Gebauer: Nun hat man leider gesehen, dass Özils Erfolg im Frühsommer 2010 in Südafrika durch den Bestsellererfolg von Thilo Sarrazin im Spätsommer grandios zertrümmert worden ist. Das Komische war, dass Sarrazin weitgehend unwidersprochen vor seinem Publikum behaupten konnte, Türken würden zu dieser Gesellschaft kaum etwas beitragen. Ich fand das bemerkenswert, weil das in Frankreich 1998 auch passiert war ...
Tagesspiegel: ... die Equipe multiculturelle, die Fußball-Weltmeister wurde...
Gebauer: ... ja 1998. Und 2000 kam Le Pen in die Stichwahl ums Präsidentenamt.
Kommentar: Von der Warte des Philosophen aus beschaut, sieht die Welt mitunter erstaunlich aus. Das Goethezitat im Titel ist mir zu Gebauer eingefallen, weil ich mich bei der Lektüre des Interviews an einen mit diesem Zitat (wenn auch leicht verfremdet) betitelten Kommentar von Rudolf Augstein vom August 1960 erinnerte. Er befaßte sich mit Karl Jaspers, der damals gerade aus philosophischer Sicht verkündet hatte, Deutschland solle auf die Wiedervereinigung verzichten.
Augstein hat Jaspers bissig kritisiert; so, wie das damals kaum einer konnte wie er:
Man kann alles irgendwie mit allem verbinden. Der Leser, der Zuhörer staunt dann. Gelernt hat er nichts. Der Franzose Pierre Bourdieu, zu dem Gunter Gebauer in Koautorschaft ein Buch verfaßt hat, ist ein Beispiel; ein phantasiereicher Denker, der von Assoziation zu Assoziation hüpft wie das Eichhörnchen von Baum zu Baum. So assoziiert Gebauer Özil mit Sarrazin, die WM 1998 mit Le Pen; und dann auch noch Özil und Sarrazin mit der WM und Le Pen. Halt so 'ne Idee, und noch eine und noch eine.
Gefragt worden war der Philosoph (er lehrt Philosophie an der Freien Universität Berlin und befaßt sich gern philosophierend mit Sport) von Teuffel, wie es denn mit Mesut Özil als einem "Beispiel für erfolgreiche Integration" stehe. Darauf bezieht sich sein "grandios zertrümmert": Özil habe "in der türkischen Community als ein Vorbild für gelungene Integration" gegolten - und dann, so des Philosophen schräge These, sei Sarrazin gekommen und habe zertrümmert.
Ja, was hat er denn zertrümmert, der Autor Thilo Sarrazin? Die Vorbildfunktion Özils? Seinen fußballerischen Erfolg? Die Integration von Menschen türkischer Abstammung in Deutschland? Der Philosoph auf seiner Warte läßt uns im Unklaren.
Und wendet sich seiner nächsten Assoziation zu, die nun nicht mehr nur schräg ist, sondern schon arg steil: Özil und Sarrazin - das sei wie die multikulturelle Equipe tricolore und Le Pen.
Offenbar steht die Warte, von der aus der Philosoph Gebauer die Welt beschaut, in der Nephelokokkygia; jenem Wolkenkuckucksheim des Aristophanes, von dem aus die Realität nur noch in wabernden Schemen zu erkennen ist. Özil schießt Traumtore in Südafrika - und hast du nicht gesehen hat Sarrazin ein paar Monate später seinen Bestseller. Die Franzosen werden 1998 mit einem multiethnischen Team Fußball-Weltmeister - und klar, schon hat Le Pen Erfolg als Kandidat um die Präsidentschaft.
Für denjenigen freilich, der nicht auf der Warte des Philosophen sitzt, war weder Sarrazins Bestseller eine Folge von Özils Toren, noch hat hat Sarrazins Buch Özils Ruhm und Ansehen gemindert; auch nicht die Integration von Türken in Deutschland behindert. Desgleichen besteht kein empirischer Zusammenhang zwischen der Fußball-WM 1998 in Frankreich und Jean-Marie Le Pens 16,86 Prozent im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen von 2002.
Ja, am 21. April 2002 war das; und nicht - wie der Philosoph glaubt - im Jahr 2000. Vier Jahre also lagen zwischen den beiden Ereignissen, die Gebauer gern zusammenrühren (und dann auch noch mit den Themen Özil und Sarrazin verrühren) möchte. Vier Jahre, nicht zwei.
Aber wer wird denn so kleinlich sein und auf so etwas achten, wenn es doch um philosophische Erkenntnis geht.
Tagesspiegel: ... die Equipe multiculturelle, die Fußball-Weltmeister wurde...
Gebauer: ... ja 1998. Und 2000 kam Le Pen in die Stichwahl ums Präsidentenamt.
Aus einem Interview, das Friedhard Teuffel mit dem Philosophen Gunter Gebauer führte und das im "Tagesspiegel" sowie gestern bei "Zeit-Online" erschien.
Kommentar: Von der Warte des Philosophen aus beschaut, sieht die Welt mitunter erstaunlich aus. Das Goethezitat im Titel ist mir zu Gebauer eingefallen, weil ich mich bei der Lektüre des Interviews an einen mit diesem Zitat (wenn auch leicht verfremdet) betitelten Kommentar von Rudolf Augstein vom August 1960 erinnerte. Er befaßte sich mit Karl Jaspers, der damals gerade aus philosophischer Sicht verkündet hatte, Deutschland solle auf die Wiedervereinigung verzichten.
Augstein hat Jaspers bissig kritisiert; so, wie das damals kaum einer konnte wie er:
... der Philosoph verlangt ja nicht in erster Linie, daß wir den Realitäten ins Auge sehen sollen, sondern er will, daß wir die Spaltung aus innerer, philosophischer Selbstbesinnung heraus anerkennen. So wahr es ist, daß die deutsche Spaltung die Konsequenz deutscher Untaten ist, so sehr diese Einsicht an den Himmel geschrieben zu werden verdient, so bodenlos wird eine Philosophie, wenn sie es unternimmt, praktische Politik auf die Mißweisung von Schuld und Sühne, auf den "Sinn der Geschichte" abzulenken. Solche philosophische Selbstbesinnung überlasse man dem Dorfpastor.Philosophisches Gebrabbel und Geraune ist eben noch keine politische Analyse. Philosophen stellen gern überraschende Zusammenhänge her. Etwas aus neuer Perspektive zu sehen, das ist Teil ihres Metiers. Aber nicht jede Perspektive, die neu ist, liefert auch schon Erkenntnis. Nicht jeder Zusammenhang, den einer wahrzunehmen vermeint, ist auch da.
Man kann alles irgendwie mit allem verbinden. Der Leser, der Zuhörer staunt dann. Gelernt hat er nichts. Der Franzose Pierre Bourdieu, zu dem Gunter Gebauer in Koautorschaft ein Buch verfaßt hat, ist ein Beispiel; ein phantasiereicher Denker, der von Assoziation zu Assoziation hüpft wie das Eichhörnchen von Baum zu Baum. So assoziiert Gebauer Özil mit Sarrazin, die WM 1998 mit Le Pen; und dann auch noch Özil und Sarrazin mit der WM und Le Pen. Halt so 'ne Idee, und noch eine und noch eine.
Gefragt worden war der Philosoph (er lehrt Philosophie an der Freien Universität Berlin und befaßt sich gern philosophierend mit Sport) von Teuffel, wie es denn mit Mesut Özil als einem "Beispiel für erfolgreiche Integration" stehe. Darauf bezieht sich sein "grandios zertrümmert": Özil habe "in der türkischen Community als ein Vorbild für gelungene Integration" gegolten - und dann, so des Philosophen schräge These, sei Sarrazin gekommen und habe zertrümmert.
Ja, was hat er denn zertrümmert, der Autor Thilo Sarrazin? Die Vorbildfunktion Özils? Seinen fußballerischen Erfolg? Die Integration von Menschen türkischer Abstammung in Deutschland? Der Philosoph auf seiner Warte läßt uns im Unklaren.
Und wendet sich seiner nächsten Assoziation zu, die nun nicht mehr nur schräg ist, sondern schon arg steil: Özil und Sarrazin - das sei wie die multikulturelle Equipe tricolore und Le Pen.
Offenbar steht die Warte, von der aus der Philosoph Gebauer die Welt beschaut, in der Nephelokokkygia; jenem Wolkenkuckucksheim des Aristophanes, von dem aus die Realität nur noch in wabernden Schemen zu erkennen ist. Özil schießt Traumtore in Südafrika - und hast du nicht gesehen hat Sarrazin ein paar Monate später seinen Bestseller. Die Franzosen werden 1998 mit einem multiethnischen Team Fußball-Weltmeister - und klar, schon hat Le Pen Erfolg als Kandidat um die Präsidentschaft.
Für denjenigen freilich, der nicht auf der Warte des Philosophen sitzt, war weder Sarrazins Bestseller eine Folge von Özils Toren, noch hat hat Sarrazins Buch Özils Ruhm und Ansehen gemindert; auch nicht die Integration von Türken in Deutschland behindert. Desgleichen besteht kein empirischer Zusammenhang zwischen der Fußball-WM 1998 in Frankreich und Jean-Marie Le Pens 16,86 Prozent im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen von 2002.
Ja, am 21. April 2002 war das; und nicht - wie der Philosoph glaubt - im Jahr 2000. Vier Jahre also lagen zwischen den beiden Ereignissen, die Gebauer gern zusammenrühren (und dann auch noch mit den Themen Özil und Sarrazin verrühren) möchte. Vier Jahre, nicht zwei.
Aber wer wird denn so kleinlich sein und auf so etwas achten, wenn es doch um philosophische Erkenntnis geht.
Zettel
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