9. Januar 2012

Zitat des Tages: Sarrazin über Pharisäer. Auch über Käßmann, Heinrich August Winkler, Sigmar Gabriel. Und über das Verhalten von Bundespräsident Wulff

Welt Online: Worüber regen sich dann so viele auf?

Sarrazin: Das ist die Wut der Pharisäer. Ich spreche etwas aus, was viele denken, sich aber zu sagen nicht trauen. Der Pharisäer ist ein Mensch, der schon etwas weiß, aber in festen Strukturen denkt und sie nicht gefährden will. Er will keine Fragen stellen, weil sie zu ungewollten Folgerungen führen könnten. Damit er weiter sein Leben als Pharisäer führen kann.
Thilo Sarrazin in einem Interview, das Andrea Seibel und Henryk M. Broder mit ihm führten und das seit heute 14.21 Uhr in "Welt-Online" zu lesen ist.

Kommentar: Selten ist es mir so schwer gefallen, aus einem längeren Interview diejenige Passage herauszusuchen, die ich als "Zitat des Tages" verwenden möchte. Denn fast jede Antwort Sarrazins in diesem Interview ist zitierenswert - in einem Gespräch, das von Broder und Seibel professionell geführt wurde; also sachlich, an Auskünften des Gesprächspartners interessiert, und nicht mit der Absicht, ihn fertigzumachen und vorzuführen.

Das sollte man erwähnen, denn es ist ja bei Sarrazin keine Selbstverständlichkeit. Sie erinnern sich sicher an das unsägliche, als "Streitgespräch" publizierte Interview, das Bernd Ulrich und Özlem Topcu im August 2010 für die "Zeit" mit Thilo Sarrazin geführt haben; auch an die damaligen Talkshows, in denen er wie ein Angeklagter behandelt und wie ein dummer Schuljunge abgekanzelt wurde (Sarrazin - jetzt wird's richtig häßlich; ZR vom 29. 8. 2010).

Jetzt also kluge, neugierige Fragen; so, wie man das von Journalisten erwartet. Fragen zu Themen und Personen. In den Antworten Sarrazins erfährt man, wie er die eine oder andere Person sieht; dazu gibt es gewohnt lakonisch-konzise Zusammenfassungen seiner Positionen und seiner Sicht auf die Kampagne, die er damals, im Sommer 2010, mit der Publikation seines Buchs auslöste.

Lesen Sie dieses Gespräch! Ich will - Sie sollen es ja selbst lesen - gar nicht weiter daraus zitieren, sondern Ihnen nur einige Stichworte nennen; als Appetithäppchen, als Teaser:

Also, es geht um die in der Überschrift genannten Personen und andere - Käßmann und diesen smarten Richard David Precht als Bestseller-Autoren; Heinrich August Winkler, den Sarrazin (das hat mich gefreut) schätzt. Es geht um Sigmar Gabriel und wie unanständig er sich gegenüber Sarrazin verhalten hat; es geht um Christian Wulff - damals im Hintergrund der Kampagne gegen Sarrazin tätig, jetzt selbst Opfer einer Kampagne.

Es geht, natürlich, vor allem um Sarrazins Buch und seine Rezeption. Und dazu möchte ich, als letzten Teaser - oder nennen Sie es Trailer - jetzt doch noch eine Passage zitieren:
Ich habe immer versucht, das Abstrakte mit dem Konkreten zu verbinden. Und das hat viele irritiert, vor allem, wenn es zu unerwarteten Resultaten geführt hat. Ich sag Ihnen ein Beispiel. Alle reden davon, die deutsche Wirtschaft muss flexibler werden. Wir müssen uns dem internationalen Wettbewerb stellen. Wir müssen die Lohnnebenkosten senken.

Dann komme ich und sage: Also, wir schränken den Kündigungsschutz ein, 30 Tage Kündigungsfrist für alle, wir kürzen das Arbeitslosengeld auf 50 Prozent und zahlen es nur für sechs Monate. Rente mit 70. Und die Krankenversicherung wird zur Grundsicherung für alle, der Rest ist freiwillig mit kostendeckenden Beiträgen.

Haben wir uns richtig verstanden? Mit der einen Fassung kommen Sie selbst auf dem Evangelischen Kirchentag durch, mit der anderen überleben Sie nicht einmal eine Ortsvereins-Versammlung der SPD.
Zettel



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