Zu den Sachbüchern, die ich als Schüler mit dem größten Gewinn gelesen habe, gehörte ein schmales List-Taschenbuch:
Das erste Kapitel - also der erste Brief - hieß "Können wir den Reichtum aufteilen?", das zweite "Können wir die Armut abschaffen?". Diese Fragen hatte der Sohn dem Vater gestellt und dazu angemerkt, seiner Ansicht nach müsse man den Wohlhabenden etwas von dem wegnehmen, was sie zuviel haben, und es den Armen geben. Dies sei, meint der Vater, "eine Frage, wie sie dem Herzen eines jungen Menschen naheliegt".
Auch meinem vielleicht damals; jedenfalls meinem Verstand. Wäre eine Gesellschaft ohne krasse soziale Unterschiede nicht eine friedlichere, eine für die meisten Menschen glücklichere Gesellschaft? Das habe ich mich damals, irgendwo zwischen der Mittel- und der Oberstufe, schon auch gefragt.
Der Vater nun nimmt "als alter Kaufmann den Bleistift in die Hand" und beginnt zu rechnen. Als "reich" stuft er - wir sind in der Mitte der fünfziger Jahre - alle mit einem Jahreseinkommen (ja, Jahres-!) von mehr als 12.000 DM ein. Er zieht Statistiken zu Rate und rechnet aus, daß ihr gemeinsames Einkommen bei ungefähr 8 Milliarden Mark im Jahr liegt.
Aber nicht diesen gesamten Betrag kann man unter die Armen verteilen. Denn erstens soll den Wohlhabenden ein Einkommen von 12.000 Mark gelassen werden. Zweitens gehen die Steuern ab, die sie gezahlt haben. Drittens geben die Reichen nicht ihre gesamten Einkünfte aus, sondern investieren einen Teil. Würde man ihnen auch diesen Teil zwecks Verteilung wegnehmen, dann käme die Wirtschaft zum Erliegen.
Reiners versucht realistische Annahmen zur Steuerquote und zur Spar- bzw. Investitionsquote zu machen und gelangt zu dem Ergebnis, daß nach diesen Abzügen von den 8 Milliarden noch 1,5 Milliarde übrigbleibt. Reiners weiter:
Daß sich das Leben der Menschen nicht dadurch verbessern läßt, daß man Reichen Geld wegnimmt und es verteilt oder dem Fiskus zuführt, sehe ich seit dieser Lektüre als junger Mann als eine Binsenweisheit an; auch wenn es gewiß ein wenig komplizierter ist, als es Reiners seinem Sohn erklärt hatte.
Ich habe inzwischen das eine oder andere dazugelernt, beispielsweise über die Laffer-Kurve und über optimale Steuern. Die Überzeugung, daß der allgemeine Wohlstand sich nicht durch Umverteilung verbessern läßt, sondern allein durch Investitionen, durch die Schaffung von Arbeitsplätzen und durch das Wachsen des Bruttosozialprodukts, hat sich eher noch verstärkt.
Ja, wissen das denn diejenigen nicht, die Umverteilung fordern? habe ich mich oft gefragt. Aktuell, beispielsweise: Weiß denn der französische Staatspräsident Hollande, ja kein dummer Mensch, nicht, daß die von ihm angekündigte Erhöhung des Spitzensteuersatzes auf 75 Prozent ungefähr so wirksam für die Sanierung des Staatshaushalts sein wird wie Gesundbeten (rund 3000 Steuerzahler sind überhaupt nur betroffen)?
Er wird es wissen. Auch die Ökonomen der Gewerkschaften werden es wissen; vielleicht sogar Claudia Roth, die laut dem Artikel in "Zeit-Online" beklagt, daß "die Gruppe der Reichen nicht ausreichend in die Verantwortung für das Gemeinwohl genommen werde".
Aber es geht bei solchen Aktionen ja wohl auch nicht um den ökonomischen Effekt. Es geht um den politischen Effekt. Es geht darum, die linke Meinungsdominanz auszubauen; bei den Bürgern das in den vergangenen Jahrzehnten schon sehr erfolgreich geschaffene Gefühl sozialer Ungerechtigkeit weiter zu verstärken.
Den meisten Deutschen geht es gut. Das kann man ihnen nicht gut ausreden. Man kann ihnen aber einreden, es ginge ihnen noch besser, würde man nur den Reichen "etwas von dem wegnehmen, was sie zuviel haben", wie es Reiners 1956 formulierte. Oder wie es Ulrich Schneider sagte:
Ludwig Reiners, Die Sache mit der Wirtschaft. Briefe eines Unternehmers an seinen Sohn.Es war 1956 als 82. Band der Taschenbuchserie "List Bücher" erschienen; sie kosteten den einheitlichen Preis von 1,90 DM und wurden mit dem Slogan "Aus der Tasche in die Hand" beworben.
Das erste Kapitel - also der erste Brief - hieß "Können wir den Reichtum aufteilen?", das zweite "Können wir die Armut abschaffen?". Diese Fragen hatte der Sohn dem Vater gestellt und dazu angemerkt, seiner Ansicht nach müsse man den Wohlhabenden etwas von dem wegnehmen, was sie zuviel haben, und es den Armen geben. Dies sei, meint der Vater, "eine Frage, wie sie dem Herzen eines jungen Menschen naheliegt".
Auch meinem vielleicht damals; jedenfalls meinem Verstand. Wäre eine Gesellschaft ohne krasse soziale Unterschiede nicht eine friedlichere, eine für die meisten Menschen glücklichere Gesellschaft? Das habe ich mich damals, irgendwo zwischen der Mittel- und der Oberstufe, schon auch gefragt.
Der Vater nun nimmt "als alter Kaufmann den Bleistift in die Hand" und beginnt zu rechnen. Als "reich" stuft er - wir sind in der Mitte der fünfziger Jahre - alle mit einem Jahreseinkommen (ja, Jahres-!) von mehr als 12.000 DM ein. Er zieht Statistiken zu Rate und rechnet aus, daß ihr gemeinsames Einkommen bei ungefähr 8 Milliarden Mark im Jahr liegt.
Aber nicht diesen gesamten Betrag kann man unter die Armen verteilen. Denn erstens soll den Wohlhabenden ein Einkommen von 12.000 Mark gelassen werden. Zweitens gehen die Steuern ab, die sie gezahlt haben. Drittens geben die Reichen nicht ihre gesamten Einkünfte aus, sondern investieren einen Teil. Würde man ihnen auch diesen Teil zwecks Verteilung wegnehmen, dann käme die Wirtschaft zum Erliegen.
Reiners versucht realistische Annahmen zur Steuerquote und zur Spar- bzw. Investitionsquote zu machen und gelangt zu dem Ergebnis, daß nach diesen Abzügen von den 8 Milliarden noch 1,5 Milliarde übrigbleibt. Reiners weiter:
Diese muß jetzt unter die 28 Millionen Erwerbstätige und Rentner verteilt werden. Dann bekommt jeder rund gerechnet 50 Mark im Jahr oder 15 Pfennig am Tag. Das sind zwei Zigaretten täglich. Auch wenn man mit etwas höheren Zahlen rechnet und hierdurch zu 20 Pfennigen gelangt, ändert sich an dem entscheidenden Ergebnis gar nichts.Mich hat dieses Ergebnis damals sehr beeindruckt und mich mein Leben lang gegen Umverteilungsphantasien immunisiert. Ich mußte daran denken, als ich gestern bei "Zeit-Online" die Überschrift las: "Zehntausende fordern höhere Steuern für Reiche", und darunter:
In 40 Städten haben Bürger für mehr Solidarität und eine Vermögensabgabe demonstriert. Dazu hatte das Bündnis "Umfairteilen – Reichtum besteuern" aufgerufen. (...) Die zentralen Forderungen der Demonstranten sind eine dauerhafte Vermögenssteuer, eine einmalige Vermögensabgabe, die wirksame Bekämpfung von Steuerflucht und ein Abbau der Staatsverschuldung. Dem Bündnis "Umfairteilen – Reichtum besteuern" gehören 23 zivilgesellschaftliche Organisationen an. Die Kundgebungen wurden unter anderem von der Gewerkschaft ver.di, den Globalisierungskritikern von Attac und der Arbeiterwohlfahrt organisiert.Offenbar sind wir nach einem halben Jahrhundert immer noch nicht weiter, als die linken Umverteiler damals waren, dachte ich bei der Lektüre.
Daß sich das Leben der Menschen nicht dadurch verbessern läßt, daß man Reichen Geld wegnimmt und es verteilt oder dem Fiskus zuführt, sehe ich seit dieser Lektüre als junger Mann als eine Binsenweisheit an; auch wenn es gewiß ein wenig komplizierter ist, als es Reiners seinem Sohn erklärt hatte.
Ich habe inzwischen das eine oder andere dazugelernt, beispielsweise über die Laffer-Kurve und über optimale Steuern. Die Überzeugung, daß der allgemeine Wohlstand sich nicht durch Umverteilung verbessern läßt, sondern allein durch Investitionen, durch die Schaffung von Arbeitsplätzen und durch das Wachsen des Bruttosozialprodukts, hat sich eher noch verstärkt.
Ja, wissen das denn diejenigen nicht, die Umverteilung fordern? habe ich mich oft gefragt. Aktuell, beispielsweise: Weiß denn der französische Staatspräsident Hollande, ja kein dummer Mensch, nicht, daß die von ihm angekündigte Erhöhung des Spitzensteuersatzes auf 75 Prozent ungefähr so wirksam für die Sanierung des Staatshaushalts sein wird wie Gesundbeten (rund 3000 Steuerzahler sind überhaupt nur betroffen)?
Er wird es wissen. Auch die Ökonomen der Gewerkschaften werden es wissen; vielleicht sogar Claudia Roth, die laut dem Artikel in "Zeit-Online" beklagt, daß "die Gruppe der Reichen nicht ausreichend in die Verantwortung für das Gemeinwohl genommen werde".
Aber es geht bei solchen Aktionen ja wohl auch nicht um den ökonomischen Effekt. Es geht um den politischen Effekt. Es geht darum, die linke Meinungsdominanz auszubauen; bei den Bürgern das in den vergangenen Jahrzehnten schon sehr erfolgreich geschaffene Gefühl sozialer Ungerechtigkeit weiter zu verstärken.
Den meisten Deutschen geht es gut. Das kann man ihnen nicht gut ausreden. Man kann ihnen aber einreden, es ginge ihnen noch besser, würde man nur den Reichen "etwas von dem wegnehmen, was sie zuviel haben", wie es Reiners 1956 formulierte. Oder wie es Ulrich Schneider sagte:
Als einen "Durchbruch in der Gerechtigkeitsdebatte" bezeichnete Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, den Aktionstag. Die Sorge um die Zukunft des deutschen Sozialstaats und die Einsicht in die Notwendigkeit einer wieder gerechten und solidarischen Steuerpolitik sei endlich in der Mitte der Bevölkerung angekommen. Die Verteilungspolitik in Deutschland werde im Wahlkampf 2013 ein zentrales Thema sein.
Zettel
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