29. September 2012

Zettels Meckerecke: Nachrichten aus der Dunkelmänner-Republik Deutschland

Die Aufklärung ist bekanntlich eine Erhellung: Es klärt sich auf, wie wenn Wolken der Dummheit und des Obskurantismus (also des Verdunkelns, von obscurare, verdunkeln) vom Himmel wegziehen oder besser: hinweggezogen werden. Englisch heißt die Aufklärung enlightenment; da steckt also das Licht im Wort. Französisch heißt sie noch direkter l'âge de la lumière, das Zeitalter des Lichts.

Heutzutage haben Dunkelmänner uns Europäern der EU im Wortsinn das Licht genommen, das klare, helle der Glühbirne. Ein Akt voller Symbolismus. Nicht nur die Willkür der Obrigkeit kommt in ihm zu Ausdruck, gegen die der Kampf der Aufklärung wesentlich gerichtet gewesen war; sondern es ist eben buchstäblich dunkler geworden in unseren Häusern, in denen man beim Anknipsen einer Lampe oft zunächst eine Art Dämmerzustand erzeugt. Dämmerzustand - auch das ja ein Wort von schönster Doppeldeutigkeit.

Nun zwei Meldungen, die ich heute gelesen habe.



Die eine stammt aus der Universitäts- freilich auch Bischofsstadt Münster in Westfalen:
Über 150 Schülerinnen und Schüler aus Münster haben sich am Freitag für Thomas Nufers Aktion "Kammerton Aa" versammelt. Die Musik und ihre Schwingungen sollen das Wasser des Flusses reinigen und verbessern. (...) Nach der Ansprache von Bürgermeisterin Karin Reismann, hebt Thomas Nufer beide Hände und die Kinder verstummen schnell. Er trägt eine Jacke, die an einen Domteur [sic] oder Zirkusdirektor erinnert - als ob er die Stimmen der Kinder bändigen und in Einklang bringen will. Die Kinder der Gesamtschule Münster-Mitte beginnen mit einer summende Prozession, dann setzen Posaunen, Tuba sowie Sprechgesang von der Hauptschule Coerde und der Sekundarschule Roxel nacheinander ein.
Wir erfahren dann, daß die von den Kindern dargebrachte Musik "auf hohen und tiefen As" basiert.. Deren "Schwingungen" sollen eine "Säuberung" des Wasser der Aa bewirken. Und weiter:
Dann der Einsatz von Wolfram Goldbeck. Er nimmt die beiden Behälter mit dem Wasser der Aa in die Hand und hält sie triumphierend in die Luft. Der Beauftragte für Umwelt der Stadt Münster nimmt das Aa-Wasser mit ins mikrobiologische Labor für eine genaue Untersuchung. "Ob es eine positive Veränderung gibt, können wir erst Ende nächster Woche wissen", sagt Goldbeck.
Aber gewiß doch wird sich ein positives Ergebnis einstellen. Jeder Schamane und Medizinmann, jeder Voodoo-Zauberer und Ho'oponopono-Priester wird das bestätigen. Also wird es doch auch die Bürgermeisterin Karin Reismann (CDU übrigens) den Kindern ihrer Stadt Münster nahebringen dürfen. Also werden doch auch die LehrerInnen der Stadt Münster das Recht haben, es den ihnen anvertrauten SchülerInnen beizubringen. Sie bereiten sie damit bestens auf unsere Gesellschaft vor.

Sie werden sich wohlfühlen, diese Abergläubischen und Wissenschaftsfeindlichen, diese von ihren LehrerInnen mit Dummheit und Pseudowissenschaft indoktrinierten SchülerInnen; sich wohlfühlen in einem Land, in dem der Obskurantismus längst nicht mehr in den Nischen der Gesellschaft zu finden ist, sondern zunehmend in die Medien vordringt, in die Schulen und ins Bürgermeisterbüro der Christdemokratin Reismann.



Die zweite Meldung entnehme ich einem Artikel der "Zeit" der vergangenen Woche von Bernd Kramer. Man kann ihn seit gestern auch bei "Zeit-Online" lesen; Überschrift "Globuli-Akademie". Über das bayerische Traunstein erfährt man dort:
Im Ort soll die erste europäische Hochschule für Homöopathie eröffnen, getragen von der European Union of Homoeopathy, einem Lobbyverband der Alternativmedizin aus Freiburg. Die ersten Studenten werden im kommenden Jahr erwartet. Eines Tages sollen sie als Homöopathen mit Bachelor- und Mastergrad abschließen.
Im weiteren Text heißt es, daß es in Bayern mit der Zertifizierung noch Probleme geben könnte. Aber die Homöopathen wissen dagegen schon eine Therapie: Sie wollen mit der, wie Kramer schreibt, "homöopathie­freundliche[n] Steinbeis-Hochschule aus Berlin" zusammen­arbeiten. Formal würde diese dann für die Lehre verantwortlich sein und die akademischen Grade vergeben. Da sie dieses Recht in Berlin hat, kann sie es nach der Gesetzeslage auch in Bayern ausüben.

Mindestens einen Präzedenzfall gibt es schon. Der anthroposophischen Freien Hochschule Mannheim wurde es nach einem vernichtenden Gutachten aus dem Wissenschafts­rat nicht gestattet, sich "Hochschule" zu nennen und Bachelor- und Mastergrade in Waldorfpädagogik zu vergeben. Sie heißt nun "Akademie"; dieser Name ist nicht geschützt. Und die akademischen Grade? Kramer:
Den Bachelorstudiengang gibt es nach wie vor: Mit einem Trick wird das Votum umschifft. Ihre Dozenten hat die ehemalige Freie Hochschule Mannheim an die ebenfalls anthroposophische Alanus-Hochschule in Nordrhein-Westfalen angedockt; sie geben per Franchisevertrag Unterricht für die Mannheimer Studenten und bereiten sie auf die Prüfungen der Alanus-Hochschule vor.
In den Bundesländern Berlin und NRW hat man offenbar schon ein besseres Verständnis für das, was heute in Deutschland als Wissenschaft gilt, als im altmodischen Bayern. Aber unser "bildungsföderale[r] Wirrwarr" (Kramer) macht es möglich, daß sich dieses Wissen doch auch flächendeckend über unsere Nation ausbreitet.

Wenn Sie einmal die WebSite der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft in Alfter bei Bonn aufsuchen, dann können Sie sehen, in welchen Wissenschaften man dort akademische Grade erwerben kann; beispielsweise gleich in mehreren Sparten der Eurythmie:

  • Bachelor of Arts Eurythmie
  • Master of Arts Eurythmie/ Bühneneurythmie
  • Master of Arts Eurythmie / Eurythmie in Schule und Gesellschaft
  • Master of Arts Eurythmie/ Eurythmietherapie
  • Nichts gegen Tanzen. Nichts auch dagegen, daß man in "Schule und Gesellschaft" tanzt, warum nicht auch im Rhythmus der Eurythmie.

    Aber wenn man damit, daß man diesen erlernt, den höchsten akademischen Grad unterhalb der Doktorwürde erwerben kann, dann ist jeder Meisterbrief mehr wert als der Master und erst recht der Bachelor. Dann sind wir demnächst die Nation der Aussteiger nicht nur aus der Kernenergie, sondern auch aus dem Erbe der Aufklärung und den wissenschaft­lichen Standards, die sie gesetzt hat.
    Zettel



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