10. Januar 2012

US-Präsidentschaftswahlen 2012 (9): Die doppelte Bedeutung der heutigen Vorwahlen in New Hampshire

Auch vor vier Jahren, am 8. Januar 2008, waren die Vorwahlen in New Hampshire spannend; damals nicht nur bei den Republikanern, sondern ebenso bei den Demokraten. Dort ging ein gewisser Barack Obama als Favorit ins Rennen; ein Bewerber, dem gegen Hillary Clinton bis zu den Caucuses in Iowa wenig Chancen eingeräumt worden waren.

Zum Favoriten war Obama geworden, weil er ganz unerwartet am 3. Januar in Iowa gesiegt und Hillary Clinton sogar auf den Dritten Platz verwiesen hatte (siehe Warum Huckabee und Obama gewannen. Das Paradox von Iowa; ZR vom 4. 1. 2008). Das hatte zu einem nachgerade kometenhaften Aufstieg des Kandidaten Obama geführt. Ich habe das damals so beschrieben:
So etwas habe ich noch nicht erlebt: Innerhalb von buchstäblich Tagen entwickelt sich ein politischer Prozeß, den niemand so erwartet hatte. Die Metapher des Buschfeuers scheint hier nicht übertrieben.

Soeben sind die Ergebnisse zweier weiterer Umfragen zu den Primaries in New Hampshire am Dienstag veröffentlicht worden. Die Daten wurden am Wochenende erhoben. In ihnen spiegeln sich also schon die Reaktionen auf den Sieg Obamas in Iowa. Die Umfrage von Today/Gallup sieht Barack Obama bei unglaublichen 41 Prozent; gegen 28 Prozent, die Hillary Clinton noch erreicht. Eine Umfrage von WMUR/CNN hat für Obama 39 und für Clinton noch 29 Prozent gemessen.

Damit gibt es, zusammen mit den bereits zuvor publizierten Umfragen von Rassmussen und von ARG, jetzt vier Erhebungen, die alle nach den Caucuses von Iowa stattfanden. Alle vier sehen Obama im zweitstelligen Bereich vor Clinton; mit einem Abstand von zwischen 10 und 13 Prozentpunkten. Daß Clinton an den beiden verbleibenden Tagen diesen Trend noch umkehren oder auch nur stoppen kann, ist sehr unwahrscheinlich. Auf der demokratischen Seite ist das Primary so gut wie entschieden. (US-Vorwahlen: Das Buschfeuer breitet sich rasend aus; ZR vom 7. 1. 2008).
Welch eine Fehlprognose! Der ausgezeichnete Wahlanalytiker Nate Silver, der wie alle Anderen mit seiner Vorhersage eines großen Siegs Obamas falsch gelegen hatte, nennt den damaligen Erfolg von Clinton jetzt im Rückblick "an incredible story", eine unglaubliche Geschichte.

Aber es gibt ihn eben, wenn auch selten - jenen last minute swing, das Umschwenken der Wähler im letzten Augenblick, dem auch jetzt in Iowa Rick Santorum sein glänzendes Abschneiden verdankte. Eine wesentliche Rolle spielt dabei das, was die US-Politologen momentum nennen: Den Rückmeldekreis, über den einem Kandidaten, der in der Gunst der Wähler steigt, allein durch diesen surge immer weitere Anhänger zulaufen (siehe Iowa hat gewählt. Romney stark. Bachmann am Ende. Wird Rick Santorum der neue Obama? Über "momentum"; ZR vom 4. 1. 2012). Wer da hat, dem wird gegeben.

Von einem solchen Schwenk in letzter Minute hatte 2008 erst Barack Obama in Iowa und eine Woche später Hillary Clinton in New Hampshire profitiert; in diesem Jahr Rick Santorum in Iowa. Könnte dieser Mechanismus des sich selbst verstärkenden Aufschwungs auch heute wieder in New Hampshire eine Überraschung bringen?



Die Ausgangslage ist relativ eindeutig: Alle Umfragen zum Abschneiden bei den Republikanern (GOP) sehen in New Hampshire Mitt Romney deutlich in Führung, gefolgt von dem Libertären Ron Paul, der in Iowa Dritter geworden war und generell bisher eine ausgezeichnet Figur macht. Nate Silvers Modell, das auf einer Aggregation aller relevanter Umfragedaten und einer Gewichtung nach Erfahrungswerten basiert, gab gestern Romney 38,6 Prozent und Paul 19,6 Prozent.

Spannend wird es beim dritten Platz. Auf ihm liegt nämlich nach Silvers Modell mit Jon Huntsman ein Kandidat, den schon kaum noch jemand wahrgenommen hatte (für ein Kurzporträt siehe meine Vorstellung aller Kandidaten in der ersten Folge dieser Serie; Der lange Vorlauf. Ein erster Eindruck von den republikanischen Kandidaten; ZR vom 9. 9. 2011).

Huntsman, der Sohn eines mormonischen Milliardärs, der aber politisch am weitesten links von allen Kandidaten der GOP steht, versucht seit Wochen, in New Hampshire das zu erreichen, was dem katholischen Konservativen Rick Santorum in Iowa gelang: Durch eine massive Wahlwerbung in dem betreffenden Staat, durch Wahlkampfreisen, die bis in die kleinsten Flecken führten, ein momentum in Gang zu setzen, das Schwung für die weiteren Primaries liefern soll.

Wird ihm das gelingen? Es sieht nicht danach aus. Nate Silvers Modell prognostiziert für ihn einen Dritten Platz mit 15,6 Prozent. Das wäre weit mehr, als er in den nationalen Umfragen bisher erreichte, die ihm kaum mehr als 5 Prozent gaben; und auch mehr als in allen bisherigen Umfragen in New Hampshire. Aber es wäre zu wenig, um ihn wirklich nach vorn zu katapultieren.

Mitt Romney hat in New Hampshire nicht nur die mit Abstand besten Umfragwerte als der bevorzugte Kandidat. Er wird auch als besonders sympathisch gesehen (60 Prozent haben eine positive Meinung von ihm), und er hat die schlagkräftigste Organisation aller, die heute in New Hampshire antreten.

Ist Mitt Romney - worauf somit gegenwärtig alles hindeutet - der souveräne Sieger, dann ist er in einer exzellenten Ausgangsposition, im August auch der Kandidat der GOP zu werden. Ihm werden dann die Spenden zufließen; Anhänger anderer Kandidaten werden auf seinen bandwagon aufspringen, um bei den Siegern zu sein.

Santorum wird ihn zu jagen versuchen. Der sympathische Libertäre Ron Paul wird weiter Achtungserfolge einfahren, kann aber die Nominierung kaum erreichen; er ist in der GOP ein Außenseiter. Newt Gingrich lauert im Hintergrund, liegt aber inzwischen kaum noch über zehn Prozent. Falls Huntsman heute sehr, sehr gut abschneidet, kann auch er vielleicht noch einmal Hoffnung auf den Sieg schöpfen.

Die anderen Kandidaten sind nicht mehr im Rennen. Herman Cain und jetzt Michele Bachmann haben sich offiziell verabschiedet. Rick Perry ist noch am Nachdenken im heimatlichen Texas und scheint nun doch nicht aufgeben zu wollen; seine Frau dürfte aber mittlerweile der einzige Mensch sein, der noch glaubt, daß er Präsident werden wird (siehe Perry? Vorbei. Cherchez la femme!; ZR vom 14. 10. 2011). Die Umfragen sehen ihn in New Hampshire bei einem Prozent.



Inwiefern "doppelte" Bedeutung? Da kommen wir ein wenig ins Mythologische. Ein Sieg in New Hampshire bedeutet für den betreffenden Kandidaten nicht nur eine gute Ausgangs­position für die anschließenden Primaries - schon am 21. Januar geht es in South Carolina weiter -, sondern er ist auch so etwas wie ein Omen.

Die Wähler von New Hampshire - die soziale und politische Zusammensetzung der dortigen Wählerschaft ist relativ ähnlich derjenigen in den gesamten USA - gelten nämlich als besonders gut darin, sich just den Kandidaten auszusuchen, der später auch Präsident wird.

Bis 1992 hat der spätere Sieger bei den Wahlen im November stets das Primary seiner jeweiligen Partei in New Hampshire gewonnen. Das war schon bemerkenswert; und der so einmal entstandene Ruhm konnte auch dadurch nicht sehr beeinträchtigt werden, daß es seither nicht mehr immer funktioniert hat: 1992 wurde Bill Clinton Präsident, obwohl er in New Hampshire gegen einen gewissen Paul Tsongas verloren hatte. Im Jahr 2000 siegte in New Hampshire John McCain gegen George W. Bush, der dennoch Präsident wurde.

Den dritten Fall, in dem der Mythos nicht griff, habe ich eingangs genannt: Vor vier Jahren gewann ganz unerwartet Hillary Clinton gegen Barack Obama. Das mag ihr den Mut und die Entschlossenheit gegeben haben, bis zum Parteitag als Kandidatin durchzuhalten, obwohl sie Vorwahl nach Vorwahl an Obama verlor. Wunder sind eben doch selten.
Zettel



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Das Lansdowne-Porträt von George Washington, gemalt von Gilbert Stuart (1796). National Portrait Gallery der Smithsonian Institution. Das Porträt zeigt Washington, wie er auf eine weitere (dritte) Amtszeit verzichtet. Links zu allen Beiträgen dieser Serie finden Sie hier. Siehe auch die Serie Der 44. Präsident der USA von 2008.