19. August 2010

Marginalie: Woher die Feindschaft gegen Israel? Thesen eines israelischen Wissenschaftlers

Vielleicht ist die Frage, woher der weitverbreitete Haß auf Israel rührt, so schwer zu beantworten wie die nach den Gründen für den Antisemitismus.

Gewiß gibt es nicht eine einzige Ursache. Auf der Linken zum Beispiel spielt eine zentrale Rolle, daß man in den Kategorien von Ausbeutern und Ausgebeuteten, von Unterdrückern und Unterdrückten denkt und daß man auf eine unreflektierte Weise dieses Schema auf das Verhältnis zwischen Israel und den Arabern anwendet. Auf der extremen Rechten ist der Haß auf Israel im wesentlichen eine Form, in der sich Antisemitismus ausdrückt.

Aber es dürfte noch viele andere Ursachen geben. Auf eine davon hat vorgestern Daniel Pipes in der Online-Ausgabe des National Review aufmerksam gemacht.

Er referiert dort zustimmend eine Abhandlung von Yoram Hazony vom Shalem Center in Jerusalem, die am am 14. Juli in Hazonys Blog Jerusalem Letters erschienen war. Sie befaßt sich mit der europäischen Feindschaft gegenüber Israel.

Ihr Kerngedanke ist, daß sich in der Gegenwart ein Paradigmenwechsel vollzieht, was den Nationalstaat angeht.

Das alte, zu Ende gehende Paradigma sah den Nationalstaat als etwas Positives; als eine Institution, die das Volk schützt und seinen Wohlstand ermöglicht.

In diesem Licht erscheint der ausgeprägte Nationalstaat Israel als etwas Positives. Auschwitz wurde möglich, weil den Juden ein Nationalstaat fehlte. Für die Israelis ist Israel heute der Schutz gegen ein zweites Auschwitz.

Heute wächst nun aber immer mehr eine Ablehnung des Nationalstaats zugunsten von übernationalen Einrichtungen wie der EU. Das nennt Hazony einen Paradigmenwechsel. Der Nationalstaat wird zunehmend als etwas Negatives gesehen, und damit auch der Nationalstaat Israel.

Aus dieser Sicht war Auschwitz ein Auswuchs des deutschen Nationalismus. Die Antwort muß also die Überwindung des Nationalstaats sein.



Hazony stellt die beiden Paradigmen gegenüber. Erst mit Blick auf Auschwitz:
Paradigm A: Auschwitz represents the unspeakable horror of Jewish women and men standing empty-handed and naked, watching their children die for want of a rifle with which to protect them.

Paradigm B: Auschwitz represents the unspeakable horror of German soldiers using force against others, backed by nothing but their own government’s views as to their national rights and interests.

Paradigma A: Auschwitz steht für das unaussprechliche Grauen, daß jüdische Frauen und Männer mit leeren Händen und nackt dastehen und ansehen müssen, wie ihre Kinder sterben, weil sie kein Gewehr haben, sie zu schützen.

Paradigma B: Auschwitz steht für das unaussprechliche Grauen, daß deutsche Soldaten Gewalt an anderen üben, gestützt allein auf den Glauben ihrer eigenen Regierung an ihre nationalen Rechte und Interessen.
Nun mit Blick auf Israel:
Paradigm A: Israel represents Jewish women and men standing rifle in hand, watching over their own children and all other Jewish children and protecting them. Israel is the opposite of Auschwitz.

Paradigm B: Israel represents the unspeakable horror of Jewish soldiers using force against others, backed by nothing but their own government’s views as to their national rights and interests. Israel is Auschwitz.

Paradigma A: Israel steht dafür, daß jüdische Frauen und Männer mit dem Gewehr in der Hand bereitstehen, um über ihre Kinder und alle anderen jüdischen Kinder zu wachen und sie zu schützen. Israel ist Auschwitz entgegengesetzt.

Paradigma B: Israel steht für das unaussprechliche Grauen, daß israelische Soldaten Gewalt an anderen üben, gestützt allein auf den Glauben ihrer eigenen Regierung an ihre nationalen Rechte und Interessen. Israel ist Auschwitz.
Welches Fazit zieht Hazony? Er sieht eine große Gefahr für Israel:
On the battlefield of ideas, the state of Israel is today in danger as never before. But the danger isn't coming from Israel's traditional enemies and it can't be fought using the traditional means. You can't fight a paradigm with facts — because pretty much any facts you've got are either dismissed as irrelevant or absorbed into the new paradigm and reinterpreted in a way that only reinforces it.

Auf dem Schlachtfeld der Ideen ist Israel heute in einer größeren Gefahr als je zuvor. Aber die Gefahr rührt nicht von den traditionellen Feinden Israels her, und sie kann nicht auf die traditionelle Weise bekämpft werden. Man kann ein Paradigma nicht mit Fakten bekämpfen - weil so gut wie alle Fakten, die man vorbringt, entweder als irrelevant beiseite geschoben oder aber so in das neue Paradigma eingebaut werden, daß dieses nur noch verstärkt wird.
Also, folgert der Autor, bleibe nur das Eintreten für eine Rückkehr zum alten, nationalstaatlichen Paradigma.

Ein Schluß, der aus Hazonys Argumentation folgt. Aber auch etwas Realisierbares? Etwas, das jemals auf breite Zustimmung in Europa stoßen könnte?



Dieser Artikel ist die verkürzte Darstellung des Grundgedankens eines gedankenreichen und differenziert argumentierenden Textes. Wenn Sie die Zeit dazu haben, empfehle ich die Lektüre der Abhandlung von Yoram Hazony selbst (Informationen über den Autor hier). Eine sehr genaue Zusammenfassung finden Sie bei Daniel Pipes.



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