4. Juli 2008

Zettels Meckerecke: Die Verbieter sind überall. Der Fall Kusch. Der Wahnwitz, jedem Übel mit einem Gesetz zu Leibe zu rücken

Wie schön übersichtlich wäre die Welt, wenn die Verbieter immer die Sozialisten wären. Diesmal sind es die sechs, wie man gern sagt, "unionsregierten" Bundesländer Baden- Württemberg, Bayern, Thüringen, Hessen, das Saarland und Hamburg.

Baden- Württemberg, Bayern und Thüringen wollen den Gesetzesentwurf einbringen; die drei andern haben angekündigt, ihn zu unterstützen.

Einen Gesetzesentwurf, wonach "gewerbliche und organisierte Suizidhilfen" mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren bestraft werden sollen. Wie Oliver Tolmein heute in der FAZ erläutert, soll der für das Gesetz vorgesehene Paragraph 217 StGB aber so formuliert werden, daß "nicht nur kommerziell motivierte Beihilfe zum Suizid unter Strafe gestellt wird, sondern jede Art von organisatorischem Zusammenschluss von mindestens zwei Menschen, der dazu dient, den Suizid anderer Menschen zu erleichtern".

So wollen es Länder, in denen die Union allein (Bayern, Hessen, Saarland, Thüringen), zusammen mit den Grünen (Hamburg) oder aber zusammen mit der FDP regiert (Baden-Württemberg).

Oder aber. Denn daß die FDP (genauer: die FDP/DVP, wie sie in Baden- Württemberg aus historischen Gründen heißt), mitmacht, zeigt besonders deutlich, wie weit der Wahnwitz des Verbietens inzwischen ins liberale Lager hineinreicht.



Vielleicht nicht der Grund, aber jedenfalls der Anlaß für die Initiative dieser Länder ist das, was sich der frühere Hamburger Justizsenator Roger Kusch geleistet hat. Ich habe auf diese Tat gestern in einem Zusammenhang hingewiesen, der mir naheliegend zu sein scheint: Der Machtausübung, die es bedeutet, Herr über Leben und Tod zu sein; wenn auch nur in der Weise, daß man einem Menschen zur Selbsttötung verhilft.

"Tat" meine ich hier im Sinn eines Tuns. Aber sollte das, was Kusch getan hat, künftig auch eine "Tat" im strafrechtlichen Sinn sein?

Im Interview mit der "Welt" hat der rheinland- pfälzische Justizminister Heinz- Georg Bamberger erläutert, warum er dem Gesetzesentwurf nicht zustimmt:
Ich lehne den Gesetzentwurf ab, weil es mit der herrschenden Strafrechtsdogmatik nicht vereinbar ist, ein solches Verhalten unter Strafe zu stellen. Aus meiner Sicht verletzt die geplante Regelung auch das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot für Strafvorschriften. Mein Hauptgrund ist jedoch, dass nach unserer bestehenden Rechtsordnung die Selbsttötung, die versuchte Selbsttötung sowie die Beihilfe dazu straflos sind.
Von Albert Camus stammt der berühmte Satz: "Il n'y a qu'un problème philosophique vraiment sérieux: c'est le suicide"; es gebe nur ein wirklich ernsthaftes philosophisches Problem: Den Selbstmord.

Die Freiheit, über sein eigenes Leben zu entscheiden, gehört zu dem, was die Würde des Menschen definiert. Selbsttötung darf deshalb nicht strafbar sein. Es ist aber inkonsistent, die Beihilfe zu etwas zu bestrafen, das selbst straffrei ist.



Über die Tat des Roger Kusch ("Bisher habe ich am Tod wenig Geld verdient") mag man denken, wie man will. Ich halte sie für indiskutabel; mir scheint, daß die Bezeichnung "guillotinierender Lächler" (Oliver Tolmein) für diesen Mann, der schon als Hamburger Justizsenator den Spitznamen "lächelnde Guillotine" hatte, durchaus angemessen ist.

Wer das so sieht, der sollte das mit aller Deutlichkeit sagen. Auch Politiker haben das selbstverständliche Recht, klar und vernehmlich zu sagen, was sie von dieser Tat, was sie von diesem Mann halten.

Aber warum in aller Welt muß diese empörte Reaktion sich gleich in eine Gesetzesinitiative umsetzen? Was reitet diese Politiker, daß sie offenbar reflexhaft versuchen, für alle Übel dieser Welt, jedenfalls sofern sie unter deutsche Jurisdiktion fallen, flugs Abhilfe in Form eines Gesetzes zu suchen?

Und warum diese Hektik? Warum kann die Sache nicht wenigstens in Ruhe diskutiert werden; von den zuständigen Juristen an den Universitäten, in den juristischen Fachzeitschriften, in den Parteien, den Parlamenten? Und dann, wenn sie nach allen Seiten erwogen ist, vielleicht in eine Gesetzesänderung münden? (Für die ich hier die Notwendigkeit überhaupt nicht sehe).

Warum geht das nicht? Ich habe einen Verdacht. Diese Art, sofort mit einer Gesetzesänderung auf ein Thema zu reagieren, das die Öffentlichkeit aufwühlt, hat den Charakter eines Sedativums.

Die Öffentlichkeit, die beunruhigte, soll ruhiggestellt werden. Und sie soll wissen und anerkennen, daß es die jeweiligen Politiker sind, die als der gute Doktor auftreten und ihr wieder zur Ruhe verhelfen. Ob es um Kinder beißende Kampfhunde geht, um Alcopops konsumierende Jugendliche, um einen Amoklauf unter Einsatz eines Gewehrs - sofort muß sie erfolgen, die Einführung neuer gesetzlicher Regelungen, die Strafverschärfung.

Denn das Sedativum kann logischerweise nur wirken, solange die Erregung fortbesteht. Ein in Ruhe diskutiertes, ein nach sorgfältigem Abwägen beschlossenes Gesetz hätte ja nicht mehr die politische Wirkung, deretwegen es überhaupt beschlossen wird.



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