Sachbuchs "Die Energiewende ist schon gescheitert".

Ich empfehle Ihnen sehr, diesen Artikel zu lesen. Leider ist er recht lang und so vollgepackt mit Details, daß die Lektüre schon ein wenig Zeit benötigt. Deshalb hier eine Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse, zu denen Keil kommt:

Die gegenwärtige Planung sieht folgendes vor:
  • Bereits 2013 sollten vor den Küsten Windenergieanlagen (WEA) mit einer Maximalleistung von 3.000 Megawatt (MW) in Betrieb oder im Bau sein.

  • Bis zum Jahre 2020 sollten WEA mit 7.600 MW zur deutschen Stromerzeugung beitragen. Das wären etwa 1.700 Windräder.

  • 2030 sollen es dann 25.000 MW sein.
  • Keil zeigt im Detail, wie die Wirklichkeit auf eine nachgerade groteske Weise diese hochfliegenden Pläne dementiert:

    3.000 MW bereits im Jahr 2013? Die tatsächliche Lage sieht so aus: Derzeit steht eine Leistung von maximal 200 MW zur Verfügung, geliefert von 52 Wind­energie­anlagen (WEA). Fertiggestellt, aber noch nicht angeschlossen sind weitere 4 WEA. Außerdem gibt es 33 noch leere Fundamente (Trumms von je 700 Tonnen), auf denen WEA gebaut werden sollen. Angenommen, sie stünden Ende 2013 tatsächlich zur Verfügung - dann hätte man statt 3.000 MW eine Gesamtleistung aus Offshore-Anlagen von maximal 385 MW. Wie man sieht, wird dann das Plansoll von 3.000 MW nicht wirklich so ganz erfüllt sein.

    Das ist die nominelle Leistung, die diese WEA erreichen können. Das heißt aber keineswegs, daß sie diese auch ständig tatsächlich liefern.

    Sehen Sie sich einmal diese Grafik an (für eine vergrößerte Version bitte darauf klicken). Sie zeigt zum einen die laut den EEG-Jahresmeldungen installierte WEA-Leistung von Mitte 2009 bis Mitte 2012. Hier ist ein gewaltiger Zuwachs zu sehen; von 30 MW im September 2009 stieg die installierte Leistung auf 170 MW Ende Juli 2012 (der Netzbetreiber Tennet nennt sogar 180 MW).

    Durchaus anders sieht es mit der tatsächlich erzeugten Leistung aus. Sie liegt naturgemäß fast stets unter der installierten Leistung, denn nicht immer weht der Wind mit voller Stärke; und die Leistung hängt nichtlinear von der Windgeschwindigkeit ab (halbiert diese sich, dann sinkt die Leistung beispielsweise auf ein Achtel).

    Immerhin lag bis Juli 2011 die tatsächliche Leistung an einigen Tagen nicht allzu weit unter der installierten Leistung. Manchmal gibt es eben Starkwind; dann können die WEA ihre volle Leistung abgeben.

    Seither aber ist das anders. Die installierte Leistung ist von Mai 2011 von 110 MW auf 180 MW gestiegen, glaubt man Tennet. Die tatsächlich Leistung ist dabei aber nahezu konstant geblieben; auch an Spitzentagen lag sie bei 110 bis maximal (selten einmal) 130 MW. Des Rätsels Lösung: Die Zahlen über den angeblichen Fortschritt des Ausbaus entsprechen gar nicht dem, was real an WEA jeweils zur Verfügung stand. Der tatsächliche Ausbau stagniert seit Juli 2011. Nur ein einziges Windrad kam hinzu; und das ist noch nicht ans Netz angeschlossen.

    Ein wesentlicher Grund für den zögerlichen Ausbau der Windenergie in der Nordsee sind die hohen Kosten und die vergleichsweise niedrige zu erwartende Rendite. Keil:
    Felix Goedhart, der Vorsitzende der Capital Stage AG, einer Hamburger Investment- und Betreiberfirma von Solar- und Windparks, stellte nüchtern fest: "Zurzeit sind Offshore-Windparks aus Investorensicht völlig unattraktiv. Es ist ratsam, bei Offshore-Wind zu drosseln, Erfahrung zu sammeln und dadurch große Fehler zu vermeiden, um dann in Ruhe die Ausbauziele zu erreichen".
    Nur ist Ruhe das, was angesicht der "ehrgeizigen Ziele" der Energiewende am wenigsten gefragt ist.

    Hinzu kommen die immensen Kosten beim Ausbau des Leitungsnetzes, über das der erzeugte Strom nach Süden geliefert werden soll. Denn zum Charme der Energiewende gehört es ja, daß der Strom viele hundert Kilometer von den Orten erzeugt wird, an denen er hauptsächlich benötigt wird. Hinzu kommt die langsame Arbeit der Genehmigungsbehörde, des Bundesamts für Seeschiffahrt und Hydrographie (BSH) in Hamburg, die durch die Flut der Anträge hoffnungslos überfordert ist.

    Hinzu kommen technische Probleme aller Art. Dazu der Netzbetreiber Tennet, Tochter eines niederländischen Staatskonzerns, am 2. Mai 2012, zitiert von Günter Keil:
    Unsere Probleme sind Material, Produktionskapazitäten, enge Zeitfenster für die Arbeiten auf See. Eigentlich braucht man bei solchen Großprojekten Testphasen. Diese Zeit haben wir nicht; wir müssen mit den Projekten sofort anfangen, ohne Lernkurve – um die ehrgeizigen Ziele des Wirtschafts- und des Umweltministers in die Tat umzusetzen.
    Und hinzu kommen nicht zuletzt Fragen der Haftung. Keil:
    Der Wintersturm über der Nordsee gehört zu den größten Risiken der Rückversicherer. "Schlägt der richtig zu, fällt nicht nur eine Anlage aus, sondern gleich eine Vielzahl", sagt einer. Dann könnten die Anlagen zudem lange stillstehen, wenn sie etwa zwischen Oktober und März wegen schlechten Wetters nicht gewartet werden. Schließlich stünden die deutschen Windparks oft mehr als 100 Kilometer vor der Küste.

    Die Versicherer haben dramatische Warnungen nicht nötig. Sie kalkulieren berechenbare Risiken genau – und lehnen die Versicherung schlecht kalkulierbarer, hoher Risiken schlicht ab.
    Wer also trägt den Schaden, wenn Anlagen nicht rechtzeitig fertig werden; wenn es aufgrund der Unbilden der Witterung über einen längeren Zeitraum zu einer Nichteinspeisung von Strom kommt?

    Sie haben es erraten: Der Stromkunde. Jedenfalls sieht das ein Referentenentwurf des Wirtschaftsministeriums vor. Zunächst muß der Netzbetreiber die Kosten tragen. Dieser aber kann sie - einer der schönen Ausdrücke, an denen das Deutsch der Bürokraten so reich ist - "abwälzen": Er darf einfach die Strompreise entsprechend erhöhen. Der Wirtschaftsminister Rösler fand dazu den umwerfenden Satz:
    Den gesamten Ausbau im Bereich Offshore-Windenergie werden am Ende immer Verbraucher und Verbraucherinnen selber zu tragen haben.



    Sie haben es so gewollt, die "Verbraucher und Verbraucherinnen selbst"; in ihrer kollektiven Besoffenheit des Frühjahrs 2011, als es in Japan einen atomaren Unfall gegeben hatte, der den Deutschen wie keinem anderen Volk außerhalb Japans in die Knochen fuhr.

    Die große Mehrheit der Deutschen wollte damals die bewährte, stabil verfügbare und kostengünstige Atomenergie durch teure, unzuverlässige Wind- und Solarenergie ersetzen. They got what they wanted; sie bekamen, was sie wollten.

    Oder, wie man in Frankreich sagt: Tu l'as voulu, George Dandin. Dieses "Du hast es gewollt, George Dandin" geht zurück auf Molières Theaterstück George Dandin ou le Mari confondu, "George Dandin oder der verstörte Ehemann", veröffentlicht 1668. Darin heiratet der Bauer George Dandin zwecks sozialem Aufstieg die Adlige Angélique de Sotenville und wird, wie man sich denken kann, in deren Familie verhöhnt und von ihrem Liebhaber gehörnt. Am Ende will er sich das Leben nehmen.

    Sein Schicksal beklagt Dandin am Ende des ersten Aktes in schonungsloser Selbstanklage:
    Ah que je...Vous l'avez voulu, vous l'avez voulu, George Dandin, vous l'avez voulu, cela vous sied fort bien, et vous voilà ajusté comme il faut, vous avez justement ce que vous méritez.

    Oh daß ich ... Sie haben es gewollt, Sie haben es gewollt, George Dandin, Sie haben es gewollt, das paßt genau zu Ihnen, und jetzt sind Sie richtig zurechtgestutzt, Sie haben genau das, was Sie verdienen.
    Zettel



    © Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Links zu allen bisherigen Folgen dieser Serie findet man hier. Titelvignette: Schiffe sinken im Sturm. Gemälde von Ludolf Backhuysen (ca 1630).