5. Januar 2012

Marginalie: Der Ungeschickte. Ist Wulff ein zweiter Lübke? Schlimmer

Am 19. Dezember - die "Affäre" war eine knappe Woche alt - habe ich mich mit den Gemeinsamkeiten zwischen den Bundespräsidenten Wulff und Lübke befaßt.

Beide Aufsteiger aus einfachsten Verhältnissen, beide vaterlos aufgewachsen und mit Fleiß und Strebsamkeit ganz nach oben gelangt. Beide eher linkisch wirkend, schon bevor sie Präsident wurden, aber mit dem Image des redlichen, ungewöhnlich anständigen Politikers.

Und vor allem: Beide überfordert vom Amt des Präsidenten, das sie nie angestrebt hatten, sondern in das sie hineinbefördert worden waren. Am Ende der eine wie der andere Opfer einer Medienkampagne (Ist Christian Wulff ein zweiter Heinrich Lübke? Respektlosigkeit im Umgang mit dem Bundespräsidenten und Krisen der Bundesrepublik Deutschland; ZR vom 19. 12. 2011).

An dieser Charakterisierung habe ich nichts zu ändern. Es ist ihr aber jetzt ein Nachtrag hinzuzufügen.



In den zweieinhalb Wochen, die seither vergangen sind, hat Wulff so etwas wie Krisenmanagement versucht. Er hat das ungeschickt angestellt, nachgerade unfaßbar ungeschickt; jetzt auch noch würdelos. Und da endet die Gemeinsamkeit mit Bundespräsident Heinrich Lübke.

Gegen diesen lief während seiner zweiten Amtszeit ab 1964 - die politische Unruhe der Zeit um 1968 begann sich anzukündigen - eine doppelte Kampagne: Mit (wie man heute weiß) zum Teil gefälschtem Material des MfS sollte er als "KZ-Baumeister" angeschwärzt werden. Mit Hilfe ebenfalls von Fälschungen, die - so berichtet es jedenfalls Hermann L. Gremliza - auf den "Spiegel", vor allem dessen Bonner Korrespondenten Ernst Goyke, zurückgingen, sollte er als eine des Englischen nicht mächtigen Witzfigur dargestellt werden. (Es wurde ihm "Lübke-Englisch" zugeschrieben, wie das von Goyke frei erfundene "Equal goes it lose").

Heinrich Lübke hat das stoisch ertragen. "Gelassen" habe er auf Vorwürfe wegen seines Verhaltens in der Nazizeit reagiert, berichtete beispielsweise der "Spiegel" am 1. Dezember 1965. Als es ihm zuviel wurde, trat er - auch das unspektakulär - Mitte 1969 zurück; ein Vierteljahr vor dem Ende seiner Amtszeit.

Dieses Verhalten hatte Würde; Lübke zeigte die Würde, die man ihm und dem Amt gerade durch die damaligen Kampagnen zu nehmen versuchte. Christian Wulff läßt Würde vermissen. Vor allem aber benimmt er sich derart ungeschickt, daß aus dem, was anfangs überzogene Anwürfe gewesen waren - eine herbeigeschriebene Affäre, die keine war - jetzt ein wirklicher Skandal geworden ist.

Würdelos war Wulffs gestriger Auftritt als zerknirschter, Absolution heischender Sünder und zugleich armes Opfer der Medien (siehe Wulffs Interview. Welch ein Jammerschauspiel; ZR vom 4. 1. 2012). Ungeschickt waren die Umstände dieses Interviews; so wie Wulffs Verhalten zuvor ein Ungeschick erkennen ließ, das man kaum nachvollziehen kann.

Da war er also von "Bild" mit Fragen zu seinem Hauskredit konfrontiert worden und wußte somit, daß man einen Artikel vorbereitete. Daß er versuchte, darauf Einfluß zu nehmen, mag man noch verstehen. Jedenfalls tun das Politiker schon einmal in solchen Situationen. Aber wie hat er das getan?

Er hat angerufen, bei Kai Dieckmann, dem Chefredakteur von "Bild". Solche Gespräche werden üblicherweise über die jeweiligen Vorzimmer vermittelt; aus dem simplen Grund, daß Leute wie Wulff und Diekmann ja nicht ständig erreichbar sind, sondern meist in Sitzungen, bei öffentlichen Auftritten und dergleichen.

Wenn nun Wulff aber schon den ungewöhnlichen Schritt getan hat, Diekmann direkt anzurufen, und er erreichte ihn nicht - was tut man in einer solchen Situation? Man spricht beispielsweise auf den Anrufbeantworter: "Ich muß Sie in einer Angelegenheit sprechen, die keinen Aufschub duldet. Bitte rufen Sie mich dringend zurück, sobald Sie es einrichten können". Etwas von dieser Art.

Aber man klagt doch nicht dem Anrufbeantworter sein Leid! Was schon deswegen albern ist, weil es ja um die Reaktion des anderen geht, die man ohnehin erst bei dessen Rückruf erfahren kann. Und man sorgt doch bei einem derart heiklen, strengste Vertraulichkeit verlangenden Wunsch nicht selbst dafür, daß er auf Tonträger konserviert wird; zur gefälligen späteren Bedienung durch wen immer.

Das war die erste unglaubliche Ungeschicklichkeit Wulffs. Dann dies: Offenbar hat er versucht, nicht nur Diekmann, sondern auch den Chef des Springer-Konzerns Döpfner und gar Friede Springer einzuschalten, die mächtige Dame im Hintergrund des Konzerns.

Das Ansinnen, aus Management und Aufsichtsrat heraus Einfluß auf die redaktionellen Entscheidungen bei "Bild" zu nehmen, war - wenn die entsprechenden Berichte zutreffen - nicht nur eine Mißachtung der Pressefreiheit, sondern es war eben auch wieder eine unfaßbare Ungeschicklichkeit. Denn wie konnte er glauben, daß das funktionieren würde; daß Döpfner und gar Frau Springer auf Wulffs Wunsch hin die "Bild"-Redaktion an die Leine nehmen würden? Und wie konnte er so naiv sein, zu meinen, es käme nicht heraus? In Hamburg und Berlin kommt alles heraus; schon wegen des edlen Wettstreits zwischen den Hamburger und den in Berlin stationierten Journalisten.



Und nun gestern der Gipfel des Ungeschicks.

Als sei er nicht auf dem Weg, es mit den Medien zu verderben, bereits nah ans Ziel gekommen, veranstaltete Wulff seinen gestrigen Auftritt so, daß er den berechtigten Zorn aller Medien auf sich ziehen mußte; mit Ausnahme der beiden von ihm begünstigten - ARD und ZDF.

In FAZ.NET beschreiben Stephan Löwenstein und Michael Hanfeld, wie das gestern ablief und wie die anderen Medien reagierten:

Alle wollten natürlich gern eine Stellungnahme von Wulff haben. Der Präsident aber, ganz Serenissimus, ging nicht etwa vor die Bundespressekonferenz, wo ihn alle Journalisten hätten befragen können. Sondern er suchte sich zwei Sender aus, die ARD und das ZDF. Allein deren Berliner Bürochefs durften ihn interviewen, Ulrich Deppendorf und Bettina Schausten.

Als man merkte, wie das von denen aufgenommen werden würde, die auf diese Weise an den Katzentisch gesetzt worden waren, versuchte man nachzubessern. Nun kamen unversehens, so FAZ.NET, die Mitglieder der Bundespresse-konferenz in den Genuß,
das exklusive Interview des Bundespräsidenten vorab zu betrachten, am Mittwoch Abend um sechs, zweieinviertel Stunden ehe es dann auf den regulären Kanälen von ARD und ZDF ausgestrahlt werden sollte. Das war das Zugeständnis der beiden öffentlich-rechtlichen Sender an die Kollegen von den anderen Medien, die sich gefragt haben, auf welche Weise sie wohl Antworten von Christian Wulff über sein Verständnis von der Pressefreiheit und von seinem Amt des Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland erhalten könnten.
Etwas magere Kost für Diejenigen am Katzentisch, und die Reaktionen waren denn auch gepfeffert:
Die Privatsender Pro Sieben Sat.1, RTL, n-tv und N 24 reichten stante pede eine Protestnote beim Bundespräsidialamt ein, weil sie nicht berücksichtigt wurden. "Die Grundlagen des dualen Fernsehsystems verpflichten auch private Rundfunkstationen zu einer umfassenden politischen Berichterstattung. Diesem Informationsauftrag können wir durch Ihre heutige Entscheidung nicht gerecht werden", heißt es in dem Schreiben.
In der Tat.

Daß Deppendorf und Schausten mit unbequemen Fragen gespart hätten, wird man nicht sagen können (wenn auch die unbequemste nicht gestellt wurde - wie eigentlich die Anrufe bei Döpfner und Friede Springer mit Wulffs Verständnis von Pressefreiheit vereinbar gewesen waren). Aber Wulffs Entscheidung, sich à la Nicolas Sarkozy von handverlesenen Journalisten interviewen zu lassen, mußte doch von denen, die nicht zum Zuge kommen durften, als ein massiver Affront gewertet werden. Von den TV-Sendern, die sich zu Recht beschwert haben; auch von den Printmedien, deren Berliner Journalisten ja Wulff vermutlich auch gern die eine oder andere Frage gestellt hätten.



Was nun? Die Situation ist verfahren.

Die Kanzlerin, die Christian Wulff in dieses Amt gehievt hat, sucht ihn nun darin festzuhalten; verständlich angesichts der unsicheren Mehrheitsverhältnisse in einer eventuellen Bundesversammlung (siehe Was eigentlich ist Bundespräsident Wulff vorzuwerfen? Und wie wären die Mehrheitsverhältnisse in der Bundesversammlung, falls er zurücktritt?; ZR vom 17. 12. 2011).

Wulff scheint dem folgen zu wollen. Aber wie stellt er sich denn die Jahre bis 2015 vor, wenn er im Amt bleibt? Ein Staatsoberhaupt, nackt wie der Kaiser ohne Kleider. Ein Mann, der Schmunzeln, wenn nicht Häme auslöst, wenn er künftig von Anstand und Moral, von Freiheit und den Grundrechten sprechen wird. Einer, der bei internationalen Gelegenheiten zwischen Obama und Putin, zwischen Giorgio Napolitano und Václav Klaus herumstehen wird wie das arme Sünderlein. Das wäre doch absurd; es wäre erbärmlich für Wulff und auch für unser Land.

Nein, er ist - affärenbezogen - kein zweiter Heinrich Lübke. Diesem wurde von Fälschern übel mitgespielt, und er hat Würde gezeigt. Wulff hat sich selbst durch seine Ungeschicklichkeiten in die Bredouille geritten. Würde zeigt er bisher nicht.
Zettel



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