18. Juli 2008

Zettels Meckerecke: Urin bei der Nasa. Aber bei "Spiegel Online" läuft's nicht

Der "Spiegel" galt einmal als die zuverlässigste Publikation Deutschlands, eine der zuverlässigsten der Welt. Das lag an der peniblen, wesentlich von Heinz Klatte aufgebauten Dokumentation; an einer Schlußredaktion, bei der jedes einzelne behauptete Faktum in jedem Manuskript vom zuständigen Redakteur der Dokumentation durch Abzeichnen bestätigt werden mußte, bevor der Artikel zum Druck freigegeben wurde.

Lange ist's her, daß man sich auf die Fakten, die im "Spiegel" standen, verlassen konnte; so, wie auch Druckfehler und orthographische Fehler so gut wie unbekannt waren.

Seit Kurzem hat der "Spiegel" am Ende der Leserbriefspalte einen Kasten, in dem die jeweils aktuellen Korrekturen zu der vorausgehenden Nummer stehen. In der Ausgabe 29/2008 dieser Woche erfährt man zum Beispiel, daß in der Titelgeschichte über die Nuklearenergie der vergangenen Woche irreführend über den zu erwartenden Temperaturanstieg berichtet worden war.

Ja, hätte das denn die Dokumentation nicht merken können, nein merken müssen, bevor die Titelgeschichte in Druck ging?



Wie in der politischen Tendenz ist beim "Spiegel" auch hinsichtlich der Sorgfalt so etwas wie eine Spiegel- Onlinisierung zu bemerken.

"Spiegel- Online" wurde schon immer schlampig redigiert. Diese Nonchalance, was die Fakten angeht (und die Vermischung von Tatsachen und Meinungungen; viele Redakteure der ersten Stunden kamen ja von der "taz") scheint jetzt auf den gedruckten "Spiegel" überzuschwappen. Daß der ehemalige Chef von "Spiegel- Online", Mathias Müller von Blumencron, jetzt einer der beiden Chefredakteure des "Spiegel" ist, dürfte diese Assimilation zumindest nicht erschwert haben.

Ein aktuelles Beispiel zur Arbeitsweise von "Spiegel- Online": Dort steht im Augenblick ein Artikel aus der Wissenschaftsredaktion mit einer dieser albernen Meldungen, wie man sie halt gelegentlich zur Auflockerung bringt: "WELTRAUM-TOILETTE - Nasa ruft zu Urin- Spenden auf".

Nun gut, warum nicht. Bei der Konstruktion der Toilette für das neue Raumschiff "Orion" braucht man halt zu Testzwecken Urin, und den besorgt sich die Nasa. Vermutlich auch noch Anderes, das nicht explizit genannt wird. Also eine Meldung unter "Buntes".

Nicht daß diese Albernheit berichtet wird, macht den Artikel erwähnenswert, sondern diese Passage:
Das neue Raumschiff "Orion" soll die alten Space- Shuttle ablösen, die bis zum Jahr 2010 ausgemustert werden sollen. "Orion" wird allerdings frühestens 2014 zur Verfügung stehen und Flüge zum Mond ermöglichen. Es stellt eine Abkehr vom Shuttle-Design dar: Wie früher beim "Apollo"- Programm werden die Astronauten wieder in einer Kapsel auf der Spitze einer Rakete sitzen - und nicht seitlich am Haupttank zweier Booster-Raketen.
Am Haupttank zweier Booster-Raketen! Der das geschrieben hat, weiß offenkundig nicht, wie die Shuttle- Konfiguration konstruiert ist. In der Tat hängt das Raumfahrzeug seitlich am Haupttank. Aber dieser ist keineswegs der Tank der beiden Booster. Diese nämlich sind Feststoffraketen, die folglich keinen Tank benötigen. Der Haupttank enthält den flüssigen Sauerstoff und flüssigen Wasserstoff für die Triebwerke des Raumfahrzeugs selbst. Die Booster hingegen werden nach dem Ausbrennen abgesprengt und kehren zur Erde zurück.

Der Autor des Artikels stellt sich die Shuttle- Konfiguration offenbar so vor, daß das Raumschiff keinen eigenen Antrieb hat, daß die Booster es in den Orbit befördern und daß diese mit Flüssigtreibstoff arbeiten, der sich im Haupttank befindet. Jeder amerikanische Schüler, der sich für Raumfahrt interessiert, weiß, daß das rubbish ist.

Der Artikel ist nicht aus Agentur- Meldungen zusammengestellt, sondern mit "(lub") gezeichnet; das ist die Paraphe des Wissenschaftsredakteurs Jens Lubbadeh. Wenn der für Raumfahrt zuständige Redakteur nicht weiß, wie ein Shuttle aufgebaut ist, dann ist das mehr als eine läßliche Schlamperei; dann ist es ein Indiz für die Arbeitsweise dieser Redaktion.

Und wenn ich darüber meckere, dann ist das keine Beckmesserei, sondern so ziemlich die härteste Kritik, die man an einer Redaktion üben kann: Daß sie ihr Handwerk nicht beherrscht.



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