Die europäischen Nationen ähneln sich nicht, deshalb kann man sie nicht verschmelzen. Was sie verbindet, ist nicht eine Gemeinschaft, sondern ein Gesellschaftsentwurf. Es gibt eine europäische Zivilisation, ein westliches Denken. (...)
Europa stellte nie eine nationale Einheit dar, nicht einmal im christlichen Mittelalter. Die Christenheit blieb immer gespalten – römisch, griechisch, später protestantisch. Ein europäischer Föderalstaat, eine europäische Konföderation ist ein Fernziel, das in der Abstraktion des Begriffs verharrt. Sie anzustreben halte ich für eine falsch gestellte Aufgabe.
Kommentar: Im Internet ist das Gespräch in seiner Originalversion für Nichtabonnenten nicht verfügbar. Es gibt aber eine englische Übersetzung bei Spiegel-Online International.
Ist Glucksmann, wie es das Zitat vermuten läßt, ein Euroskeptiker? In gewisser Weise. Zugleich ist er aber auch ein Proeuropäer. Er will keine europäische Konföderation, nicht die Vereinigten Staaten von Europa. Zugleich fordert er aber mehr europäische Zusammenarbeit; beklagt er, daß im Augenblick die Staaten Europas immer mehr ihre Partikularinteressen verfolgen.
Auf den ersten Blick mag das widersprüchlich erscheinen. Es spiegelt aber nur wider, wie Glucksmann die Verschiedenheiten und die Gemeinsamkeiten in Europa sieht.
Die Gemeinsamkeiten dessen, was er "die europäische Zivilisation, ein westliches Denken" nennt, sieht er in Grundkonzepten:
Das sind grundlegende Gemeinsamkeiten, aber eben nur grundlegende. Darüber geschichtet ist die Vielfalt der nationalen Kulturen.
Europa ist aus der Sicht Glucksmanns eine Schicksalsgemeinschaft von Nationen; von Kulturen, die verschieden sind und es bleiben sollten. Er fordert allerdings mehr Zusammenarbeit; vor allem in der Außenpolitik. Er sieht Europa von außen gefährdet, nicht zuletzt durch die Machtpolitik Rußlands. Er fordert gewissermaßen den Schulterschluß, aber nicht die Uniformierung.
Mir erscheint diese Sichtweise überzeugend. Gemeinsames Handeln ja, aber nicht Verschmelzung. Dieses Konzept ist natürlich nicht neu. Es ist das Europa der Vaterländer, wie es Charles de Gaulle und Margaret Thatcher gewollt hatten.
Siehe auch die Serie Europas Krise; insbesondere "Es gibt keine Europäer" (Gareth Harding in "Foreign Affairs"). Warum die Vereinigten Staaten von Europa nicht gelingen können; ZR vom 7. 1. 2012.
Europa stellte nie eine nationale Einheit dar, nicht einmal im christlichen Mittelalter. Die Christenheit blieb immer gespalten – römisch, griechisch, später protestantisch. Ein europäischer Föderalstaat, eine europäische Konföderation ist ein Fernziel, das in der Abstraktion des Begriffs verharrt. Sie anzustreben halte ich für eine falsch gestellte Aufgabe.
Der französische Philosoph André Glucksmann in einem "Spiegel"-Gespräch mit dem Titel "Kontinent des Kummers" (Heft 34/2012vom 20. 8. 2012, S. 124 - 127).
Kommentar: Im Internet ist das Gespräch in seiner Originalversion für Nichtabonnenten nicht verfügbar. Es gibt aber eine englische Übersetzung bei Spiegel-Online International.
Ist Glucksmann, wie es das Zitat vermuten läßt, ein Euroskeptiker? In gewisser Weise. Zugleich ist er aber auch ein Proeuropäer. Er will keine europäische Konföderation, nicht die Vereinigten Staaten von Europa. Zugleich fordert er aber mehr europäische Zusammenarbeit; beklagt er, daß im Augenblick die Staaten Europas immer mehr ihre Partikularinteressen verfolgen.
Auf den ersten Blick mag das widersprüchlich erscheinen. Es spiegelt aber nur wider, wie Glucksmann die Verschiedenheiten und die Gemeinsamkeiten in Europa sieht.
Die Gemeinsamkeiten dessen, was er "die europäische Zivilisation, ein westliches Denken" nennt, sieht er in Grundkonzepten:
Der Mensch ist nicht das Maß aller Dinge, er ist nicht vor dem Scheitern und dem Übel gefeit. Und dennoch ist er verantwortlich für sich selbst, für alles, was er tut und unterlässt.Man könnte Weiteres hinzufügen - die Idee des Rechtsstaats zum Beispiel; eine Rationalität des Denkens, die es Europa ermöglichte, die heutige Wissenschaft und Technik zu begründen. Natürlich die humanistische Tradition und die christliche Religion.
Das sind grundlegende Gemeinsamkeiten, aber eben nur grundlegende. Darüber geschichtet ist die Vielfalt der nationalen Kulturen.
Europa ist aus der Sicht Glucksmanns eine Schicksalsgemeinschaft von Nationen; von Kulturen, die verschieden sind und es bleiben sollten. Er fordert allerdings mehr Zusammenarbeit; vor allem in der Außenpolitik. Er sieht Europa von außen gefährdet, nicht zuletzt durch die Machtpolitik Rußlands. Er fordert gewissermaßen den Schulterschluß, aber nicht die Uniformierung.
Mir erscheint diese Sichtweise überzeugend. Gemeinsames Handeln ja, aber nicht Verschmelzung. Dieses Konzept ist natürlich nicht neu. Es ist das Europa der Vaterländer, wie es Charles de Gaulle und Margaret Thatcher gewollt hatten.
Siehe auch die Serie Europas Krise; insbesondere "Es gibt keine Europäer" (Gareth Harding in "Foreign Affairs"). Warum die Vereinigten Staaten von Europa nicht gelingen können; ZR vom 7. 1. 2012.
Zettel
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