18. Januar 2012

Zettels Meckerecke: "Döner-Morde". Der Unfug des Unworts. Und Prantl hebt den Zeigefinger, sich mit der anderen Hand an die Brust klopfend

Das "Unwort des Jahres 2011", so ging es gestern durch die Presse, ist "Döner-Morde". Wer denkt sich so etwas aus? Und warum? Und was ist das überhaupt, ein "Unwort"?

Ein Unfug ist etwas, das sich nicht fügt. Ein Unmensch ist einer, der kein Mensch mehr ist. Was also ist ein "Unwort"? Ein Wort, das eigentlich gar keines ist? Ein Wort, das man nicht verwenden kann, das sich nicht aussprechen läßt?

Nein, bekanntlich meinen diejenigen, die diese sprachliche Mißgeburt "Unwort" erdacht haben, etwas anderes: Ein Wort, das ihnen nicht gefällt. Ein Wort, an dessen Bedeutung, an dessen Verwendung sie gern, den Zeigefinger hochgereckt, öffentlich Kritik üben möchten.

Wer ist das, der da alljährlich den Zeigefinger in die Höhe hält?

Lange war die Meinung einigermaßen weit verbreitet, daß diejenigen, die dieses Unwort verkünden, zur Gesellschaft für deutsche Sprache gehören oder von dieser in eine Jury berufen werden. Auch die Wikipedia vermittelt diesen Eindruck. Ich bin diesem Irrtum auch einmal erlegen, als ich für 2009 einen ironischen Vorschlag gemacht habe (Mein Unwort des Jahres ist "Gier"; ZR vom 17. 12. 2009). Wer oder was aber legitimiert diese Jury wirklich? Die Antwort ist simpel: Gar nichts. Niemand.

Mit der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) hat diese Jury heute nichts mehr zu tun (in den Anfangsjahren gab es einmal eine Verbindung). Die Duden-Redaktion gibt zwar das "Unwort des Jahres" bekannt, hat aber die Jury ebenfalls nicht berufen. Vielmehr handelt es sich um eine seit 1994 private Gruppe, die sich den Namen Sprachkritische Aktion: UNWORT DES JAHRES gegeben hat.

Diese Gruppe - das sind gegenwärtig Nina Janich (Sprecherin, Darmstadt), Stephan Hebel (Frankfurt), Kersten Sven Roth (Zürich), Jürgen Schiewe (Greifswald) und Martin Wengeler (Universität Trier). Kooptiert war in diesem Jahr Heiner Geißler als nichtständiges Mitglied. Janich, Rot, Schiew und Wengeler sind Germanisten; Hebel ist Redakteur der "Frankfurter Rundschau".



Schaut man sich die Liste der "Unwörter des Jahres" seit 1991 an, dann konkretisiert sich, was es mit dem "Un-" auf sich hat: Es handelt sich um Wörter aus der Berichterstattung der Medien, aus der öffentlichen Diskussion, die aus linker Sicht politisch mißliebig sind. Ich habe das vor zwei Jahren im einzelnen erläutert (Das "Unwort des Jahres" - politische Agitation unter dem Deckmantel der Sprachkritik; ZR vom 18. 1. 2010).

Beispiele sind "Humankapital" (2004), "Herdprämie" (2007) und "notleidende Banken" (2008). Begriffe, an denen nichts zu beanstanden ist, außer daß sie der Linken ein Dorn im Auge sind.

"Humankapital" (human capital) beispielsweise ist ein Fachbegriff aus der Ökonomie, der in seinem Ursprung bedeutungsgleich mit "Produktionsfaktor Arbeit" ist; beschrieben schon von Adam Smith, als Fachterminus geläufig seit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Aber allein das edle "human" mit dem bösen Wort "Kapital" zu verbinden erregte offenbar die Abscheu der Jury.

Notleidend waren viele Banken im Jahr 2008 bekanntlich in der Tat; viele wären zusammengebrochen, wenn sie keine Hilfe erhalten hätten. Was ist daran zu beanstanden, wenn man das so nennt? "Herdprämie" ist eine ironisierende Bezeichnung, wie es sie gerade im sozialen Bereich zu Dutzenden gibt; von "Blaumachen" über "Stempelgeld" bis zum "Abkindern" in der DDR. Alles Unwörter?



Nun also "Döner-Morde". Die Jury begründet diese Wahl folgendermaßen:
Mit Döner-Morde wurden von Polizei und Medien die von einer neonazistischen Terrorgruppe verübten Morde an zehn Menschen bezeichnet. Der Ausdruck steht prototypisch dafür, dass die politische Dimension der Mordserie jahrelang verkannt oder willentlich ignoriert wurde: Die Unterstellung, die Motive der Morde seien im kriminellen Milieu von Schutzgeld- und/oder Drogengeschäften zu suchen, wurde mit dieser Bezeichnung gestützt. Damit hat Döner-Mord(e) über Jahre hinweg die Wahrnehmung vieler Menschen und gesellschaftlicher Institutionen in verhängnisvoller Weise beeinflusst. Im Jahre 2011 ist der rassistische Tenor des Ausdrucks in vollem Umfang deutlich geworden: Mit der sachlich unangemessenen, folkloristisch-stereotypen Etikettierung einer rechtsterroristischen Mordserie werden ganze Bevölkerungsgruppen ausgegrenzt und die Opfer selbst in höchstem Maße diskriminiert, indem sie aufgrund ihrer Herkunft auf ein Imbissgericht reduziert werden.
Eine Bevölkerungsgruppe, auf ein Imbißgericht reduziert! Ja, das wäre freilich abscheulich. Wenn es denn stimmen täte.

Der Sachverhalt ist in Wahrheit einfach und trivial: Wenn es irgendwo eine Mordserie gibt, dann suchen die Medien nach einer griffigen Bezeichnung. Sie wird meist aus dem Umfeld der Morde, aus irgendeiner Auffälligkeit abgeleitet. Mitte der sechziger Jahre suchte man beispielsweise den "Kirmesmörder"; Jürgen Bartsch hatte seine Opfer auf Veranstaltungen dieser Art angesprochen. Etwa gleichzeitig geschahen in England die "Moormorde". In Florenz wurde nach einem "Pärchenmörder" gefahndet, weil die Opfer stets Liebespaare waren. Vor zwanzig Jahren suchte man nach dem "Heidemörder". In Kriminalfilmen gibt es einen "Halstuchmörder" und einen "Segelbootmord", beispielsweise.

Und nach diesem Muster suchte man eben auch eine geeignete Bezeichnung für eine Serie von Morden, denen ab 2000 überwiegend türkischstämmige Inhaber von Dönerbuden und ähnlichen kleinen Gewerbebetrieben zum Opfer fielen.

Man hat dabei so wenig - welch eine lächerliche Vorstellung! - die Opfer oder ihre Gruppe "auf ein Imbißgericht reduziert", wie man die Opfer von Jürgen Bartsch darauf "reduziert" hat, daß sie Kirmesbesucher waren. Man hat ein Etikett benutzt, das sich anbot. Der Döner ist ja nichts, dessen Erwähnung herabsetzend wäre. Wären Autohändler einer gehobenen Marke ermordet worden, dann hätte man vielleicht von den "Daimler-Morden" geschrieben; durchaus, ohne die Opfer damit "auf eine Automarke zu reduzieren".

Ansonsten hatte bekanntlich bis zur Aufdeckung der NSU-Zelle niemand die Vermutung, daß hinter den Morden eine terroristische rechtsextreme Gruppe stecken könnte; auch die Mitglieder der Jury werden das wohl kaum gemutmaßt haben. Daß die Mörder "im kriminellen Milieu von Schutzgeld- und/oder Drogengeschäften zu suchen" seien, war deshalb keine "Unterstellung", sondern die plausibelste kriminalistische Vermutung, da andere Motive nicht erkennbar waren. Nicht im familiären Bereich, nicht beruflich. Noch im August 2011 hat der "Spiegel" darüber berichtet, wie die Kripo in diese Richtung ermittelte.

Es kommt in der Kriminalistik nun einmal vor, daß sich ein Verdacht nicht erhärtet und daß sich Täter dort finden, wohin keine Spur verwiesen hatte. Daß die Kripo oder sonstwer, wie die Jury es insinuiert, Spuren zu den wahren Tätern "willentlich ignoriert" hätte, ist eine ungeheuerliche Unterstellung.

Gänzlich abwegig ist die Behauptung eines "rassistischen Tenors" der Bezeichnung "Döner-Morde". Was in aller Welt ist denn rassistisch daran, wenn man Mordopfer nach dem Beruf bezeichnet, den sie hatten? Wer das rassistisch nennt, der verharmlost den wahren Rassismus, und zwar auf eine unverantwortliche Weise.

Wenn bei einer solchen Mordserie der oder die Täter gefaßt sind, dann wird die Bezeichnung, die man ihr gegeben hat, oft hinfällig. Als Bartsch verhaftet worden war und gestanden hatte, sprach man kaum noch von "Kirmesmorden". Es waren jetzt eben die Morde des Jürgen Bartsch. Ebenso ist die Bezeichnung "Döner-Morde" jetzt obsolet. Die Wikipedia hat dem Rechnung getragen, indem sie den einschlägigen Artikel in "Nazi-Mordserie" umbenannt hat; die URL zeigt noch seinen ursprünglichen Titel.



Offenbar war - folgt man den krausen Gedanken der Juroren - auch die Wikipedia rassistisch gewesen. Offenbar wimmelt es in unserem Land von unerkannten Rassisten, und wir bedürfen der wackeren Germanisten-Jury, um uns darauf zu stoßen.

Nicht nur der "Spiegel" hat sich noch vor einem halben Jahr demnach des Rassismus schuldig gemacht, sondern gar auch die "Süddeutsche Zeitung", die ohne jede Distanzierung über den "Spiegel"-Artikel berichtete und natürlich, wie alle Medien, auch den - wir wir jetzt lernen - rassistischen Begriff der "Döner-Morde" benutzte. Immerhin übt deren Leitender Redakteur Heribert Prantl jetzt zerknirscht Selbstkritik:
"Döner-Morde": Dieses Wort war viele Jahre lang, ohne dass es als Unwort gerügt wurde, die vermeintlich griffige Kurzbezeichnung für Verbrechen an türkischstämmigen Menschen in Deutschland. Es ist ein Wort, in dem sich Geringschätzung und Abgrenzung spiegelt, weil es davon ausgeht, dass Ausländer von Ausländern umgebracht werden. In diesem Wort wird alltäglicher Rassismus greifbar. Aber begriffen hat man das erst dann, als die Neonazis als die Mörder entlarvt waren.

Wörter sind Bewusstseins-Indikatoren. Das Döner-Wort war und ist ein Ausdruck für gestörtes Bewusstsein. Die Störung verschwindet nicht einfach dann, wenn ein einzelnes Wort zum Unwort erklärt wird. Ein Bewusstsein, das davon ausgeht, dass "die nicht zu uns gehören" zeigt sich auch in Besteller-Büchern wie dem von Thilo Sarrazin.
Ja, gewiß, Thilo Sarrazin darf bei diesem Gerede nicht fehlen.

Spiegelte sich nicht vielleicht vor einem halben Jahrhundert auch in der Bezeichnung "Kirmesmorde" Geringschätzung und Abgrenzung gegen Menschen wider, die ihre Kinder auf die Kirmes gehen lassen? Ende der achtziger Jahre in dem Wort "Heidemorde" eine Geringschätzung und Abgrenzung gegen die Heidjer? Das Bewußtsein, daß "die nicht zu uns gehören"?

Man kann ja nicht hellhörig genug sein; in dieser Gesellschaft der Tugendwächter, der Sprachsäuberer; des mal tropfenden, manchmal auch triefenden Moralins.­
Zettel



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