11. August 2010

Zettels Meckerecke: Wo ist eigentlich der liberale Flügel der FDP? Wer widerspricht den beiden Quotenfrauen? Nebst keinem Nachtrag

Erst S. L.-S., dann S. K.-M.: Innerhalb weniger Tage haben zwei Spitzenpolitikerinnen der FDP mit Forderungen nach Quoten liberale Prinzipien mit Füßen getreten.

Am Donnerstag habe ich die Ankündigung der Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger kommentiert, die Bundesregierung werde "zum Instrument der Quote" greifen, um mehr Frauen in die Aufsichtsräte privater Unternehmen zu bringen; es sei denn, daß die Unternehmen sich das von der Regierung zuvor bereits "aktiv deutlich machen" ließen; "Zum Instrument der Quote greifen"; ZR vom 5. 8. 2010.

Gestern nun brachte das "Hamburger Abendblatt" ein Interview mit der Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, der FDP-Politikerin Silvana Koch-Mehrin, das Jan Filter im Filterblog trefflich aus liberaler Sicht kommentiert hat; auch in Zettels kleinem Zimmer wurde gestern darüber diskutiert.

Das Interview enthält den folgenden Dialog mit den Interviewern Jochen Gaugele und Karsten Kammholz, den ich aus Gründen des Copyrights kürze:
Bundeswirtschaftsminister Brüderle hat eine Kontroverse ausgelöst mit dem Vorschlag, ausländische Fachkräfte mit einem Begrüßungsgeld nach Deutschland zu locken. Ein kluger Ansatz?

Ich finde, ja. (...) Der Staat kann auch eine Vorreiterrolle einnehmen, indem er für Vielfalt in der öffentlichen Verwaltung sorgt.

Das bedeutet?

Das Europäische Parlament beschreitet diesen Weg bereits. Uns geht es um Chancengleichheit und Vielfalt, was Herkunft, Geschlecht oder Religion der Beschäftigten angeht. Dazu wollen wir massive Anreize setzen. Auf meinen Vorschlag sind auch ausdrücklich Quotenregelungen vorgesehen. Dieses Projekt kann der deutschen Verwaltung als Vorbild dienen.

Sie wollen eine Ausländerquote für deutsche Rathäuser und Ministerien?

Wenn andere Anreize nicht helfen - warum nicht? Eine Quote für Migranten in der öffentlichen Verwaltung kann dazu beitragen, dass mehr qualifizierte Zuwanderer nach Deutschland kommen.



Es gehört zum Charakter einer liberalen Partei, daß in ihr ein breites Spektrum von Meinungen vertreten wird. Auch solche, die mit liberalen Grundsätzen nicht nur nichts zu tun haben, sondern die deren exaktes Gegenteil sind.

Man wirft deshalb jemanden nicht gleich aus der Partei. Aber einen kräftigen Widerspruch, einen laut hörbaren Widerspruch, den wird es doch wohl in solchen Fällen in einer liberalen Partei geben? Und zwar nicht nur bei liberalen Bloggern wie Jan Filter und mir, sondern aus den Reihen derer, die gegenüber der Öffentlichkeit für die FDP stehen; für ihr, wie man das gern nennt, "liberales Profil"?

Die eine FDP-Politikerin will, daß der Staat darüber entscheidet, wen ein Privatunternehmen in seinen Aufsichtsrat beruft. Sie hält es für erstrebenswert, daß eine AG gegebenenfalls auf einen qualifizierten Mann verzichtet und eine weniger qualifizierte Frau in den Aufsichtsrat holt, weil der Staat dem Unternehmen das aufzwingt. Zu dessen möglichem wirtschaftlichem Nachteil; aber den Schaden würde ihm der Staat nicht erstatten.

Etatismus pur also; das Hineinregieren des Staats in den Verantwortungsbereich der privaten Wirtschaft. Das Gegenteil dessen, was Guido Westerwelle am 15. Mai 2009 auf seiner großen Hannoveraner Rede als Ziel liberaler Politik formuliert hat.

Ebenso ist es das Gegenteil einer liberalen Gesellschaftspolitik, wenn, wie es die andere FDP-Politikerin verlangt, die Positionen in öffentlichen Verwaltungen nach anderen Kriterien als demjenigen der Qualifikation und Leistung vergeben werden; nämlich nach "Herkunft, Geschlecht oder Religion".

"Leistung soll sich wieder lohnen"? Lohnend ist es, falls Koch-Mehrin und ihre Mitstreiter im roten und grünen Lager sich durchsetzen, die richtigen Eltern, die richtige Religion, das richtige Geschlecht zu haben.

Hinzu kommt, daß Koch-Mehrin augenscheinlich auch noch aus Europa nach Deutschland hineinregieren will.

Zwar ist vorerst nur vom europäischen "Vorbild" für Deutschland die Rede; aber das läßt sich ja auch in die Form von Direktiven gießen. Wie ein solches Hineinregieren funktioniert, das habe ich einmal im September 2008 am Beispiel der europäischen Seilbahnen untersucht; einem besonders aberwitzigen, also instruktiven Beispiel (Über Seilbahnen in Europa, die Bürokraten in Brüssel und das Wesen der Juristerei (Teil 1); ZR vom 13. 9. 2008 sowie Teil 2; ZR vom 14. 9. 2008).

Wo also sind die liberalen Spitzenpolitiker, die sich gegen die Äußerungen ihrer beiden Parteifreundinnen wenden? Die gegenüber der Öffentlichkeit sichtbar machen, daß Liberalismus nicht Etatismus light ist? Wann meldet sich der liberale Flügel der FDP zu Wort?

Ich habe bisher keinen Widerspruch aus der FDP-Spitze gegen die Ankündigungen der beiden Politikerinnen vernommen.

Vielleicht sind mir diese Äußerungen entgangen; dann bin ich Ihnen für eine kurze Mitteilung in Zettels kleinem Zimmer oder durch eine Mail an mich dankbar. Es gibt dann einen Nachtrag zu diesem Artikel.

Oder sagen wir, vermutlich realistischer: Es gäbe ihn dann.




Kein Nachtrag am 11. 8.: Bisher hat mir niemand mitgeteilt, daß irgendwer aus der FDP-Führung den beiden Quotenfrauen oder einer von ihnen widersprochen hätte. (Der Artikel erschien ursprünglich am 8. 8. um kurz nach 19 Uhr).



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