Vorgestern wurde gemeldet, daß westliche Regierungen, darunter die britische, die holländische und auch die deutsche, ihre Staatsangehörigen aufgefordert haben, die Stadt Bengasi in Ostlibyen zu verlassen. Es gebe eine "konkrete Bedrohung". Die Regierung der Niederlande begründete ihre Warnung damit, daß seit der französischen Intervention die Gefahr von Anschlägen auf westliche Ziele gestiegen sei. Offenbar gibt es aber jetzt über diese allgemeine Bedrohungslage hinaus unmittelbare Hinweise auf eine von Dschihadisten geplante Aktion in Bengasi.
Der Mali-Konflikt, der bereits zu dem Anschlag auf die Gasanlage in Algerien geführt hatte, droht offenbar jetzt auf Libyen überzugreifen.
Das wirft ein Schlaglicht darauf, wie wenig der Dschihadismus in Nordafrika sich um Grenzen kümmert. Die Sahara und die angrenzenden Gebiete sind für die Terroristen ein einziger Operationsraum. Die folgende (bearbeitete) Satellitenaufnahme zeigt die Ausdehnung dieses Gebiets (für eine politische Karte siehe hier):
In diesem riesigen Gebiet spielen die oft künstlich gezogenen Grenzen keine bedeutsame Rolle; die Völker und Stämme siedeln und nomadisieren diesseits und jenseits von ihnen. Allein die großen Entfernungen und das verkehrsmäßig kaum erschlossene Terrain behindern die Beweglichkeit der Gruppen von Terroristen.
Während Staatsgrenzen unbedeutend für den Terrorismus sind, spielen ethnische Faktoren eine große Rolle. Daß es in Nordafrika keine einheitliche dschihadistische Organisation gibt, sondern eine Reihe von teils konkurrierenden, teils kooperierenden Gruppen, liegt weniger an ideologischen oder religiösen Unterschieden. Die Organisationen rekrutieren sich vielmehr aus verschiedenen ethnischen Gruppen.
Deren Struktur hat Stratfor in zwei - nicht allgemein zugänglichen - Artikeln untersucht, auf die ich mich im Folgenden stütze; außerdem auf eine kürzliche Analyse der BBC und Quellen wie die Wikipedia.
Ungefähr dort, wo auf der Karte die Grenze zwischen der Wüste und den fruchtbareren Gebieten in ihrem Süden liegt (dazwischen der schmale Streifen der Sahel-Zone), verläuft die Grenze zwischen dem nördlichen, von Arabern und Berbern, darunter den Tuareg, besiedelten Afrika und Schwarzafrika. Bis zu dieser Grenzlinie hatten in Mali die Dschihadisten auch ihren Herrschaftsbereich ausgedehnt.
Daß Nordmali zu einem Anziehungspunkt für Dschihadisten wurde, hat zwei Gründe: Erstens ist das Land seit dem Militärputsch im März 2012 destabilisiert; die Dschihadisten konnten in ein Machtvakuum vorstoßen. Zweitens konnten sie von einem ethnischen Konflikt profitieren; dem zwischen den Tuareg und den Schwarzafrikanern in Mali.
Im einzelnen handelt es sich um die folgenden Organisationen:
Die AQIM, eine Organisation von algerischen Arabern und Berbern. Die größte und schlagkräftigste dschihadistische Organisation Nordafrikas ist die Kaida, genauer die Kaida im Islamischen Maghreb (Al Qaeda in the Islamic Maghreb; AQIM). Sie gehört zur mittleren Organisationsebene der Kaida; den sogenannten Franchisenehmern der Kaida-Zentrale (siehe Die Kaida und ihr Umfeld im Jahr 2010. Neue organisatorische Strukturen, neue Taktik; ZR vom 9. 1. 2010).
In den vergangenen Jahren hatte eine andere solche lokale Kaida-Organisation, die Kaida auf der Arabischen Halbinsel (Al Quaeda on the Arabic Peninsula, AQAP) mehr von sich reden gemacht, die im Jemen bereits "Emirate" errichtet hat (siehe Die Kaida ist besiegt? Keineswegs. Im Jemen kontrolliert sie bereits "Emirate"; ZR vom 5. 6. 2012). Seit sie zusammen mit Bundesgenossen Nordmali erobert hat, ist nun die AQIM in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt.
Sie wird größenteils von Algeriern kontrolliert. Das hängt mit ihrem Ursprung zusammen:
In Algerien gab es in den neunziger Jahren einen erbitterten und äußerst blutigen Bürgerkrieg, in dem die islamische FIS gegen die Regierung kämpfte, eine der Bastionen des Arabischen Sozialismus. Der militärische Arm der FIS war die GIA (Groupe Islamique Armé, Bewaffnete Islamische Gruppe). Auch andere salafistische Gruppen waren an dem Aufstand beteiligt.
Um die Jahrtausendwende gaben dies Gruppen schrittweise auf und schlossen Kompromisse mit der Regierung (siehe Warum schlug die Regierung Algeriens mit einer solchen Härte zu? Hintergründe der heute beendeten Geiselnahme; ZR vom 19. 1. 2013). Aus der GIA ging eine Organisation namens GSPC hevor, Groupe Salafiste pour la Prédication et le Combat (Salafistische Gruppe für Predigt und Kampf). Diese unterstellte sich im Jahr 2007 der Kaida-Zentrale in Pakistan, damals noch von Osama bin Laden geführt, und nannte sich künftig AQIM.
Die AQIM hat ihr Hauptquartier nicht in der Sahara, sondern im Kabylgebirge östlich von Algier. Es gehört zu den stillschweigenden Übereinkünften des Friedensschlusses, daß die Dschihadisten dort von der algerischen Regierung in Ruhe gelassen werden, solange sie keine Anschläge in Algerien ausführen.
Von dieser Basis aus hat die AQIM in den letzten Jahren immer wieder Terrorakte verübt; beispielsweise in der mauretanischen Hauptstadt Nouakchott und in der nigerischen Hauptstadt Niamey. Dabei gingen politisch motivierte und kriminelle Akte (Erpressung, Drogenschmuggel) Hand in Hand.
Im Jahr 2008 griffen AQIM-Terroristen die israelische Botschaft in Nouakchott an. 2009 verübten sie einen Mordanschlag auf einen Lehrer in Mauretanien; vermutlich ein mißglückter Entführungsversuch. 2010 entführten sie eine Gruppe von Franzosen in Niger, verschleppten sie und ließen sie im Februar 2011 gegen ein Lösegeld von vermutlich 17 Millionen Dollar frei. In Niger führte die Gruppe auch Anschläge gegen das Militär aus.
Im vergangenen Jahr haben sich zwei Entwicklungen vollzogen. Erstens hat sich AQIM im Gefolge des Tuareg-Aufstands (siehe unten) ihre Aktivitäten nach Nordmali ausgedehnt. Zweitens kam es zu einer Abspaltung.
Bis 2012 war die AQIM eine relativ geschlossene Terrororganisation unter Führung ihres Emirs Abu Musab Abd al-Wadoud gewesen, auch als Abdelmalek Droukdel bekannt. Sie gliedert sich in eine Reihe von Brigaden, jeweils in Stärke von 100 bis 150 Mann.
Eine dieser Brigaden, die El Moulathamoune, wird von Mokhtar Belmokhtar geführt, einem Afghanistan-Veteranen. Dieser, einer der skrupellosesten Terroristen Nordafrikas, verantwortlich für zahlreiche Morde und Entführungen, überwarf sich gegen Ende 2012 mit der Führung der AQIM und löste sich von dieser Organisation. Seine jetzt selbständig agierende Gruppe, die sich Signed-in-Blood Battalion (Das Batallion der blutigen Unterschrift) nennt, war verantwortlich für die Geiselnahme in der Gasanlage von Ain Aménas.
Nachdem er sich von der AQIM getrennt hatte, ging Mokhtar Belmokhtar mit seinen Leuten nach Nordmali, wo der Tuareg-Aufstand günstige Bedingungen für den Dschihadismus geschaffen hatte.
MNLA und Ansar Dine; zwei Tuareg-Organisationen. Die Tuareg sind ein Volk, das, ähnlich wie die Kurden, ein großes Siedlungsgebiet hat, dem aber die Zufälle der kolonialen und postkolonialen Grenzziehungen einen eigenen Staat verweigerten. Zum Gebiet dieser Nomaden gehört der Süden Algeriens und Libyens; die größten Gruppen finden sich aber im Norden Malis und Nigers.
In Gaddafis Armee hatten zahlreiche Tuareg gedient (Gaddafi stammt mütterlicherseits von Tuareg ab). Sie kämpften im libyschen Bürgerkrieg auf seiner Seite und setzten sich nach Gaddafis Tod unter Mitnahme ihrer Waffen in ihre Heimat ab, größtenteils nach Nordmali.
Diese ehemaligen Söldner bildeten den Kern einer nationalen Befreiungsbewegung, des MNLA (Mouvement National de l'Azawad; Nationalbewegung des Azawad). Dies ist keine dschihadistische, sondern eine separatistische Bewegung, die auf einen selbständigen Tuareg-Staat Azawad abzielt.
Die Destabilisierung des Nordmali zog auch die Dschihadisten an. Die AQIM kämpfte zunächst an der Seite der MNLA. Die Araber und Berber aus Algerien suchten sich durch Heiraten mit Tuareg-Frauen in der Bevölkerung zu verankern. Einmal hinreichend stark geworden, begannen die Dschihadisten - die AQIM und die beiden anderen Gruppen (s.u.) - aber die MNLA zu verdrängen.
Schließlich kam es im Sommer 2012 zu bewaffneten Auseinandersetzungen; regelrechte Schlachten um die Kontrolle von Städten wie Timbuktu und Gao. Die Dschihadisten siegten und übernahmen die Stützpunkte, welche die MNLA ihrerseits der malischen Armee abgenommen hatte. Gegenwärtig spielt die MNLA in Nordmali kaum noch eine Rolle.
Ein Teil der Tuareg, vor allem vom Stamm der Ifora, schloß sich aber dem Dschihadismus an. Sie bilden jetzt die Ansar Dine (Verteidiger des Glaubens) unter Iyad Ag Ghaly, der schon in den neunziger Jahren an einem Tuareg-Aufstand beteiligt gewesen war.
Die Ansar Dine gibt sich noch radikaler als die AQIM. Auf ihr Konto gehen die Einführung barbarischer Körperstrafen in Nordmali und die Zerstörung historischer Denkmäler beispielsweise in Timbuktu.
Die MUJAO; eine Organisation von Schwarzafrikanern. Diese Terroristen überwiegend aus Ländern Schwarzafrikas gehörten zunächst zur AQIM, spaltete sich aber 2011 von ihr ab; vermutlich wegen der beherrschenden Stellung der Araber und Berber in der AQIM. Ideologisch hat die MUJAO (Movement for Unity and Jihad in West Africa; Bewegung für Einheit und Dschihad in Westafrika) kaum Differenzen mit der AQIM; auch sie beruft sich auf Osama Bin Laden und die Taliban. Aber sie betont daneben schwarzafrikanische Traditionen und möchte über das Operationsgebiet der AQIM hinaus ganz Westafrika ihrem dschihadistischen Regime unterwerfen.
Der ethnische Faktor erklärt das spezielle Verhältnis zwischen diesen Terrororganisationen: Sie verfolgen dasselbe Ziel. Ethnische Rivalitäten verhindern, daß sie das in einer einzigen Organisation tun. Im Zweifel arbeiten sie aber zusammen. Gemeinsam haben sie die MNLA aus Nordmali vertrieben; gemeinsam haben sie dort die Herrschaft der Scharia eingeführt.
Die Zusammenarbeit ist nicht auf diese Organisationen beschränkt. Der BBC-Autor Raffaello Pantucci hat am vergangenen Montag das umfassendere Netz der Zusammenarbeit analysiert:
In Nigeria operiert die Terrorgruppe Boko Haram. Es gibt Berichte, wonach jetzt auch sie nach Nordmali eingedrungen ist. Amerikanische Sicherheitsexperten konstatieren schon seit langem Verbindungen zwischen Boko Haram und der AQIM. Auch zur jemenitischen Kaida-Organisation AQAP (siehe oben) pflegt Boko Haram Verbindungen; ebenso zur in Somalia mächtigen Al-Shabab.
Das alles sind Organisationen mit ihrem jeweils eigenen ethnischen Hintergrund. Ideologisch, in ihrer Strategie und was die Brutalität ihres Terrorismus angeht, unterscheiden sie sich nicht. Als politische und militärische Kraft bilden sie eine Einheit; von Mauretanien quer über Nordafrika bis über das Rote Meer hinaus.
Der Mali-Konflikt, der bereits zu dem Anschlag auf die Gasanlage in Algerien geführt hatte, droht offenbar jetzt auf Libyen überzugreifen.
Das wirft ein Schlaglicht darauf, wie wenig der Dschihadismus in Nordafrika sich um Grenzen kümmert. Die Sahara und die angrenzenden Gebiete sind für die Terroristen ein einziger Operationsraum. Die folgende (bearbeitete) Satellitenaufnahme zeigt die Ausdehnung dieses Gebiets (für eine politische Karte siehe hier):
In diesem riesigen Gebiet spielen die oft künstlich gezogenen Grenzen keine bedeutsame Rolle; die Völker und Stämme siedeln und nomadisieren diesseits und jenseits von ihnen. Allein die großen Entfernungen und das verkehrsmäßig kaum erschlossene Terrain behindern die Beweglichkeit der Gruppen von Terroristen.
Während Staatsgrenzen unbedeutend für den Terrorismus sind, spielen ethnische Faktoren eine große Rolle. Daß es in Nordafrika keine einheitliche dschihadistische Organisation gibt, sondern eine Reihe von teils konkurrierenden, teils kooperierenden Gruppen, liegt weniger an ideologischen oder religiösen Unterschieden. Die Organisationen rekrutieren sich vielmehr aus verschiedenen ethnischen Gruppen.
Deren Struktur hat Stratfor in zwei - nicht allgemein zugänglichen - Artikeln untersucht, auf die ich mich im Folgenden stütze; außerdem auf eine kürzliche Analyse der BBC und Quellen wie die Wikipedia.
Ungefähr dort, wo auf der Karte die Grenze zwischen der Wüste und den fruchtbareren Gebieten in ihrem Süden liegt (dazwischen der schmale Streifen der Sahel-Zone), verläuft die Grenze zwischen dem nördlichen, von Arabern und Berbern, darunter den Tuareg, besiedelten Afrika und Schwarzafrika. Bis zu dieser Grenzlinie hatten in Mali die Dschihadisten auch ihren Herrschaftsbereich ausgedehnt.
Daß Nordmali zu einem Anziehungspunkt für Dschihadisten wurde, hat zwei Gründe: Erstens ist das Land seit dem Militärputsch im März 2012 destabilisiert; die Dschihadisten konnten in ein Machtvakuum vorstoßen. Zweitens konnten sie von einem ethnischen Konflikt profitieren; dem zwischen den Tuareg und den Schwarzafrikanern in Mali.
Im einzelnen handelt es sich um die folgenden Organisationen:
Die AQIM, eine Organisation von algerischen Arabern und Berbern. Die größte und schlagkräftigste dschihadistische Organisation Nordafrikas ist die Kaida, genauer die Kaida im Islamischen Maghreb (Al Qaeda in the Islamic Maghreb; AQIM). Sie gehört zur mittleren Organisationsebene der Kaida; den sogenannten Franchisenehmern der Kaida-Zentrale (siehe Die Kaida und ihr Umfeld im Jahr 2010. Neue organisatorische Strukturen, neue Taktik; ZR vom 9. 1. 2010).
In den vergangenen Jahren hatte eine andere solche lokale Kaida-Organisation, die Kaida auf der Arabischen Halbinsel (Al Quaeda on the Arabic Peninsula, AQAP) mehr von sich reden gemacht, die im Jemen bereits "Emirate" errichtet hat (siehe Die Kaida ist besiegt? Keineswegs. Im Jemen kontrolliert sie bereits "Emirate"; ZR vom 5. 6. 2012). Seit sie zusammen mit Bundesgenossen Nordmali erobert hat, ist nun die AQIM in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt.
Sie wird größenteils von Algeriern kontrolliert. Das hängt mit ihrem Ursprung zusammen:
In Algerien gab es in den neunziger Jahren einen erbitterten und äußerst blutigen Bürgerkrieg, in dem die islamische FIS gegen die Regierung kämpfte, eine der Bastionen des Arabischen Sozialismus. Der militärische Arm der FIS war die GIA (Groupe Islamique Armé, Bewaffnete Islamische Gruppe). Auch andere salafistische Gruppen waren an dem Aufstand beteiligt.
Um die Jahrtausendwende gaben dies Gruppen schrittweise auf und schlossen Kompromisse mit der Regierung (siehe Warum schlug die Regierung Algeriens mit einer solchen Härte zu? Hintergründe der heute beendeten Geiselnahme; ZR vom 19. 1. 2013). Aus der GIA ging eine Organisation namens GSPC hevor, Groupe Salafiste pour la Prédication et le Combat (Salafistische Gruppe für Predigt und Kampf). Diese unterstellte sich im Jahr 2007 der Kaida-Zentrale in Pakistan, damals noch von Osama bin Laden geführt, und nannte sich künftig AQIM.
Die AQIM hat ihr Hauptquartier nicht in der Sahara, sondern im Kabylgebirge östlich von Algier. Es gehört zu den stillschweigenden Übereinkünften des Friedensschlusses, daß die Dschihadisten dort von der algerischen Regierung in Ruhe gelassen werden, solange sie keine Anschläge in Algerien ausführen.
Von dieser Basis aus hat die AQIM in den letzten Jahren immer wieder Terrorakte verübt; beispielsweise in der mauretanischen Hauptstadt Nouakchott und in der nigerischen Hauptstadt Niamey. Dabei gingen politisch motivierte und kriminelle Akte (Erpressung, Drogenschmuggel) Hand in Hand.
Im Jahr 2008 griffen AQIM-Terroristen die israelische Botschaft in Nouakchott an. 2009 verübten sie einen Mordanschlag auf einen Lehrer in Mauretanien; vermutlich ein mißglückter Entführungsversuch. 2010 entführten sie eine Gruppe von Franzosen in Niger, verschleppten sie und ließen sie im Februar 2011 gegen ein Lösegeld von vermutlich 17 Millionen Dollar frei. In Niger führte die Gruppe auch Anschläge gegen das Militär aus.
Im vergangenen Jahr haben sich zwei Entwicklungen vollzogen. Erstens hat sich AQIM im Gefolge des Tuareg-Aufstands (siehe unten) ihre Aktivitäten nach Nordmali ausgedehnt. Zweitens kam es zu einer Abspaltung.
Bis 2012 war die AQIM eine relativ geschlossene Terrororganisation unter Führung ihres Emirs Abu Musab Abd al-Wadoud gewesen, auch als Abdelmalek Droukdel bekannt. Sie gliedert sich in eine Reihe von Brigaden, jeweils in Stärke von 100 bis 150 Mann.
Eine dieser Brigaden, die El Moulathamoune, wird von Mokhtar Belmokhtar geführt, einem Afghanistan-Veteranen. Dieser, einer der skrupellosesten Terroristen Nordafrikas, verantwortlich für zahlreiche Morde und Entführungen, überwarf sich gegen Ende 2012 mit der Führung der AQIM und löste sich von dieser Organisation. Seine jetzt selbständig agierende Gruppe, die sich Signed-in-Blood Battalion (Das Batallion der blutigen Unterschrift) nennt, war verantwortlich für die Geiselnahme in der Gasanlage von Ain Aménas.
Nachdem er sich von der AQIM getrennt hatte, ging Mokhtar Belmokhtar mit seinen Leuten nach Nordmali, wo der Tuareg-Aufstand günstige Bedingungen für den Dschihadismus geschaffen hatte.
MNLA und Ansar Dine; zwei Tuareg-Organisationen. Die Tuareg sind ein Volk, das, ähnlich wie die Kurden, ein großes Siedlungsgebiet hat, dem aber die Zufälle der kolonialen und postkolonialen Grenzziehungen einen eigenen Staat verweigerten. Zum Gebiet dieser Nomaden gehört der Süden Algeriens und Libyens; die größten Gruppen finden sich aber im Norden Malis und Nigers.
In Gaddafis Armee hatten zahlreiche Tuareg gedient (Gaddafi stammt mütterlicherseits von Tuareg ab). Sie kämpften im libyschen Bürgerkrieg auf seiner Seite und setzten sich nach Gaddafis Tod unter Mitnahme ihrer Waffen in ihre Heimat ab, größtenteils nach Nordmali.
Diese ehemaligen Söldner bildeten den Kern einer nationalen Befreiungsbewegung, des MNLA (Mouvement National de l'Azawad; Nationalbewegung des Azawad). Dies ist keine dschihadistische, sondern eine separatistische Bewegung, die auf einen selbständigen Tuareg-Staat Azawad abzielt.
Die Destabilisierung des Nordmali zog auch die Dschihadisten an. Die AQIM kämpfte zunächst an der Seite der MNLA. Die Araber und Berber aus Algerien suchten sich durch Heiraten mit Tuareg-Frauen in der Bevölkerung zu verankern. Einmal hinreichend stark geworden, begannen die Dschihadisten - die AQIM und die beiden anderen Gruppen (s.u.) - aber die MNLA zu verdrängen.
Schließlich kam es im Sommer 2012 zu bewaffneten Auseinandersetzungen; regelrechte Schlachten um die Kontrolle von Städten wie Timbuktu und Gao. Die Dschihadisten siegten und übernahmen die Stützpunkte, welche die MNLA ihrerseits der malischen Armee abgenommen hatte. Gegenwärtig spielt die MNLA in Nordmali kaum noch eine Rolle.
Ein Teil der Tuareg, vor allem vom Stamm der Ifora, schloß sich aber dem Dschihadismus an. Sie bilden jetzt die Ansar Dine (Verteidiger des Glaubens) unter Iyad Ag Ghaly, der schon in den neunziger Jahren an einem Tuareg-Aufstand beteiligt gewesen war.
Die Ansar Dine gibt sich noch radikaler als die AQIM. Auf ihr Konto gehen die Einführung barbarischer Körperstrafen in Nordmali und die Zerstörung historischer Denkmäler beispielsweise in Timbuktu.
Die MUJAO; eine Organisation von Schwarzafrikanern. Diese Terroristen überwiegend aus Ländern Schwarzafrikas gehörten zunächst zur AQIM, spaltete sich aber 2011 von ihr ab; vermutlich wegen der beherrschenden Stellung der Araber und Berber in der AQIM. Ideologisch hat die MUJAO (Movement for Unity and Jihad in West Africa; Bewegung für Einheit und Dschihad in Westafrika) kaum Differenzen mit der AQIM; auch sie beruft sich auf Osama Bin Laden und die Taliban. Aber sie betont daneben schwarzafrikanische Traditionen und möchte über das Operationsgebiet der AQIM hinaus ganz Westafrika ihrem dschihadistischen Regime unterwerfen.
Der ethnische Faktor erklärt das spezielle Verhältnis zwischen diesen Terrororganisationen: Sie verfolgen dasselbe Ziel. Ethnische Rivalitäten verhindern, daß sie das in einer einzigen Organisation tun. Im Zweifel arbeiten sie aber zusammen. Gemeinsam haben sie die MNLA aus Nordmali vertrieben; gemeinsam haben sie dort die Herrschaft der Scharia eingeführt.
Die Zusammenarbeit ist nicht auf diese Organisationen beschränkt. Der BBC-Autor Raffaello Pantucci hat am vergangenen Montag das umfassendere Netz der Zusammenarbeit analysiert:
In Nigeria operiert die Terrorgruppe Boko Haram. Es gibt Berichte, wonach jetzt auch sie nach Nordmali eingedrungen ist. Amerikanische Sicherheitsexperten konstatieren schon seit langem Verbindungen zwischen Boko Haram und der AQIM. Auch zur jemenitischen Kaida-Organisation AQAP (siehe oben) pflegt Boko Haram Verbindungen; ebenso zur in Somalia mächtigen Al-Shabab.
Das alles sind Organisationen mit ihrem jeweils eigenen ethnischen Hintergrund. Ideologisch, in ihrer Strategie und was die Brutalität ihres Terrorismus angeht, unterscheiden sie sich nicht. Als politische und militärische Kraft bilden sie eine Einheit; von Mauretanien quer über Nordafrika bis über das Rote Meer hinaus.
Zettel
© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Links zu allen Folgen dieser Serie finden Sie hier. Titelvignette: NSF. Als Werk der US-Regierung gemeinfrei. Satellitenaufnahme als Werk der NASA gemeinfrei. Mit Dank an Störoperator.