16. Juli 2008

Marginalie: Unsere Wirtschaft, unsere Regierung, unser Dilemma. Gespiegelt in einer Momentaufnahme aus "Spiegel Online"

Auf der Startseite von "Spiegel Online" bietet das Wirtschaftsressort im Augenblick die folgenden Artikel an:
  • Gefährliche Teuerung: US-Inflation auf höchstem Stand seit 1991
  • Finanzkrise in den USA: Wut, Angst, Endzeitstimmung
  • Energiepreis-Reaktionen in Deutschland: "Ich dusche seltener"
  • Energie- und Finanzkrise: Dax fällt unter 6000 Punkte
  • Umfrage: Zwei Drittel der Deutschen sehen schwarz für die Konjunktur
  • Teure Energie: Inflation springt im Juni auf 3,3 Prozent
  • Das sind sechs der sieben Themen des Wirtschaftsressorts auf dieser Startseite. Und dann gibt es noch einen Artikel, der mit seinem Beginn verlinkt wird. Der also oben steht, als Aufmacher des Ressorts Wirtschaft:
    MINDESTLOHN- KOMPROMISS
    Scholz feiert Durchbruch für Prestigeprojekt

    Wirtschaftsminister Glos hatte sich monatelang quergelegt - jetzt gab sich der CSU-Politiker überraschend geschlagen. Das Kabinett beschloss zwei Mindestlohn- Gesetze, ein zentrales Projekt der SPD. Arbeitsminister Scholz triumphiert und stichelt gegen die Union. Von Carsten Volkery mehr...


    Kommentar: Da haben wir, focussiert wie durch ein Brennglas (um gerechterweise auch dem anderen Magazin eine Metapher zu gönnen), die Lage Deutschlands in der Mitte des Jahres 2008:

    Wir gehen einer Rezession entgegen, möglicherweise aufgrund der explodierenden Energiepreise einer der schwersten der letzten Jahrzehnte. Es ist also, auf Regierungsebene, die Stunde der betroffenen Ressorts; neben dem Finanzministerium vor allem des Wirtschafts- und des Arbeitsministeriums.

    Und was macht der Arbeitsminister? Er setzt gegen jede wirtschaftliche Vernunft im Kabinett zwei Gesetze durch, die zu einer bevorstehenden Rezession ungefähr so gut passen wie das Ausgießen eines Eimers Wasser auf den Grill, den man am Glühen zu halten versucht.

    Warum macht er das, dieser unsägliche Arbeitsminister Scholz? Weil es ihm nicht um die Wirtschaft geht, also die Arbeit; sondern - wenn wir Carsten Volkery einmal glauben - ums Triumphieren über die Union.

    Und was macht der Ritter von der traurigen Gestalt, der Müllermeister Michael Glos, den man auf den Stuhl von Ludwig Erhard, Karl Schiller und Otto Graf Lambsdorff gesetzt hat? Carsten Volkery schreibt:
    Vergangenen Donnerstag gab es auf kurzfristigen Wunsch von Glos ein Treffen der zuständigen Minister. Scholz verschob extra eine Dienstreise nach Frankreich, Kanzleramtschef Thomas de Maiziere reiste aus Ungarn an. Glos tauchte dem Vernehmen nach mit den Worten auf, er habe eine Stunde Zeit und müsse dann weiter zu Maybrit Illner. Schließlich bedurfte es noch eines Wutanfalls im Kanzleramt und des guten Zuredens von Innenminister Wolfgang Schäuble, bis Glos einlenkte.


    Die Koalition ist gerettet. Wieder ist eine Entscheidung, die wirtschaftspolitisch unsinnig ist, um des lieben Friedens in der Koalition willen getroffen worden.

    Und wieder hat ein Minister, den die Fachleute seines Hauses ja über die Folgen dieser Gesetze informiert haben werden, die richtige Einsicht. Wieder poltert er herum und gibt dann klein bei.

    Wann hat eigentlich das letzte Mal ein Minister seinen Rücktritt für den Fall angedroht, daß man ihm in einer zentralen, sein Ressort betreffenden Frage im Kabinett die Zustimmung verweigert? Wann hatte zuletzt ein Minister das Rückgrat, in einem solchen Fall dann wirklich seinen Hut zu nehmen?

    Oder waren es etwa Rücksichten auf den Wahlkampf in Bayern, die den Minister dazu bewogen, den Segnungen eines Mindestlohns am Ende zuzustimmen?



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