19. Januar 2012

Marginalie: Aktion "Träume einfangen". Wie Barack Obama seine Sympathisanten analysieren läßt

Wenn Sie Kunde bei Amazon oder einem ähnlichen Unternehmen sind, dann kennen Sie das: Sie bekommen Angebote zugeschickt, die gemäß Ihrem bisherigen Kaufverhalten zusammengestellt sind.

Manchmal ist das intelligent, manchmal weniger. Ich habe zum Beispiel im kalten Winter 2010/2011 ein paar warme Winterstiefel gekauft; seither erhalte ich regelmäßig Angebote für Herrenstiefel. Offenbar vermutet das Programm in mir einen Stiefel-Fetischisten. Ich habe aber mit einem Paar Stiefel vorerst genug. Auch daß jemand, der, sagen wir, gerade ein Notebook gekauft hat, nun gleich wieder eines haben möchte, ist nicht so sehr wahrscheinlich.

Immerhin: In vielen Fällen ist dieses selektive Anbieten vernünftig. Ich bekomme Angebote für Bücher, die meist ziemlich nah an meinen Interessengebieten liegen; manches andere Interesse spiegelt sich in den Angeboten ebenfalls trefflich wider.



Wahlkämpfe haben heutzutage, zumal in den USA, viel Ähnlichkeit mit der Vermarktung von Produkten. Alle Kandidaten, die gern Präsident werden wollen, haben folglich in ihren Teams Spezialisten für Marketing. Vor allem Barack Obama hat bereits in seinem Wahlkampf 2008 das Direktmarketing weit entwickelt; das Ansprechen potentieller Wähler und Unterstützer durch Emails und Anrufe, die gezielt auf sie zugeschnitten waren - abhängig beispielsweise vom Alter oder von der Wohngegend.

Aber das, was sich jetzt abzeichnet, stellt das alles weit in den Schatten. Es ist nicht übertrieben, zu konstatieren: Das Obama-Team will den gläsernen Wähler, vor allem aber den gläsernen Unterstützer und potentiellen Wahlhelfer.

Darüber, wie man sich diesem Ziel zu nähern versucht, berichtete am vergangenen Freitag Sasha Issenberg im Internet-Magazin Slate. Das betreffende Projekt des Obama-Teams trägt den Codenamen Dreamcatcher, zu deutsch: Traum-Einfänger. Es wird nichts Geringeres versucht, als individuell für die einzelnen Zielpersonen per Computer ein Bild ihrer Wünsche und Träume zu erstellen, um sie auf dieser Grundlage für den Wahlkampf Barack Obamas gewinnen und optimal einsetzen zu können.

Der Leiter dieses Projekts - der Chef von rund einem Dutzend Programmentwicklern - ist Rayid Ghani, von Obama ausgestattet mit dem Rang eines Chief Scientist, eines Chefwissenschaftlers. Obama liebt es, schreibt Issenberg, seine Mitarbeiter mit solchen Titeln zu versehen, wie es sie auch im Wirtschaftsleben gibt.

In der Tat kommt Ghani aus der Wirtschaft. Bevor er zu Obamas Team stieß, arbeitete er - nicht weit von Obamas Zentrale in Chicago - für die Firma Accenture Technology Lab; auch dort schon als Chief Scientist und mit der Analyse des Entscheidungsverhaltens von Konsumenten beauftragt.

Er entwickelte zum Beispiel ein Programm, das abzuschätzen erlaubte, wer von den Kunden einer Versicherung, wenn er einen Versicherungsfall meldete, eine genauere Nachprüfung seiner Angaben benötigen würde. Für eine Supermarktkette schrieb er ein Programm mit individuellen Modellen für die "Einkaufszettel" der einzelnen Kunden. Damit konnte er beispielsweise vorhersagen, ob der Kunde John Doe auf ein Sonderangebot mit Hamstereinkäufen reagieren oder ob dieses ihn relativ unbeeindruckt lassen würde.



Bei Verbrauchern hat man als Daten, die in solche Modelle gefüttert werden, deren Einkaufsverhalten; festgehalten etwa über Kundenkarten. Wie bekommt man aber entsprechende Daten von potentiellen Unterstützern und Wahlhelfern? Man muß sie dazu bringen, möglichst detailliert über sich selbst Auskunft zu geben.

Dazu dient das Projekt Dreamcatcher. Um Träume einzufangen, muß man die Zielpersonen veranlassen, mitzuteilen, wovon sie träumen. Dazu wurden WebSites wie diese enwickelt, in der die Adressaten eingeladen werden, "ihre Geschichte" kundzutun:
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This campaign is built on the support and enthusiasm of people like you. Tell us why you want to be involved in this campaign. How has the work President Obama has done benefited you? Why are you once again standing for change?

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Dieser Wahlkampf ist auf der Unterstützung und dem Enthusiasmus von Menschen wie Sie aufgebaut. Erzählen Sie uns, warum Sie an diesem Wahlkampf mitwirken wollen. Wie haben Sie von dem profitiert, was Präsident Obama geleistet hat? Warum treten Sie auch jetzt wieder für den Change ein?
[die Veränderung, die Obama 2008 versprochen hatte; Zettel]

Teilen Sie uns Ihre Geschichte mit, und wenn Sie ein Foto oder ein Video haben, dann laden Sie es hoch.
Als Hilfe ist ein Muster für eine solche Story beigefügt:
"I support President Obama because in addition to being strong on defense, he is taking care of our returning veterans.

"The American Jobs Act and what it means for returning veterans should be exciting to everyone. While I was fortunate enough to find a job with a major airline before I left the USMC, many veterans, including many here in Pennsylvania, are not so lucky. Even though they are a well-trained and highly skilled group, returning veterans often face unique challenges in re-entering the workforce, and unemployment numbers for vets are high."

"Ich unterstütze Präsident Obama, weil er nicht nur Stärke bei der Verteidigung zeigt, sondern sich auch um unsere Kriegsheimkehrer kümmert.

Der American Jobs Act
[eine Gesetzesvorlage Obamas vom September 2011, die Ausgaben von weiteren 447 Milliarden Dollar zur Schaffung von Jobs vorsieht; Zettel] und seine Bedeutung für Kriegsheimkehrer dürfte für jedermann spannend sein. Ich selbst hatte zwar das Glück, schon vor meinem Abschied aus dem USMC [der Marineinfantrie; Zettel] eine Anstellung bei einer großen Luftfahrtgesellschaft zu finden, aber viele ehemalige Soldaten, auch viele hier in Pennsylvania, haben nicht so viel Glück. Obwohl Kriegsheimkehrer eine gut ausgebildete und fähige Gruppe darstellen, stehen sie oft bei der Wiedereingliederung in das Arbeitsleben vor besonderen Problemen, und die Arbeitslosigkeit ist unter ihnen hoch".
Auf welche Weise solche Angaben im einzelnen textanalytisch ausgewertet werden, ist top secret. Wie nukleare Geheimnisse hüte dies das Obama-Team, schrieb Julianna Goldman dazu im vergangenen Dezember. Es gehe um microlistening, kann man immerhin erfahren - Mikro-Lauschen; also das Hinhören auf einer sehr feinen Ebene. Beispielsweise wird ein Wähler, der Enttäuschung mit Obama erkennen läßt, auf eine andere Weise angesprochen werden als diejenigen, die mit ihm zufrieden sind.



So ähnlich versuchen das alle Kandidaten; aber die Leute Obamas rühmen sich, mit Dreamcatcher der Konkurrenz ein Stück voraus zu sein. Derart persönliche Information ist noch nie für Wahlkampfzwecke flächendeckend gesammelt worden. Jetzt geht es für Rayid Ghani und sein Team darum, so intelligente Programme zu schreiben, daß aus dem, was die ahnungslosen Adressaten von sich preisgeben, auch die richtigen Schlüsse in Bezug auf ihre individuelle Behandlung durch Obamas Wahlkämpfer gezogen werden.­
Zettel



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