5. Januar 2012

Kurioses, kurz kommentiert: "Spiegel-Online" und die zitternden Kandidaten Romney und Santorum. Phantasien eines Redakteurs. Nebst einem Nachtrag

Gleichstand bei Vorwahlen in Iowa - Romney und Santorum zittern um jede Stimme.
"Spiegel-Online" heute Vormittag über die Caucuses in Iowa. Inzwischen ist diese Überschrift verschwunden, aber es gibt immer noch eine Fotostrecke, die auf der Startseite mit "Zitterduell Iowa" angekündigt wird.

Kommentar: Die Vorstellung von den "zitternden" Kandidaten Romney und Santorum ist schon kurios und zeigt, wie wenig Ahnung der Redakteur, der sich das ausgedacht hat, von den Caucuses (nicht "Vorwahlen", das sind Primaries) in Iowa hat.

Erstens nämlich ging es primär nicht um die Stimmen der gerade einmal 28 Delegierten (von 2.286, die sich im August in Tampa, Florida versammeln werden), sondern um die Ausgangspositionen der Kandidaten für die kommenden Vorwahlen. Sowohl Romney als auch Santorum haben mit ihrem gestrigen Abschneiden eine ausgezeichnete Position erreicht. Sie haben zum Zittern ungefähr soviel Anlaß wie jemand, der gerade ein Einser-Abitur hingelegt hat (siehe Iowa hat gewählt; ZR vom 4. 1. 2012).

Zweitens spielte es für die Wahl dieser 28 Delegierten überhaupt keine Rolle, ob nun Romney oder Santorum ein paar Stimmen mehr hatte (am Ende waren es 8 Stimmen mehr für Romney). Es ist nämlich keineswegs so, daß die 28 Delegierten nun automatisch für den knappen Sieger stimmen werden.

Das Verfahren habe ich vorgestern erläutert (Iowa wählt; ZR vom 3. 1. 2012): Die jetzt gewählten Vertreter der Stimmbezirke (precincts) treffen in Versammlungen der Landkreise (counties) zusammen und wählen ihrerseits Delegierte für den republikanischen Wahlparteitag des Staats Iowa. Diese sind somit teils Anhänger Romneys und teils Santorums und - proportional zum gestrigen Ergebnis - der weniger erfolglreichen Kandidaten. Sie wiederum wählen die 28 Delegierten zur National Convention in Tampa.

Ob nun Santorum oder Romney mit ein paar Stimmen Vorsprung durchs Ziel ging, macht für die Zusammensetzung dieser Gruppe von 28 Delegierten aus dem Falkenaugen-Staat somit exakt den Unterschied null aus.

Und auch diese 28 sind nicht gebunden und können in Tampa frei über ihre Stimme verfügen. Sie sind, wie man sagt unpledged - nicht festgelegt. Von den 28 werden wahrscheinlich je 6 Sympathisanten von Romney, Santorum und Paul sein, 4 von Gingrich und 3 von Perry. Das wäre genauso gewesen, wenn das von "Spiegel-Online" herbeiphantasierte "Zitterduell" einen kleinen Vorsprung für Santorum ergeben hätte.

Aber um diese 28 Delegierten geht es, wie gesagt, ja gar nicht. Romney hat besser als erwartet abgeschnitten und kann sich freuen. Santorum hat einen glänzenden Überraschungserfolg errungen und kann jubeln.

Laut "Spiegel-Online" jedoch zitterten sie, Romney und Santorum.

Zittern sollte allerdings der Redakteur, der diesen Quark verzapft. Zittern vor seinem Chefredakteur. Der ihn für eine solche Stümperei feuern würde, wenn es ihm seinerseits auf journalistische Qualität ankäme.




Nachtrag: Zu dem komplizierten Wahlverfahren bei den republikanischen Caucuses in Iowa gibt es jetzt in der Internet-Zeitung Slate eine ausführliche Erläuterung von Brian Palmer, dem Explainer, der Leserfragen beantwortet; meist sehr präzise und detailliert.

Danach ist die oben genannte Verteilung der Delegierten, die ich dem ausgezeichneten amerikanischen Wahlblog The Green Papers entnommen hatte, nur eine von verschiedenen Schätzungen. Daß man schätzen muß und nicht genau berechnen kann, liegt daran, daß das Verfahren noch komplexer ist, als mir bisher bekannt gewesen war:

Die bei einem Caucus Anwesenden stimmen nämlich doppelt ab. Zunächst entscheiden sie sich für einen der Bewerber um die Präsidentschaftskandidatur. Dann erfolgt eine zweite Abstimmung, in der sie die Delegierten zu den erwähnten Versammlungen der Landkreise (counties) wählen. Diejenigen von den bei einem Caucus Anwesenden, die zu dieser zweiten Wahl antreten, um Delegierter zu werden, können sich als Anhänger eines der Bewerber um die Kandidatur zur Präsidentschaft zu erkennen geben, müssen das aber nicht.

Im allgemeinen wird die Zusammensetzung dieser Delegierten dem Ergebnis der Abstimmung zu den Kandidaten für die Präsidentschaft nahekommen; denn wer für, sagen wir, Romney gestimmt hat, der wird auch einen sich zu Romney bekennenden Delegierten wählen. Aber die Übereinstimmung muß nicht perfekt sein, weil eben nicht jeder, der Delegierter werden will, sich zu einem der Kandidaten bekennt.

Auch wenn er das getan hat, ist er nicht verpflichtet, in der Versammlung des Landkreises bei dieser Ankündigung zu bleiben; er ist eben - siehe oben - unpledged.

So kommt es, daß es neben der oben aufgeführten Berechnung, wer wieviele Delegiertenstimmen erhalten hat, auch andere gibt. CNN hat, abweichend von den Green Papers, die folgende Verteilung berechnet: Romney, Santorum und Paul je 7, Gingrich und Perry je 2. Zu einer wiederum anderen Verteilung gelangte Associated Press: Romney 13, Santorum 12, die anderen alle null.

Vielleicht ist Ihnen aufgefallen, daß dabei von 25 Delegierten für Iowa ausgegangen wird, während die Berechnung von The Green Papers auf 28 Delegierten für den Falkenaugen-Staat basierte. Des Rätsels Lösung ist, daß - entgegen dem, was ich oben geschrieben hatte - diese 25 Delegierten, die der republikanische Landesparteitag von Iowa wählt, doch gebunden (pledged) sind. Ungebunden (unpledged) sind nur die Delegierten, die zu den Versammlungen auf der Ebene der Landkreise entsandt werden. Zu den 25 gebundenen kommen 3 Delegierte, die in der Tat unpledged nach Tampa, Florida reisen; woraus sich dann die Zahl 28 ergibt.



Warum ich das so pingelig ergänze und präzisiere? Erstens, weil in ZR nichts Falsches unkorrigiert stehen soll. Zweitens aber auch, weil ich an diesem Beispiel noch einmal deutlich machen möchte, wie in Traditionen gewachsen, wie gewissermaßen individualistisch die Wahlverfahren in den USA sind - verschieden für die Parteien, verschieden für die Bundesstaaten. Voller eigenwilliger Bestimmungen, die aber peinlich genau beachtet und gepflegt werden.

Welch ein positiver Gegensatz zu den Bestrebungen in Europa, möglichst die Subsidiarität zu vergessen und alles über einen Kamm zu scheren.
Zettel



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Die Fassung ohne den Nachtrag wurde am 4. 1. 2012 um 14.06 Uhr publiziert.