22. September 2012

Marginalie: "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität". Am Montag wird der Horror-Bericht einer Enquete-Kommission publiziert. Was tun gegen den "Rebound"-Effekt?

In seiner 77. Sitzung am 1. Dezember 2010 hat der 17. Deutsche Bundestag eine Enquete-Kommission mit dem schönen Namen "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität – Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichem Fortschritt in der Sozialen Marktwirtschaft" eingesetzt. Sie hat fleißig gearbeitet und wird am kommenden Montag, dem 24. September, ihren Abschlußbericht diskutieren; und zwar in einer öffentlichen Sitzung.

Was in diesem Bericht stehen wird, ist in den Grundzügen bereits bekannt, denn der Vorsitzende einer der Projekt­gruppen der Kommission, der Abgeordnete Dr. Hermann Ott (Bündnis 90/Die Grünen) hat es dargelegt.

Ich werde auf den Bericht der Kommission noch eingehen, wenn er publiziert ist. Er scheint mir eine Wegmarke auf dem (inzwischen wahrscheinlich gewordenen) Weg Deutschlands in ein öko-dirigistischen Staat zu sein. Jetzt möchte ich einen Nebenaspekt ansprechen; ein, wenn man so will, psychologisches Phänomen: den "Rebound"-Effekt.

Ein rebound ist ein Rückprall. Man schlägt, sagen wir, beim Squash einen Ball gegen eine Wand, und er prallt zurück. In einer ähnlichen Weise können, sagt die Enquete-Kommission, Öko-Maßnahmen einen Rückprall auslösen, der ihren Effekt auslöscht, unter Umständen ins Gegenteil verkehrt.

Das Phänomen ist unter einem anderen Namen seit langem in der Arbeits- und Verkehrspsychologie bekannt; dort heißt es Risikokompensation: Wird die Sicherheit verbessert (am Arbeitsplatz beispielsweise durch bessere Schutzkleidung; im Verkehr beispielsweise durch die Einführung von ABS in Fahrzeugen), dann senkt das nicht unbedingt das Unfallrisiko. Denn der derart Geschützte neigt oft dazu, nun riskanter zu arbeiten oder zu fahren; er ist ja besser geschützt.

Ähnlich ist es beim "Rebound"-Effekt: Maßnahmen, die den Energieverbrauch senken sollen, verpuffen, weil sie durch ein geändertes Verhalten kompensiert werden. Aus dem Bericht über die Darlegungen des Abgeordneten Dr. Hermann Ott:
Ott ist überzeugt, dass es nicht ausreicht, im Sinne einer Entkopplung den Rohstoffverbrauch in Zukunft weniger stark steigen zu lassen als das Wirtschaftswachstum. Nötig sei vielmehr eine Reduzierung des Ressourceneinsatzes, "aber das ist kompliziert zu verwirklichen". Das habe auch mit dem "Rebound-Effekt" zu tun: Dieser Fachbegriff beschreibt das Dilemma, dass Einsparungen beim Rohstoffkonsum neutralisiert werden können durch eine Ausweitung dieses Verbrauchs, was durch mehr Effizienz erst ermöglicht wird. Ein Beispiel: Sinkt bei Autos infolge besserer Motortechniken der Benzinbedarf, dann kann der Treibstoffkonsum durch mehr Fahrkilometer, mehr PS oder Extras wie Klimaanlagen wieder erhöht werden.
Wahrscheinlich kennen Sie diesen Effekt aus eigener Erfahrung. Ein anderes Beispiel neben dem von Ott genannten sind die sogenannten Energie­spar­lampen. Viele erreichen nicht sofort nach dem Einschalten ihre volle Helligkeit, sondern werfen zunächst nur ein fahles Licht. Das ist ärgerlich, wenn man beispielsweise nachts in einen Flur geht und das Licht anknipst. Die Lösung liegt auf der Hand: Man läßt das Licht in den Fluren die ganze Nacht über brennen. Mit dem besten Öko-Gewissen, denn diese Lampen verbrauchen ja kaum Strom.



Gefahr erkannt, Gefahr gebannt? Eben nicht. Ott hat keine Illusionen:
Technische Lösungen allein reichten nicht aus. Der Bericht skizziere mehrere denkbare Ansätze: die Einführung von Verbrauchsgrenzen, die politisch verfügte Verteuerung des Energie- und Rohstoff­konsums parallel zur Steigerung der Ressourceneffizienz oder die Streichung von umweltschädlichen Subventionen.
Im Klartext: Wir, die Bürger, verhalten uns zwar als rationale Konsumenten - wenn etwas billiger wird, dann konsumieren wir, wenn wir es denn mögen, mehr davon. Aber das ist nicht im Sinn des übergeordneten Ganzen. Also muß der weise Staat, der dieses große Ganze - die Rettung der Welt vor einer erdachten Klimakatastrophe - im Auge hat, uns an die Hand nehmen wie die Kinder.

"Einführung von Verbrauchsgrenzen"? Es wird interessant sein, zu erfahren, was damit wohl gemeint ist. Vielleicht wird jedem Haushalt künftig eine bestimmte Strommenge zugeteilt? Oder man bekommt seine Benzinzuteilung; zu beantragen unter Angabe der monatlich unbedingt zu fahrenden Kilometer, mit schriftlicher Begründung? Man wird sehen.

Die "politisch verfügte Verteuerung des Energie- und Rohstoffkonsums"? Offenbar, so wird man das wohl verstehen dürfen, ein weiteres Anziehen der Steuer- und Abgaben­schraube.

Wer nicht hören will, muß fühlen. Der Staat könnte beispielsweise Energie so teuer machen, daß die Leute sich im Winter zwei Pullover anziehen und sich mit einer Zimmertemperatur von 15 oder 16 Grad bescheiden; Thilo Sarrazin hat das schon 2008 empfohlen.

Ebenso könnte der Staat die Energiesteuer auf Treibstoff von derzeit 65 Cent pro Liter solange weiter erhöhen, bis der Normalverdiener auf den sonntäglichen Ausflug ins Grüne, auf die Fahrt zum Kino und die Urlaubsreise mit dem Auto verzichtet. Statt ins Kino zu gehen, kann man zu Hause fernsehen. Auch auf dem eigenen Balkon läßt sich die Sonne genießen. In den Urlaub fahren kann man auch mit der Deutschen Bahn.



Der kommunistische Theoretiker Wolfgang Harich hat das alles schon 1975 vorausgedacht; ich habe ihn vor fünf Jahren zitiert:
Unserem Programm der Bedürfnisbefriedigung müssen wir, mit dem Vorsatz, es in ökologisch verantwortbaren Grenzen zu halten, eine differenzierende kritische Bestandsaufnahme all der Bedürfnisse vorausschicken, die sich im Verlauf des Geschichtsprozesses beim Menschen herausgebildet haben (...) Wobei es dann selektiv zu unterscheiden gilt zwischen solchen Bedürfnissen, die beizubehalten, als Kulturerbe zu pflegen, ja gegebenenfalls erst zu erwecken bzw. noch zu steigern sind, und anderen, die den Menschen abzugewöhnen sein werden - soweit möglich, mittels Umerziehung und aufklärender Überzeugung, doch, falls nötig, auch durch rigorose Unterdrückungsmaßnahmen, etwa durch Stillegung ganzer Produktionszweige, begleitet von gesetzlich verfügten Massen- Entziehungskuren. (...)
Wolfgang Harich war ein großer Denker, der vielleicht wichtigste politische Theoretiker der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Er hat verstanden, daß der Sozialismus nicht mehr damit zu begründen ist, daß es den Menschen in ihm besser geht als im Kapitalismus. Jeder kann sehen, daß das Gegenteil der Fall ist. Aber mit der Notwendigkeit einer Öko-Diktatur kann man ihn rechtfertigen, den Sozialismus (siehe "Hilft nur die Öko-Diktatur?"; ZR vom 6.12.2009).

Sie finden, ich übertreibe? Dann lesen Sie diesen Satz aus dem Bericht auf der WebSite des Deutschen Bundestags:
Die Diskussion über den Aufgabenkatalog in der Zukunft birgt jedenfalls reichlich Zündstoff in sich, wie die vergangenen Monate gezeigt haben – etwa zur Frage, in welchem Maße man auf marktwirtschaftliche Instrumente oder auf staatlichen Dirigismus setzen soll.
Zettel



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