Es ist wie in den alten Zeiten der Kreml-Astrologie.
Damals, zur Zeit des Kalten Kriegs, passierten seltsame Dinge in der UdSSR, die offiziell unerklärt blieben; und eine ganze Riege von westlichen Fachleuten - eben die Kreml-Astrologen - machten sich daran, hinter das Geheimnis zu kommen. Was bedeutete es beispielsweise, wenn die "Prawda" plötzlich ihre Losung zu Jugoslawien änderte? Einen schweren Machtkampf im Kreml bedeutet es; so deuteten es Kreml-Astrologen im Dezember 1963.
Das heutige China wird manchmal schon als ein postkommunistisches Land betrachtet. Aber die politischen Machtstrukturen sind immer noch die einer klassischen kommunistischen Diktatur. Dazu gehört, daß in Peking, wie einst in Moskau, seltsame Dinge geschehen, von denen die Öffentlichkeit nichts erfährt; eine Einladung zur Peking-Astrologie.
Seit dem 1. September ist Xi Jinping verschwunden. Er hat - was bei den protokollbewußten Chinesen ganz ungewöhnlich ist - einen offiziellen Termin nach dem anderen kurzfristig absagen lassen. Am vergangenen Mittwoch wurde ein Treffen mit Hillary Clinton in letzter Minute gestrichen. Am Donnerstag wurde ein Termin mit der dänischen Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt abgesagt, der für vorgestern angesetzt gewesen war. Ebenso erging es einem Treffen mit Lee Hsien Loong, dem Ministerpräsidenten von Singapur.
Die Gerüchte schwirren, wie zur Zeit der Kreml-Astrologie. Xi habe beim Schwimmen eine Rückenverletzung erlitten. Er habe einen Herzanfall gehabt; oder einen Schlaganfall. Es heißt gar, er sei ermordet worden. Andere neigen der harmlosen Erklärung zu, er arbeite so intensiv an der Vorbereitung auf sein neues Amt, daß er deshalb alle Termine habe absagen lassen.
Dieses neue Amt sollte das mächtigste Chinas sein: Das des Vorsitzenden der Kommunistischen Partei in Personalunion mit dem Amt des Präsidenten. Zum Parteichef sollte Xi auf dem 18. Parteitag der KPCh im Oktober gewählt werden; zum Präsidenten dann im März 2013 auf der Sitzung des Nationalen Volkskongresses, des "Parlaments" der Volksrepublik China.
Angenommen, er würde ausfallen, aus welchem Grund auch immer - welche Folgen hätte das? Unter anderem damit befaßt sich eine Analyse, die gestern bei Stratfor erschien. Auf sie stütze ich mich im folgenden hauptsächlich.
Wie alle kommunistischen Diktaturen hatte China lange Zeit keine Regularien für einen Machtwechsel. Die einzige Form des Machtwechsels war der Putsch. Noch Honecker wurde durch den Putsch einer Fronde um Egon Krenz gestürzt; so, wie er selbst es im Mai 1971 mit Walter Ulbricht gemacht hatte.
In China aber gehörte es zu den Reformen Deng Xiaopings, daß der Machtwechsel an der Spitze geordnet erfolgen sollte. Nach der Erfahrung des Tiananmen-Aufstands und angesichts des Scheiterns des osteuropäischen Kommunismus hielt Deng solche Reformen für erforderlich, um die Macht der Partei auf Dauer zu sichern.
Es wurde eine Doppelspitze eingeführt: Der Parteichef, der zugleich Präsident ist, und der Ministerpräsident. Erstmalig wurden diese Posten durch Jiang Zemin and Zhu Rongji besetzt. Auch ihre beiden Nachfolger, Hu Jintao and Wen Jiabao, verdankten ihre Ämter noch Deng. Jetzt steht ein erneuter Machtwechsel bevor, der nun erstmals aufgrund kollektiver Beschlüsse erfolgen soll.
Er hat einen langen Vorlauf. Bereits vor fünf Jahren wurde Xi Jinping für die beiden Ämter des Präsidenten und des Parteichefs designiert; Li Keqiang für das Amt des Ministerpräsidenten.
Diese Entscheidung waren das Ergebnis eines sorgfältigen Austarierens von Interessen; langsam und gründlich. Und hier liegt das Problem, sollte Xi jetzt ausfallen: Ein Nachfolger für ihn ist nicht vorgesehen, auch kein Stellvertreter. Hätte man jemanden dafür nominiert - so Stratfor -, dann hätte das die Gefahr von Machtkämpfen heraufbeschworen. Es sollte zu Xi keine Alternative geben.
Ein Nachfolger, der die Zustimmung aller Fraktionen und Interessenvertreter findet, ließe sich nur wiederum in einem langen Selektionsprozeß ermitteln. Der Betreffende müsse groomed werden, meint Stratfor - herangepäppelt. Zuviel Macht steht auf dem Spiel; zumal der Präsident und Parteichef in weiterer Personalunion auch noch Vorsitzender der Obersten Militärkommission ist.
Das Herrschaftssystem Chinas ist, so Stratfor, ganz auf Kontinuität und Konsens angelegt. Der Preis dafür ist die Unfähigkeit, auf eine unerwartete Krise zu reagieren.
Damals, zur Zeit des Kalten Kriegs, passierten seltsame Dinge in der UdSSR, die offiziell unerklärt blieben; und eine ganze Riege von westlichen Fachleuten - eben die Kreml-Astrologen - machten sich daran, hinter das Geheimnis zu kommen. Was bedeutete es beispielsweise, wenn die "Prawda" plötzlich ihre Losung zu Jugoslawien änderte? Einen schweren Machtkampf im Kreml bedeutet es; so deuteten es Kreml-Astrologen im Dezember 1963.
Das heutige China wird manchmal schon als ein postkommunistisches Land betrachtet. Aber die politischen Machtstrukturen sind immer noch die einer klassischen kommunistischen Diktatur. Dazu gehört, daß in Peking, wie einst in Moskau, seltsame Dinge geschehen, von denen die Öffentlichkeit nichts erfährt; eine Einladung zur Peking-Astrologie.
Seit dem 1. September ist Xi Jinping verschwunden. Er hat - was bei den protokollbewußten Chinesen ganz ungewöhnlich ist - einen offiziellen Termin nach dem anderen kurzfristig absagen lassen. Am vergangenen Mittwoch wurde ein Treffen mit Hillary Clinton in letzter Minute gestrichen. Am Donnerstag wurde ein Termin mit der dänischen Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt abgesagt, der für vorgestern angesetzt gewesen war. Ebenso erging es einem Treffen mit Lee Hsien Loong, dem Ministerpräsidenten von Singapur.
Die Gerüchte schwirren, wie zur Zeit der Kreml-Astrologie. Xi habe beim Schwimmen eine Rückenverletzung erlitten. Er habe einen Herzanfall gehabt; oder einen Schlaganfall. Es heißt gar, er sei ermordet worden. Andere neigen der harmlosen Erklärung zu, er arbeite so intensiv an der Vorbereitung auf sein neues Amt, daß er deshalb alle Termine habe absagen lassen.
Dieses neue Amt sollte das mächtigste Chinas sein: Das des Vorsitzenden der Kommunistischen Partei in Personalunion mit dem Amt des Präsidenten. Zum Parteichef sollte Xi auf dem 18. Parteitag der KPCh im Oktober gewählt werden; zum Präsidenten dann im März 2013 auf der Sitzung des Nationalen Volkskongresses, des "Parlaments" der Volksrepublik China.
Angenommen, er würde ausfallen, aus welchem Grund auch immer - welche Folgen hätte das? Unter anderem damit befaßt sich eine Analyse, die gestern bei Stratfor erschien. Auf sie stütze ich mich im folgenden hauptsächlich.
Wie alle kommunistischen Diktaturen hatte China lange Zeit keine Regularien für einen Machtwechsel. Die einzige Form des Machtwechsels war der Putsch. Noch Honecker wurde durch den Putsch einer Fronde um Egon Krenz gestürzt; so, wie er selbst es im Mai 1971 mit Walter Ulbricht gemacht hatte.
In China aber gehörte es zu den Reformen Deng Xiaopings, daß der Machtwechsel an der Spitze geordnet erfolgen sollte. Nach der Erfahrung des Tiananmen-Aufstands und angesichts des Scheiterns des osteuropäischen Kommunismus hielt Deng solche Reformen für erforderlich, um die Macht der Partei auf Dauer zu sichern.
Es wurde eine Doppelspitze eingeführt: Der Parteichef, der zugleich Präsident ist, und der Ministerpräsident. Erstmalig wurden diese Posten durch Jiang Zemin and Zhu Rongji besetzt. Auch ihre beiden Nachfolger, Hu Jintao and Wen Jiabao, verdankten ihre Ämter noch Deng. Jetzt steht ein erneuter Machtwechsel bevor, der nun erstmals aufgrund kollektiver Beschlüsse erfolgen soll.
Er hat einen langen Vorlauf. Bereits vor fünf Jahren wurde Xi Jinping für die beiden Ämter des Präsidenten und des Parteichefs designiert; Li Keqiang für das Amt des Ministerpräsidenten.
Diese Entscheidung waren das Ergebnis eines sorgfältigen Austarierens von Interessen; langsam und gründlich. Und hier liegt das Problem, sollte Xi jetzt ausfallen: Ein Nachfolger für ihn ist nicht vorgesehen, auch kein Stellvertreter. Hätte man jemanden dafür nominiert - so Stratfor -, dann hätte das die Gefahr von Machtkämpfen heraufbeschworen. Es sollte zu Xi keine Alternative geben.
Ein Nachfolger, der die Zustimmung aller Fraktionen und Interessenvertreter findet, ließe sich nur wiederum in einem langen Selektionsprozeß ermitteln. Der Betreffende müsse groomed werden, meint Stratfor - herangepäppelt. Zuviel Macht steht auf dem Spiel; zumal der Präsident und Parteichef in weiterer Personalunion auch noch Vorsitzender der Obersten Militärkommission ist.
Das Herrschaftssystem Chinas ist, so Stratfor, ganz auf Kontinuität und Konsens angelegt. Der Preis dafür ist die Unfähigkeit, auf eine unerwartete Krise zu reagieren.
Zettel
© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Xi Jinping während des Besuchs von Präsident Medwedew am 28. 9. 2010. Vom Autor www.kremlin.ru. unter Creative Commons Attribution 3.0 Unported-Lizenz freigegeben. Bearbeitet.