2. Januar 2012

Zettels Meckerecke: "Anonymous", die Spanner aus dem Hinterhalt. Verlotterung der politischen Sitten. Die "Jagd auf Neonazis" und was dahintersteckt

Zu hart, diese Überschrift, finden Sie? Nein; es ist leider so. "Verlotterung der politischen Sitten" ist eigentlich noch zu milde formuliert. Es handelt sich um den Versuch, mit kriminellen Methoden Politik zu machen.

Eigentlich hatte ich gedacht, zu den Leuten, die das tun, das Erforderliche geschrieben zu haben; zu den Mitgliedern von Anonymous, die sich wie Spanner verstecken und tarnen, die aber die persönlichen Daten ihrer Mitbürger ohne Skrupel ausspähen und veröffentlichen (Zettels Meckerecke: Die Leute von Anonymous - ein Fall nur für die Polizei? Oder auch für den Psychologen? Über Rumpelstilzchen und Peeping Toms; ZR vom 27. 12. 2011). Aber jetzt ist doch noch eine Bemerkung zu ihnen angebracht.

Heute kann man Meldungen lesen wie diese in der "Frankfurter Rundschau":
Die Hacker-Gruppe Anonymus stellt Neonazis an den Pranger. Unter dem Motto "Operation Blitzkrieg" ging vor einigen Tagen das Internet-Portal "Nazi-Leaks" in Betrieb, auf dem sich unter anderem eine gehackte Liste von NPD-Spendern befindet. (...)

Ebenfalls an den Pranger gestellt werden Autoren der "Jungen Freiheit", einer bieder-deutschnationalen Zeitung, die auch Beiträge von Rechtsextremen veröffentlicht. Unter den genannten Autoren befindet sich Peter Scholl-Latour, der auch als Afghanistan-Experte bekannt ist und eine Zeit lang für das Magazin Stern arbeitete.
Die Überschrift dieses Artikels lautet "Anonymous jagt Neonazis im Netz". Daß Peter Scholl-Latour kein Neonazi ist, scheint dem Redakteur, der diese Meldung zu verantworten hat, nicht aufgefallen zu sein.

Tatsächlich handelt es sich bei dieser Liste, die man im Netz leicht auffinden kann, um eine Adressendatei, aus der keineswegs hervorgeht, ob es sich überhaupt ausschließlich um Autoren der "Jungen Freiheit" handelt; oder aber auch um Personen, die aus anderen Gründen in dieses Adressbuch aufgenommen wurden.

Es finden sich dort nicht nur angesehene Publizisten wie Peter Scholl-Latour, ein früherer bekannter Redakteur der "Welt", ein ehemaliger politischer Redakteur der FAZ und der ehemalige Herausgeber einer bürgerlichen Tageszeitung, sondern auch Politiker der demokratischen Parteien - beispielsweise der frühere stellvertretende Regierungschef eines Bundeslands (CDU), ein ehemaliger Staatssekretär der Bundesregierung (SPD) und ein Mitglied des Deutschen Bundestags (CSU), das diesem seit Jahrzehnten angehört; auch ein ehemaliger Landesminister (CSU) fehlt nicht.

Man findet die Namen zahlreicher sehr bekannter Wissenschaftler - Historiker, Politologen, Juristen. Keiner von ihnen hat auch nur indirekt etwas mit dem Rechtsextremismus zu tun; so wenig, wie die Politiker und Publizisten auf der Liste. Wie absurd es ist, diese Namen mit einer "Jagd auf Neonazis" in Zusammenhang zu bringen, erhellt auch aus dem Namen, der als letzter verzeichnet ist: Frederick Forsyth.

Hingegen habe ich auch nach mehrmaliger Durchsicht in dieser Liste keinen einzigen Namen eines mir bekannten NPD-Funktionärs oder sonst eines Neonazis finden können.



Schon allein die Veröffentlichung dieser Namen von unbescholtenen, demokratisch gesonnenen Bürgern im Zusammenhang mit einem vorgeblichen Kampf gegen Neonazis ist eine Dreistigkeit. Aber das ist ja nicht alles: Die Namen werden mit allen Angaben publiziert - Adresse, Email, der Telefonnummer oder mehreren Telefonnummern. Oft ist neben der privaten Nummer und/oder Mailadresse auch die dienstliche oder geschäftliche angegeben.

Unter den Geschädigten sind zahlreiche Juristen; darunter ein sehr bekannter und streitbarer Juraprofessor und ein Bundestagsabgeordneter, der auch Sozius einer Rechtsanwaltskanzlei ist. Man kann nur hoffen, daß diese Betroffenen - aber auch jeder andere - den Weg der Strafanzeige gegen die Täter gehen und, nachdem diese hoffentlich gefaßt und verurteilt sind, Schadensersatzklage gegen sie erheben.

Denn das ist vermutlich der einzige Weg, dieser Pest Herr zu werden. Die Täter müssen aus ihrer Anonymität geholt werden. Sie müssen sich der Verantwortung für das, was sie anrichten, stellen. Solange sie aus der Anonymität heraus massivste Verletzungen des Datenschutzes ungestraft begehen können, wird dieses Unwesen sich, so ist zu befürchten, weiter ausbreiten.
Zettel



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