15. Januar 2012

Zitat des Tages: "Verblendet". Der solare Gau. Nebst einer Erinnerung an den 30. Juni 2011

Seit Wochen haben die 1,1 Millionen deutschen Photovoltaikanlagen so gut wie keinen Strom mehr erzeugt. (...) Damit die Lichter nicht ausgehen, muss Deutschland zur Zeit große Mengen Atomstrom aus Frankreich und Tschechien importieren. Der Stromnetzbetreiber Tennet griff bereits auf eine Notreserve zurück: Ein betagtes Ölkraftwerk im österreichischen Graz wurde hochgefahren, um den Ausfall der Sonnenkraft zu kompensieren.
Der "Spiegel" in seiner aktuellen Ausgabe (3/2012 vom 16. Januar 2012) über die gegenwärtige Lage der Stromversorgung in Deutschland. Überschrift des Artikels von Alexander Neubacher: "Verblendet".

Kommentar: Ja, verblendet ist eine Energiepolitik, die zu solchen Zuständen geführt hat.

Daß die Photovoltaik eine energiepolitische Sackgasse ist - ebenso überteuert wie unzuverlässig -, war immer klar. Sie wurde und wird mit Milliardenbeträgen (bereits jetzt laut "Spiegel" mehr als 100 Milliarden, die ausgegeben oder zugesichert sind) allein deshalb gepäppelt, weil es so romantisch ist, sich auszumalen, wie eine lachende und gütige Mutter Sonne uns direkt ihre Energie spendet, die unausschöpfliche; siehe das Logo der "Grünen".

Sie ist aber, wie man jetzt sieht, sehr ausschöpflich, die Energie vom mit Solarpaneelen gepflasterten Dach und aus unseren "Solarparks". Denn entgegen dem alten Schlagertext "Die Sonne scheint bei Tag und Nacht" fließt sie mal, und mal fließt sie nicht. Was im übrigen bekanntlich auch für die Windenergie gilt. Wir hatten in den vergangenen Wochen Glück, daß wenigstens der Wind kräftig blies. Eine Großwetterlage mit geringer Sonneneinstrahlung und zugleich geringer Luftbewegung wäre noch katastrophaler gewesen.

Die deutsche "Energiewende" hat dazu geführt, daß der Strom, den wir verbrauchen, in diesen Tagen unter anderem aus dem maroden tschechischen AKW Temelin kommt; auch (wie wir jetzt dem "Spiegel" entnehmen können) aus einem bereits eingemotteten Ölkraftwerk in Graz - vermutlich auch dieses nicht sehr umweltfreundlich. Eine Ironie der Geschichte macht die Aussteigernation jetzt zum großen Förderer gefährlicher und umweltschädlicher Formen der Stromerzeugung.

Derweilen bleiben, weil wir es in unserem Zustand kollektiver Besoffenheit im Frühjahr 2011 so beschlossen haben, die sicheren, kostenkünstigen und umweltfreundlichen deutschen AKWs Unterweser, Biblis A, Biblis B, Philippsburg, Neckarwestheim und Isar geschlossen. Sie hatten im Jahr 2010 zusammen 42.111 Gigawattstunden zur deutschen Stromversorgung beigetragen, die jetzt fehlen.



Wir erleben in diesen Tagen den solaren Gau; das Zusammenbrechen eines Konzepts, das Milliarden über Milliarden von unseren Steuergeldern frißt und weiter fressen wird. Immer deutlicher wird aber auch der Gau in den Köpfen, der im Frühjahr den "Ausstieg" verursachte.

Kaum einer aus der Politik kann sagen, er sei nicht dabeigewesen. Selbst die FDP versuchte sich damals an die Spitze der Bewegung zu setzen. In der namentlichen Abstimmung im Bundestag über den Entwurf eines Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes (Drucksachen 17/6070 und 17/6361) stimmten 513 der abstimmenden 600 Abgeordneten für das Gesetz; die Gegenstimmen und Enthaltungen kamen überwiegend von Abgeordneten, denen der vorgesehene "Ausstieg" nicht schnell genug ging und nicht radikal genug war.

In der Fraktion der CDU/CSU gab es 5 Neinstimmen und 2 Enthaltungen. Von den Abgeordneten der FDP stimmten zwei (Frank Schäffler und Dr. Rainer Stinner) mit nein; keine Enthaltungen. Bei der SPD gab es 2 Neinstimmen; keine Enthaltung. Die Fraktion "Die Linke" stimmte in sozialisticher Disziplin geschlossen mit "nein". Natürlich nicht, weil sie gegen den Ausstieg war, sondern weil ihr das Gesetz nicht weit genug ging.

Bei den "Grünen" stimmte niemand mit nein; aber es gab 6 Enthaltungen; auch diese, weil man ein radikaleres Gesetz wollte (Hans-Christian Ströbele: "... das Risiko der Nutzung der Kernenergie für die Menschheit ist viel, viel näher, als befürchtet. Danach kann ich doch nicht ohne Not einfach weiter dem alten rot/grünen Kompromiß zustimmen. Nach Fukushima muß alles neu gedacht werden").

Ja, es wurde neu gedacht, in dieser gespenstischen Stimmung im Deutschland des Frühjahrs und Frühsommers 2011. Unser Land lief mit seinem Neudenk nachgerade zur Höchstform auf; die alte deutsche Eigenschaft, alles besser zu wissen als der Rest der Welt und sich der Welt als Vorbild zu präsentieren, war wieder aufs Schönste zu besichtigen. Am deutschen Wesen sollte wieder einmal die Welt genesen (siehe Zitat des Tages: Deutschland im Jahr 2011 - ein durch einen gemeinsamen Willen zur historischen Aufgabe beseeltes Volk; ZR vom 30. 6. 2011).

Jetzt bekommen wir die Folgen dessen zu spüren, was der tiefgrüne CDU-Minister Norbert Röttgen damals so beschrieb:
Es ist ein nationales Gemeinschaftsprojekt, das heute beschlossen wird. Das ist ein sehr guter Tag für Deutschland, für unser Land. (...) Die Deutschen, unser Land, wollen dabei mitmachen. Es ist wirklich ein Gemeinschaftsprojekt, nicht nur der Politik, sondern des gesamten Landes. (...) Es sind die Bürgerinnen und Bürger, die dieses Projekt der Energiewende wollen, die mitmachen wollen und werden.(...)

Ich bin davon überzeugt, dass die Menschen in diesem Lande bei diesem Projekt der Energiewende und der neuen Energiepolitik voll dabei sind. Es ist zuallererst ein Bürgerprojekt, das heute in Gang gesetzt wird. Denn genau das ist der Punkt: dass mit dem heutigen Tag die Gesellschaft an den Start geht. Damit sind alle Streitigkeiten und Auseinandersetzungen in den Grundfragen beigelegt. (...)

Bekennen Sie sich dazu, dass Sie mitmachen! Es ist richtig, dass Sie mitmachen, weil es zu dem Konsens dazugehört. Sie müssen und dürfen auch dazu stehen.
Das war die Volksgemeinschafts-Rhetorik dieser Tage; und Röttgen hatte ja Recht. Jetzt müssen wir auslöffeln, was wir uns damals eingebrockt haben.­
Zettel



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