Die beste mathematische Aufarbeitung von Umfragedaten, die exaktesten Vorhersagen von Wahlergebnissen in den USA findet man in Nate Silvers Blog FiveThirtyEight. Während gestern in Iowa die Caucuses im Gang waren, veröffentlichte er einen Artikel, der wieder einmal die Qualität seiner Arbeit zeigt.
Leider kam diese Analyse zu spät, als daß ich sie noch für meinen gestrigen Artikel mit Hintergrundinformationen zu diesen Caucuses hätte verwerten können. (Falls Sie diesen Artikel noch nicht gelesen haben, sollten Sie es vielleicht jetzt vor dem Weiterlesen tun; denn ich beziehe mich im folgenden auf die dortigen Informationen).
Silvers Artikel trägt den Titel "Why I'd bet on Santorum (and against my model)" - Warum ich auf Santorum wetten würde (und gegen mein Modell).
Nate Silver hat ein mathematisches Modell entwickelt, das es erlaubt, aus Umfragedaten Prognosen abzuleiten; dabei werden die Rohdaten unter Berücksichtigung zahlreicher Faktoren gewichtet.
Zu diesen Faktoren gehört das, was man im Slang der US-Politologie momentum nennt - der Schwung, den ein Kandidat bekommt, wenn erst einmal sein Aufstieg eingesetzt hat. Nichts ist so erfolgreich wie der Erfolg - diese alte Weisheit meint der Begriff momentum. Dem Aufsteigenden schließen sich viele an, so daß er weiter aufsteigt.
Wenn Sie sich die Animation ansehen, die ich in dem gestrigen Artikel kommentiert habe, dann können Sie anschaulich verfolgen, wie schnell ein solcher Aufstieg sich entwickeln kann. (Freilich auch der Absturz, der ausnahmslos die bisherigen Aufsteiger ereilt hat - Bachmann, Perry, Cain und als vorläufig letzten Newt Gingrich).
Gingrich war der letzte derer, der aufstiegen und wieder fielen. Der Aufsteiger der Stunde - ohne Fall - aber ist Rick Santorum.
Als ich gestern von der Möglichkeit schrieb, daß Santorum in Iowa nicht nur gut abschneidet, sondern sogar gewinnen könnte, wurde das durch die letzten Umfragedaten nicht gestützt, die ihn fast durchweg auf Platz drei sahen. Hätte ich Nate Silvers Artikel schon lesen können, dann hätte ich diese Möglichkeit mit mehr Zuversicht genannt.
Konventionelle Analysen der letzten Umfragedaten gaben Santorum nur um die 16 Prozent. Silvers mathematisches Modell lieferte hingegen eine Vorhersage von 19 Prozent für Santorum; denn es rechnete das momentum der letzten Tage mit ein.
Aber vielleicht zu wenig, argumentierte nun gestern Silver, sozusagen gegen sein eigenes Modell. Denn dieses Modell berechnet den Faktor momentum aus den Daten vergangenen Wahlen nationwide - also über alle Staaten der USA gemittelt. In Iowa aber könnte das momentum stärker sein, als es diesem Erfahrungswert entspricht, argumentierte Silver; und zwar aus drei Gründen:
In dem Augenblick, wo ich dies schreibe, sind 99 Prozent der Stimmen ausgezählt. Rick Santorum liegt bei 25 Prozent.
Ebenfalls außerordentlich gut vorhergesagt hat Silvers revidiertes Modell das Ergebnis von Ron Paul mit 21,4 Prozent. Er erreichte 21 Prozent. Lediglich bei Mitt Romney paßt das Modell nicht so perfekt. Silver gab ihm 19,1 Prozent. Nach dem jetzigen Stand der Auszählung liegt er aber mit 25 Prozent gleichauf mit Santorum; es trennen sie nur wenige Stimmen. Erst das Endergebnis wird entscheiden, wer von den beiden mit einer Nasenlänge Vorsprung durchs Ziel ging.
Wo kommen die zusätzlichen, von Silver nicht erwarteten Stimmen für Romney her? Vor allem offenbar von Jon Huntsman, dem Silvers Modell 4,3 Prozent gab. In der Auszählung liegt er aber nur bei gerade einem Prozent.
Indes, auch diese Abweichung paßt nicht schlecht in Silvers Analyse. Denn wenn - siehe den ersten der drei von Silver genannten Faktoren - Wähler aufgrund taktischer Überlegungen in letzter Minute zu einem aussichtsreichen Kandidaten wechseln, dann wird das jemand mit ähnlichen Ansichten wie die ihres ursprünglichen Favoriten sein. Und Romney ist der einzige Kandidat, der wie Huntsman kein ausgeprägt Konservativer ist.
Wie erging es den übrigen Kandidaten? Newt Gingrich, noch vor wenigen Wochen der shooting star, erreichte 13 Prozent (Silvers Prognose: 15,4). Rick Perry liegt abgeschlagen bei 10 Prozent (Silver: 8,7). Noch vernichtender fiel die Niederlage von Michele Bachmann aus; jener Kandidatin, die - siehe meinen gestrigen Artikel - noch vor einigen Monaten die große Favoritin in ihrem Geburtsstaat Iowa gewesen war. Sie schaffte gerade noch 6 Prozent (Silver: 6,7).
Wie werden die Kandidaten reagieren? Inzwischen haben alle ihre nächtlichen Statements vor ihren Anhängern abgegeben.
Michele Bachmann war tapfer; die Kommentatoren sind aber einhellig der Meinung, daß sie demnächst das Handtuch werfen wird. Perry wirkte wieder einmal zerfahren und auch deprimiert. Er kündigte an, jetzt in seinen Staat Texas zurückzufahren und über seine Strategie nachzudenken. Diese beiden dürften wohl demnächst aus dem Kreis der Kandidaten ausscheiden.
Ron Paul war bei seiner Rede sympathisch und überlegen-ironisch wie immer; ein sehr netter älterer Herr. Er wird weitermachen und seine Botschaft von einer freien Gesellschaft und einem isolationistischen Amerika verkünden. Präsident kann er nicht werden.
Gingrich hat angekündigt, weiterzumachen. Er sieht nach wie vor seine Chance darin, nicht so konservativ oder libertär zu sein wie Paul, Bachmann, Perry und Santorum, aber doch konservativer als Romney - also gerade der Richtige, um Wähler der Mitte gewinnen zu können, ohne die Konservativen zu verlieren. Daß ihm nach dem Niedergang der letzten Wochen noch einmal ein Aufschwung gelingt, sehen die Kommentatoren allerdings eher skeptisch. Aber der alte Politprofi Gingrich ist immer für eine Überraschung gut.
Das Rennen wird künftig also wahrscheinlich zwischen Romney, Santorum, Gingrich und Paul ausgetragen werden. Pauls Chancen sind, wie gesagt, minimal. Gingrich müßte schon ein kleines Wunder gelingen, um noch einmal zurückzukommen.
Romney steht jetzt ausgezeichnet da, zumal ihm die Umfragen für die nächste Vorwahl in New Hampshire am 10. Januar einen Sieg mit großem Abstand vor den anderen Kandidaten vorhersagen.
Und der eigentliche Gewinner des gestrigen Tages, Rick Santorum? Sein ebenso gewaltiger wie unerwarteter Aufstieg in Iowa ähnelt sehr dem dortigen Überraschungssieg Obamas vor vier Jahren (siehe meinen gestrigen Artikel). Könnte Santorum also ein zweiter Obama werden? Aus zwei Gründen halte ich das für unwahrscheinlich.
Erstens war der Wahlkämpfer Obama ein glänzender Rhetoriker, ein Menschenfänger. Santorum - sein Auftritt heute Nacht hat das wieder gezeigt - ist ein steifer, unkommunikativer Mann, der sogar einen Teil seiner heutigen Siegesrede vom Blatt abgelesen hat. Zweitens siegte Obama mit dem Versprechen, er werde als ein Mann der Mitte die Amerikaner einen. Santorum ist so ausgeprägt konservativ - in seiner Rede nahm die Religion einen breiten Raum ein -, daß er über das konservative Lager hinaus kaum Resonanz finden würde.
Es läuft also alles auf Romney hinaus. Das Schlüsselwort lautet electability - die Wählbarkeit. Nur Romney kann bis in die breite Mitte hinein Wähler ansprechen. Und daß er dennoch auch bei Konservativen nicht schlecht ankommt, hat er gestern im konservativen Iowa unter Beweis gestellt.
Leider kam diese Analyse zu spät, als daß ich sie noch für meinen gestrigen Artikel mit Hintergrundinformationen zu diesen Caucuses hätte verwerten können. (Falls Sie diesen Artikel noch nicht gelesen haben, sollten Sie es vielleicht jetzt vor dem Weiterlesen tun; denn ich beziehe mich im folgenden auf die dortigen Informationen).
Silvers Artikel trägt den Titel "Why I'd bet on Santorum (and against my model)" - Warum ich auf Santorum wetten würde (und gegen mein Modell).
Nate Silver hat ein mathematisches Modell entwickelt, das es erlaubt, aus Umfragedaten Prognosen abzuleiten; dabei werden die Rohdaten unter Berücksichtigung zahlreicher Faktoren gewichtet.
Zu diesen Faktoren gehört das, was man im Slang der US-Politologie momentum nennt - der Schwung, den ein Kandidat bekommt, wenn erst einmal sein Aufstieg eingesetzt hat. Nichts ist so erfolgreich wie der Erfolg - diese alte Weisheit meint der Begriff momentum. Dem Aufsteigenden schließen sich viele an, so daß er weiter aufsteigt.
Wenn Sie sich die Animation ansehen, die ich in dem gestrigen Artikel kommentiert habe, dann können Sie anschaulich verfolgen, wie schnell ein solcher Aufstieg sich entwickeln kann. (Freilich auch der Absturz, der ausnahmslos die bisherigen Aufsteiger ereilt hat - Bachmann, Perry, Cain und als vorläufig letzten Newt Gingrich).
Gingrich war der letzte derer, der aufstiegen und wieder fielen. Der Aufsteiger der Stunde - ohne Fall - aber ist Rick Santorum.
Als ich gestern von der Möglichkeit schrieb, daß Santorum in Iowa nicht nur gut abschneidet, sondern sogar gewinnen könnte, wurde das durch die letzten Umfragedaten nicht gestützt, die ihn fast durchweg auf Platz drei sahen. Hätte ich Nate Silvers Artikel schon lesen können, dann hätte ich diese Möglichkeit mit mehr Zuversicht genannt.
Konventionelle Analysen der letzten Umfragedaten gaben Santorum nur um die 16 Prozent. Silvers mathematisches Modell lieferte hingegen eine Vorhersage von 19 Prozent für Santorum; denn es rechnete das momentum der letzten Tage mit ein.
Aber vielleicht zu wenig, argumentierte nun gestern Silver, sozusagen gegen sein eigenes Modell. Denn dieses Modell berechnet den Faktor momentum aus den Daten vergangenen Wahlen nationwide - also über alle Staaten der USA gemittelt. In Iowa aber könnte das momentum stärker sein, als es diesem Erfahrungswert entspricht, argumentierte Silver; und zwar aus drei Gründen:
Aufgrund dieser Überlegungen hat Silver gestern den Wert für den Faktor momentum speziell für Caucuses in Iowa berechnet. Das Ergebnis war, daß Santorum mit 23,5 Prozent siegen würde.In Iowa standen zahlreiche Kandidaten zur Wahl, was taktisches Wählen begünstigt. Der Wähler überlegt, wer eine relle Chance hat und entscheidet sich für ihn, damit seine Stimme nicht verlorengeht. Das produziert einen Rückmeldekreis (feedback loop) von Erwartung und Wahlverhalten. Dadurch, daß Iowa der erste Staat in der Abfolge der Vorwahlen ist, hat der Wähler dort noch keine sehr gefestigte Vorstellung von den Kandidaten. Das begünstigt kurzfristige Änderungen seiner Präferenzen, wie sie bei einem momentum auftreten. Durch das besondere Verfahren bei einem Caucus im Unterschied zu den andernorts üblichen Vorwahlen (siehe meinen gestrigen Artikel) ändern die Wähler eher unter dem Einfluß Anderer ihre Meinung.
In dem Augenblick, wo ich dies schreibe, sind 99 Prozent der Stimmen ausgezählt. Rick Santorum liegt bei 25 Prozent.
Ebenfalls außerordentlich gut vorhergesagt hat Silvers revidiertes Modell das Ergebnis von Ron Paul mit 21,4 Prozent. Er erreichte 21 Prozent. Lediglich bei Mitt Romney paßt das Modell nicht so perfekt. Silver gab ihm 19,1 Prozent. Nach dem jetzigen Stand der Auszählung liegt er aber mit 25 Prozent gleichauf mit Santorum; es trennen sie nur wenige Stimmen. Erst das Endergebnis wird entscheiden, wer von den beiden mit einer Nasenlänge Vorsprung durchs Ziel ging.
Wo kommen die zusätzlichen, von Silver nicht erwarteten Stimmen für Romney her? Vor allem offenbar von Jon Huntsman, dem Silvers Modell 4,3 Prozent gab. In der Auszählung liegt er aber nur bei gerade einem Prozent.
Indes, auch diese Abweichung paßt nicht schlecht in Silvers Analyse. Denn wenn - siehe den ersten der drei von Silver genannten Faktoren - Wähler aufgrund taktischer Überlegungen in letzter Minute zu einem aussichtsreichen Kandidaten wechseln, dann wird das jemand mit ähnlichen Ansichten wie die ihres ursprünglichen Favoriten sein. Und Romney ist der einzige Kandidat, der wie Huntsman kein ausgeprägt Konservativer ist.
Wie erging es den übrigen Kandidaten? Newt Gingrich, noch vor wenigen Wochen der shooting star, erreichte 13 Prozent (Silvers Prognose: 15,4). Rick Perry liegt abgeschlagen bei 10 Prozent (Silver: 8,7). Noch vernichtender fiel die Niederlage von Michele Bachmann aus; jener Kandidatin, die - siehe meinen gestrigen Artikel - noch vor einigen Monaten die große Favoritin in ihrem Geburtsstaat Iowa gewesen war. Sie schaffte gerade noch 6 Prozent (Silver: 6,7).
Wie werden die Kandidaten reagieren? Inzwischen haben alle ihre nächtlichen Statements vor ihren Anhängern abgegeben.
Michele Bachmann war tapfer; die Kommentatoren sind aber einhellig der Meinung, daß sie demnächst das Handtuch werfen wird. Perry wirkte wieder einmal zerfahren und auch deprimiert. Er kündigte an, jetzt in seinen Staat Texas zurückzufahren und über seine Strategie nachzudenken. Diese beiden dürften wohl demnächst aus dem Kreis der Kandidaten ausscheiden.
Ron Paul war bei seiner Rede sympathisch und überlegen-ironisch wie immer; ein sehr netter älterer Herr. Er wird weitermachen und seine Botschaft von einer freien Gesellschaft und einem isolationistischen Amerika verkünden. Präsident kann er nicht werden.
Gingrich hat angekündigt, weiterzumachen. Er sieht nach wie vor seine Chance darin, nicht so konservativ oder libertär zu sein wie Paul, Bachmann, Perry und Santorum, aber doch konservativer als Romney - also gerade der Richtige, um Wähler der Mitte gewinnen zu können, ohne die Konservativen zu verlieren. Daß ihm nach dem Niedergang der letzten Wochen noch einmal ein Aufschwung gelingt, sehen die Kommentatoren allerdings eher skeptisch. Aber der alte Politprofi Gingrich ist immer für eine Überraschung gut.
Das Rennen wird künftig also wahrscheinlich zwischen Romney, Santorum, Gingrich und Paul ausgetragen werden. Pauls Chancen sind, wie gesagt, minimal. Gingrich müßte schon ein kleines Wunder gelingen, um noch einmal zurückzukommen.
Romney steht jetzt ausgezeichnet da, zumal ihm die Umfragen für die nächste Vorwahl in New Hampshire am 10. Januar einen Sieg mit großem Abstand vor den anderen Kandidaten vorhersagen.
Und der eigentliche Gewinner des gestrigen Tages, Rick Santorum? Sein ebenso gewaltiger wie unerwarteter Aufstieg in Iowa ähnelt sehr dem dortigen Überraschungssieg Obamas vor vier Jahren (siehe meinen gestrigen Artikel). Könnte Santorum also ein zweiter Obama werden? Aus zwei Gründen halte ich das für unwahrscheinlich.
Erstens war der Wahlkämpfer Obama ein glänzender Rhetoriker, ein Menschenfänger. Santorum - sein Auftritt heute Nacht hat das wieder gezeigt - ist ein steifer, unkommunikativer Mann, der sogar einen Teil seiner heutigen Siegesrede vom Blatt abgelesen hat. Zweitens siegte Obama mit dem Versprechen, er werde als ein Mann der Mitte die Amerikaner einen. Santorum ist so ausgeprägt konservativ - in seiner Rede nahm die Religion einen breiten Raum ein -, daß er über das konservative Lager hinaus kaum Resonanz finden würde.
Es läuft also alles auf Romney hinaus. Das Schlüsselwort lautet electability - die Wählbarkeit. Nur Romney kann bis in die breite Mitte hinein Wähler ansprechen. Und daß er dennoch auch bei Konservativen nicht schlecht ankommt, hat er gestern im konservativen Iowa unter Beweis gestellt.
Zettel
© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Das Lansdowne-Porträt von George Washington, gemalt von Gilbert Stuart (1796). National Portrait Gallery der Smithsonian Institution. Das Porträt zeigt Washington, wie er auf eine weitere (dritte) Amtszeit verzichtet. Links zu allen Beiträgen dieser Serie finden Sie hier. Siehe auch die Serie Der 44. Präsident der USA von 2008. Mit Dank an Abendländer.