Dieter Hildebrandt, 84, ist einer der einflussreichsten Kabarettisten Deutschlands.
Kommentar: Ein "einflußreicher" Kabarettist? Ist dem Redakteur, der diesen Kastentext geschrieben hat, da nur ein falscher Ausdruck in die Tasten geglitten; meinte er es also so, wie es auch in der Vorabmeldung in "Zeit-Online" an dieser Stelle steht: "Hildebrandt ist einer der populärsten Kabarettisten Deutschlands"? Oder steckt hinter dem "einflußreichsten" ein vertrackter, ein kurioser Hintersinn?
Man würde ja schwerlich, sagen wir, Harald Schmidt als einen der "einflußreichsten" Late-Night-Talker oder Atze Schröder als einen der "einflußreichsten" deutschen Comedians bezeichnen. Weil Spaßmacher Spaß machen, weil sie uns unterhalten sollen; und nicht Einfluß nehmen. Weil sie also gern populär sein dürfen, aber doch keineswegs einflußreich sein sollten; und das auch nicht sind.
Nun ist Dieter Hildebrandt allerdings kein Comedian. Er ist - so heißt es ja auch in dem Kastentext - ein Kabarettist. Was unterscheidet den Kabarettisten vom Comedian? Vor allem, daß der gute Comedian ein großes Publikum hat, auch unter jüngeren Zuschauern. Während der Kabarettist doch heute eher im Verborgenen wirkt; weil seine - nein, nicht Fans, sondern diejenigen, die ihn "zu schätzen wissen", eher im älteren Segment unserer Gesellschaft anzutreffen sein dürften.
Denn das Kabarett, das war immer der Spaß mit großem Ernst. "Literarisches Kabarett" sagte man in der Zeit, in der es in den Rotlichtvierteln von "Kabaretts" wimmelte, die "Soho", "Tabu" oder "Pigalle" hießen. Damit wollte man natürlich nichts zu tun haben; vielmehr sah man sich als "Kleinkunst". Als eine kleine, aber besonders gehobene Form der Bühnenkunst.
Das Literarische Kabarett - das war in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik etwas nachgerade Geheiligtes; sozusagen die abendliche Sonntagsschule für den aufgeklärten, im Zweifel linken Intellektuellen: Das "Kom(m)ödchen" in Düsseldorf, in Berlin die "Stachelschweine", in Frankfurt "Die Schmiere" von Rudolf Rolfs und in München die "Lach- und Schießgesellschaft", in der auch Dieter Hildebrandt lange Jahre wirkte.
Schon die Namen zeigten: Da ging es um Humor, aber mit (politischem) Biß; da wurde nicht billige Zotenreißerei geboten wie im Karneval, sondern Wortwitz mit Niveau. "Geschliffen" war eine der Belobigungen, mit denen die Leistung der Kabarettautoren gern gewürdigt wurde; "mit spitzer Feder" verrichteten sie ihr Handwerk, so hieß es; und vor allem "frech".
Man wollte subversiv sein, aber mit Stil. Man ging den Verhältnissen an den Kragen, aber bitteschön doch, ohne diesen gleich zu zerreißen. Im Publikum saßen ja auch die Wohlhabenden, saßen auch die Wähler der CDU und der FDP. Sie lachten herzhaft mit, wenn die Regierenden durch den Kakao gezogen wurden; diese blieben ja doch die Regierenden.
Das war schön im Gleichgewicht, bis sich um 1970 herum alles änderte. Adenauer und Strauß, der konservative Familienminister Franz-Josef Wuermeling und der noch konservativere Justizminister Richard Jaeger - alle diejenigen, die man so wunderbar kabarettistisch hatte aufs Korn nehmen können, waren nun weg. Es regierten diejenigen, mit denen man ja ganz einer Meinung war. Wie hätte man auf einen Willy Brandt seine Pfeile abschießen wollen? Das Literarische Kabarett verlor seinen Biß.
Und damit wurde es staatstragend, wurde es in der Tat "einflußreich". Die Regierenden und die von Berufs wegen Aufmüpfigen marschierten nun Arm in Arm.
Denn nichtlinke oder gar konservative Kabaretts, die sich die sozialliberale Koalition (und später die rotgrüne Regierung) so vorgeknöpft hätten, wie das Hildebrandt und seine Mitstreiter mit Adenauers und Erhards Regierungen gemacht hatten - die gab es interessanterweise kaum. Schon gar nicht "einflußreiche".
Heute ist das alles doch schon arg weit weg. Die erfolgreichen Comedians agieren nicht mehr mit der Absicht der Aufklärung oder gar der Einflußnahme auf Politik und Gesellschaft. Sie wollen gute Gags abliefern, und ihre einzige Botschaft lautet, daß es nichts in dieser Gesellschaft gibt, aus dem man nicht einen Witz machen, dem man nicht eine Pointe abgewinnen könnte.
Aus dem Kastentext zu einem Interview mit Hildebrandt im aktuellen "Zeit-Magazin" (5/2012 vom 26. 1. 2012, S. 46).
Kommentar: Ein "einflußreicher" Kabarettist? Ist dem Redakteur, der diesen Kastentext geschrieben hat, da nur ein falscher Ausdruck in die Tasten geglitten; meinte er es also so, wie es auch in der Vorabmeldung in "Zeit-Online" an dieser Stelle steht: "Hildebrandt ist einer der populärsten Kabarettisten Deutschlands"? Oder steckt hinter dem "einflußreichsten" ein vertrackter, ein kurioser Hintersinn?
Man würde ja schwerlich, sagen wir, Harald Schmidt als einen der "einflußreichsten" Late-Night-Talker oder Atze Schröder als einen der "einflußreichsten" deutschen Comedians bezeichnen. Weil Spaßmacher Spaß machen, weil sie uns unterhalten sollen; und nicht Einfluß nehmen. Weil sie also gern populär sein dürfen, aber doch keineswegs einflußreich sein sollten; und das auch nicht sind.
Nun ist Dieter Hildebrandt allerdings kein Comedian. Er ist - so heißt es ja auch in dem Kastentext - ein Kabarettist. Was unterscheidet den Kabarettisten vom Comedian? Vor allem, daß der gute Comedian ein großes Publikum hat, auch unter jüngeren Zuschauern. Während der Kabarettist doch heute eher im Verborgenen wirkt; weil seine - nein, nicht Fans, sondern diejenigen, die ihn "zu schätzen wissen", eher im älteren Segment unserer Gesellschaft anzutreffen sein dürften.
Denn das Kabarett, das war immer der Spaß mit großem Ernst. "Literarisches Kabarett" sagte man in der Zeit, in der es in den Rotlichtvierteln von "Kabaretts" wimmelte, die "Soho", "Tabu" oder "Pigalle" hießen. Damit wollte man natürlich nichts zu tun haben; vielmehr sah man sich als "Kleinkunst". Als eine kleine, aber besonders gehobene Form der Bühnenkunst.
Das Literarische Kabarett - das war in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik etwas nachgerade Geheiligtes; sozusagen die abendliche Sonntagsschule für den aufgeklärten, im Zweifel linken Intellektuellen: Das "Kom(m)ödchen" in Düsseldorf, in Berlin die "Stachelschweine", in Frankfurt "Die Schmiere" von Rudolf Rolfs und in München die "Lach- und Schießgesellschaft", in der auch Dieter Hildebrandt lange Jahre wirkte.
Schon die Namen zeigten: Da ging es um Humor, aber mit (politischem) Biß; da wurde nicht billige Zotenreißerei geboten wie im Karneval, sondern Wortwitz mit Niveau. "Geschliffen" war eine der Belobigungen, mit denen die Leistung der Kabarettautoren gern gewürdigt wurde; "mit spitzer Feder" verrichteten sie ihr Handwerk, so hieß es; und vor allem "frech".
Man wollte subversiv sein, aber mit Stil. Man ging den Verhältnissen an den Kragen, aber bitteschön doch, ohne diesen gleich zu zerreißen. Im Publikum saßen ja auch die Wohlhabenden, saßen auch die Wähler der CDU und der FDP. Sie lachten herzhaft mit, wenn die Regierenden durch den Kakao gezogen wurden; diese blieben ja doch die Regierenden.
Das war schön im Gleichgewicht, bis sich um 1970 herum alles änderte. Adenauer und Strauß, der konservative Familienminister Franz-Josef Wuermeling und der noch konservativere Justizminister Richard Jaeger - alle diejenigen, die man so wunderbar kabarettistisch hatte aufs Korn nehmen können, waren nun weg. Es regierten diejenigen, mit denen man ja ganz einer Meinung war. Wie hätte man auf einen Willy Brandt seine Pfeile abschießen wollen? Das Literarische Kabarett verlor seinen Biß.
Und damit wurde es staatstragend, wurde es in der Tat "einflußreich". Die Regierenden und die von Berufs wegen Aufmüpfigen marschierten nun Arm in Arm.
Denn nichtlinke oder gar konservative Kabaretts, die sich die sozialliberale Koalition (und später die rotgrüne Regierung) so vorgeknöpft hätten, wie das Hildebrandt und seine Mitstreiter mit Adenauers und Erhards Regierungen gemacht hatten - die gab es interessanterweise kaum. Schon gar nicht "einflußreiche".
Heute ist das alles doch schon arg weit weg. Die erfolgreichen Comedians agieren nicht mehr mit der Absicht der Aufklärung oder gar der Einflußnahme auf Politik und Gesellschaft. Sie wollen gute Gags abliefern, und ihre einzige Botschaft lautet, daß es nichts in dieser Gesellschaft gibt, aus dem man nicht einen Witz machen, dem man nicht eine Pointe abgewinnen könnte.
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