18. September 2012

Aufruhr in Arabien (31): Christenverfolgung in Ägypten

Als der ägyptische Talkshow-Moderator Sheikh Khalid Abdullah am Samstag vor einer Woche die Sendung zu dem Film The Innocent Muslim brachte, die am Beginn der jetzigen Unruhen und Gewalttaten stand, da stellte er eine Verbindung zwischen dem Film und den Kopten her. Er goß damit Öl ins Feuer; in ein Feuer, das bereits lichterloh brennt.

Denn zu den Folgen der ägyptischen Revolution gehört es, daß die christlichen Kopten zunehmend Verfolgungen und Repressalien ausgesetzt sind. Es findet dabei das statt, was "Kollektive Bestrafung" genannt wird: Wird einem Christen ein Übergriff gegen einen Moslem zur Last gelegt, dann werden als Rache die in der Gemeinde lebenden Christen als Kollektiv "bestraft"; was bedeutet, daß Häuser von Christen in Brand gesteckt, daß sie tätlich angegriffen werden, daß Geschäfte geplündert werden.

Das ist so seit dem Erfolg der Revolution im Februar 2011. Im April 2011 beispielsweise berichtete die assyrische Nachrichten­agentur AINA von folgendem Vorfall in der Stadt Abu Qurqas El Balad, 260 Kilometer südlich von Kairo:

Am 18. April kam es zu einer gewaltsamen Auseinander­setzung zwischen den beiden moslemischen Familien Abdel-Kader und el-Gazzar, bei der zwei Moslems umkamen. Zeitgleich gab es vor dem Haus des koptischen Rechtsanwalts Alaa Reda Roushdy einen Streit zwischen Wächtern, die der Rechtsanwalt zu seinem Schutz engagiert hatte, und dem Fahrer eines Minibusses.

Es kam zu einem Auflauf, und die Wächter schossen in die Luft, um die Menge zu zerstreuen. Schnell verbreitete sich das Gerücht, die beiden Moslems seien von diesen christlichen Wächtern erschossen worden. Es gibt die Vermutung, daß dieses Gerücht gezielt von Personen verbreitet worden war, die nicht in der Gemeinde wohnten.

Darauf plünderten Moslems zunächst zwei Cafés, die Alaa Reda Roushdy gehörten. Eines wurde anschließend zerstört, das andere zu einer "Moschee der Märtyrer" umgewidmet.

Am nächsten Tag, nach dem Begräbnis der beiden Moslems, wurden die Häuser von Christen angegriffen und geplündert. In diesem Video können Sie die Plünderung eines dieser Häuser sehen; mit dem anschließenden Versuch, es in Brand zu setzen.

Der Rechtsanwalt Roushdy wurde danach verhaftet; unter der Anklage, die Krawalle provoziert zu haben.



Wie Raymond Ibrahim im Middle East Forum schreibt, haben solche Aktionen "kollektiver Bestrafung" in den vergangenen Monaten einen Höhepunkt erreicht.

Ende Juli beispielsweise sollte in dem Dorf Dahshur bei Kairo der Christ Samih Nasim, Inhaber einer Wäscherei, ein Hemd des Moslems Ahmed Ramadan bügeln, wobei er versehentlich eine Stelle verbrannte. Am folgenden Tag erschienen zwanzig Moslems vor seinem Haus und griffen es an; unter anderem mit Molotow-Cocktails.

Samih Nasim flüchtete auf das Dach, von wo er sich mit Molotow-Cocktails zu verteidigen versuchte. Dabei wurde einer der attackierenden Moslems, Moaz Hasab-Allah, verletzt und starb später im Krankenhaus. Noch vor seinem Tod griffen 2000 bis 3000 Moslems die Christen des Dorfs an. 120 koptische Familien flüchteten.

Nach dem Begräbnis von Moaz Hasab-Allah, so AINA, wandten sich mehrere hundert Moslems gegen die Häuser der geflüchteten Christen, plünderten sie und versuchten sie in Brand zu stecken. Die Polizei sah dabei zu und schützte lediglich die Kirche St. George und die umliegenden Häuser.

Anschließend erklärte die Familie von Moaz Hasab-Allah, dies reiche ihr nicht aus, sondern die Kopten müßten mit ihrem Leben büßen.

Der koptische Bischof der Diözese, in der Dahshur liegt, Anba Theodosius, kündigte an, er werde Präsident Morsi aufsuchen, damit dieser es den 120 Familien ermögliche, in ihr Dorf zurückzukehren.

Weitere derartige Vorfälle hat Raymond Ibrahim in dem erwähnten Artikel im Middle East Forum zusammengestellt. Eine "kollektive Bestrafung" von Kopten wurde beispielsweise veranstaltet, weil ein Moslem einem Christen vorwarf, er habe "intime Fotos" einer Moslemin auf seinem Handy; oder, in einem anderen Fall, weil ein christlicher Jugendlicher angeblich Dates mit einem moslemischen Mädchen gehabt hatte. Das führte dazu, daß in 22 Häusern von Christen Brände gelegt wurden.



In einem Artikel vom Dezember vergangenen Jahres machte Raymond Ibrahim darauf aufmerksam, daß solche "kollektiven Bestrafungen" von dhimmis - Nichtmoslems, die als Minderheiten in mehrheitlich moslemischen Ländern leben - keine Ausschreitungen Einzelner sind, sondern vom islamischen Recht ausdrücklich gebilligt werden.

Ein grundlegender islamischer Text, der Anweisungen für den Umgang mit dhimmis enthält, ist der Pakt von Umar, vermutlich aus dem 7. Jahrhundert. Er regelt den Schutz der dhimmis, legt zugleich aber zahlreiche Verpflichtungen fest, denen diese sich unterwerfen müssen; zum Beispiel dürfen sie ihre Religion nicht öffentlich ausüben und keine Waffen tragen. Sie müssen aufstehen, wenn ein Moslem ihren Platz begehrt; und so fort.

"Wenn wir diese Bestimmungen in irgendeiner Weise verletzen", heißt es am Schluß, "dann büßen wir den Status als dhimmis ein und unterliegen den Strafen für Widersetzlichkeit und Aufruhr".

Diese Auffassung durchzieht die islamische Rechts­auffassung. Raymond Ibrahim zitiert den Juristen aus dem Jemen al-Murtada (10. Jahrhundert): "Die Vereinbarung wird hinfällig, wenn alle oder einige [der dhimmis] sie brechen"; und den nordafrikanischen Gelehrten al-Maghili (15. Jahrhundert): "Wenn ein Einzelner oder eine Gruppe von ihnen [den dhimmis] das Statut gebrochen hat, dann ist es für alle von ihnen hinfällig".

Diese Tradition ist offenbar auch im heutigen Ägypten noch lebendig. Lebendig als eine Denkweise; auch wenn die gewalttätigen Jugendlichen, die überwiegend für die Übergriffe gegen Kopten verantwortlich sind, gewiß nie die Schriften von al-Murtada oder al-Maghili gelesen haben.

Angesichts dieser Erfahrungen, die in diesen Tagen Christen im nun islamisch regierten Ägypten machen, versteht man die Angst der syrischen Christen vor einem Sieg der "Freiheitskämpfer" gegen Baschar al-Assad (siehe Christen in Syrien und "radikalislamische Freiheitskämpfer"; ZR vom 24. 7. 2012).
Zettel



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Großmoschee von Kairouan, Tunesien. Vom Autor Wotan unter Creative Commons Attribution-Share Alike 2.0-Lizenz freigegeben. Bearbeitet. Links zu allen Folgen dieser Serie finden Sie hier.